trabte lebhafter, als seit Stunden. Rasch flogen die Stämme der Bäume an Moorfeld's Fackel vorüber, die Beleuchtung schnitt ein Bild um das andere aus der allgemeinen Finsterniß heraus, um es eben so schnell wieder verschwinden zu machen. Droben aber verschränkte sich Alles zu einer dichten undurchdringlichen Schattenmasse, durch welche Sturm und Regen dumpfbrausend heulte; zuweilen fand ein gebrochener Ast im Herabfallen bis auf den Boden des Waldes seinen Weg und verrieth den Wurzeln und Stämmen der Bäume, in welchem Schlachtgewühl ihre Spitzen trieben.
Nach einem Ritt von ungefähr einer englischen Meile glaubte Moorfeld eine veränderte Luft zu athmen. Auf einmal sah er durch die Bäume des Waldes seinen Boden wanken und schwanken, ein flüssig gewordener Horizont rannte auf und ab vor seinen Augen, auf eine tief graue Ferne hinaus erblickte er nichts als einen Taumel zer¬ brochener Linien die in blitzschnellen Veränderungen über einander her¬ stürzten und mit Wind und Wolken vermischt in rythmuslosen Zisch¬ lauten siedeten und surrten, daß Aug' und Ohr vor dem sinnlosen Wunder erstarrten. Moorfeld hielt die Fackel hoch, blickte, staunte, combinirte wie im Traume und erkannte endlich das Bild einer großen sturmbewegten Flut. Er stand am Eriesee.
Es war ein Bild wie zur Verzweiflung gemacht. Oben eine Decke grauer und formlos zerfließender, unten ein Chaos schwarzer und starrer Schatten, dort die Wolken- hier die Waldlandschaft einräthselnd; da¬ zwischen eine wilde Jagd von Wellen und Wogen, in raumloser Fin¬ sterniß unendlich für die Sinne wie für die Ahnung, und drüber her ein reißender Sturm, der über den See mit einem hohen und zischen¬ den, über den Wald mit einem tiefen und brüllenden Ton fuhr und so die ungefähre Grenze von Wasser und Erde aus dem grobsten Naturlaut heraus verkündete. Moorfeld stand und erlabte sich in ei¬ nem langen bewundernden Blicke an dieser Unterwelts-Scene.
Er hörte sein Pferd unter sich in tiefen Zügen schlürfen, leuchtete hinab und sah eine Wasserlache, welche die Brandung des Sees landein¬ wärts ausgegossen. Es war gewiß, daß das Ufer in mehr oder minderer Tiefe rings her eine gefährliche, wenn nicht unmögliche Passage bot.
Moorfeld stieg zum zweiten Male vom Pferde und dachte an einen Rück¬ zug in das Waldinnere. Es galt das Standquartier dieser Nacht auszuwählen.
27 *
trabte lebhafter, als ſeit Stunden. Raſch flogen die Stämme der Bäume an Moorfeld's Fackel vorüber, die Beleuchtung ſchnitt ein Bild um das andere aus der allgemeinen Finſterniß heraus, um es eben ſo ſchnell wieder verſchwinden zu machen. Droben aber verſchränkte ſich Alles zu einer dichten undurchdringlichen Schattenmaſſe, durch welche Sturm und Regen dumpfbrauſend heulte; zuweilen fand ein gebrochener Aſt im Herabfallen bis auf den Boden des Waldes ſeinen Weg und verrieth den Wurzeln und Stämmen der Bäume, in welchem Schlachtgewühl ihre Spitzen trieben.
Nach einem Ritt von ungefähr einer engliſchen Meile glaubte Moorfeld eine veränderte Luft zu athmen. Auf einmal ſah er durch die Bäume des Waldes ſeinen Boden wanken und ſchwanken, ein flüſſig gewordener Horizont rannte auf und ab vor ſeinen Augen, auf eine tief graue Ferne hinaus erblickte er nichts als einen Taumel zer¬ brochener Linien die in blitzſchnellen Veränderungen über einander her¬ ſtürzten und mit Wind und Wolken vermiſcht in rythmusloſen Ziſch¬ lauten ſiedeten und ſurrten, daß Aug' und Ohr vor dem ſinnloſen Wunder erſtarrten. Moorfeld hielt die Fackel hoch, blickte, ſtaunte, combinirte wie im Traume und erkannte endlich das Bild einer großen ſturmbewegten Flut. Er ſtand am Erieſee.
Es war ein Bild wie zur Verzweiflung gemacht. Oben eine Decke grauer und formlos zerfließender, unten ein Chaos ſchwarzer und ſtarrer Schatten, dort die Wolken- hier die Waldlandſchaft einräthſelnd; da¬ zwiſchen eine wilde Jagd von Wellen und Wogen, in raumloſer Fin¬ ſterniß unendlich für die Sinne wie für die Ahnung, und drüber her ein reißender Sturm, der über den See mit einem hohen und ziſchen¬ den, über den Wald mit einem tiefen und brüllenden Ton fuhr und ſo die ungefähre Grenze von Waſſer und Erde aus dem grobſten Naturlaut heraus verkündete. Moorfeld ſtand und erlabte ſich in ei¬ nem langen bewundernden Blicke an dieſer Unterwelts-Scene.
Er hörte ſein Pferd unter ſich in tiefen Zügen ſchlürfen, leuchtete hinab und ſah eine Waſſerlache, welche die Brandung des Sees landein¬ wärts ausgegoſſen. Es war gewiß, daß das Ufer in mehr oder minderer Tiefe rings her eine gefährliche, wenn nicht unmögliche Paſſage bot.
Moorfeld ſtieg zum zweiten Male vom Pferde und dachte an einen Rück¬ zug in das Waldinnere. Es galt das Standquartier dieſer Nacht auszuwählen.
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trabte lebhafter, als ſeit Stunden. Raſch flogen die Stämme der
Bäume an Moorfeld's Fackel vorüber, die Beleuchtung ſchnitt ein Bild
um das andere aus der allgemeinen Finſterniß heraus, um es eben
ſo ſchnell wieder verſchwinden zu machen. Droben aber verſchränkte
ſich Alles zu einer dichten undurchdringlichen Schattenmaſſe, durch
welche Sturm und Regen dumpfbrauſend heulte; zuweilen fand ein
gebrochener Aſt im Herabfallen bis auf den Boden des Waldes ſeinen
Weg und verrieth den Wurzeln und Stämmen der Bäume, in welchem
Schlachtgewühl ihre Spitzen trieben.
Nach einem Ritt von ungefähr einer engliſchen Meile glaubte
Moorfeld eine veränderte Luft zu athmen. Auf einmal ſah er durch
die Bäume des Waldes ſeinen Boden wanken und ſchwanken, ein flüſſig
gewordener Horizont rannte auf und ab vor ſeinen Augen, auf eine
tief graue Ferne hinaus erblickte er nichts als einen Taumel zer¬
brochener Linien die in blitzſchnellen Veränderungen über einander her¬
ſtürzten und mit Wind und Wolken vermiſcht in rythmusloſen Ziſch¬
lauten ſiedeten und ſurrten, daß Aug' und Ohr vor dem ſinnloſen
Wunder erſtarrten. Moorfeld hielt die Fackel hoch, blickte, ſtaunte,
combinirte wie im Traume und erkannte endlich das Bild einer großen
ſturmbewegten Flut. Er ſtand am Erieſee.
Es war ein Bild wie zur Verzweiflung gemacht. Oben eine Decke
grauer und formlos zerfließender, unten ein Chaos ſchwarzer und ſtarrer
Schatten, dort die Wolken- hier die Waldlandſchaft einräthſelnd; da¬
zwiſchen eine wilde Jagd von Wellen und Wogen, in raumloſer Fin¬
ſterniß unendlich für die Sinne wie für die Ahnung, und drüber her
ein reißender Sturm, der über den See mit einem hohen und ziſchen¬
den, über den Wald mit einem tiefen und brüllenden Ton fuhr und
ſo die ungefähre Grenze von Waſſer und Erde aus dem grobſten
Naturlaut heraus verkündete. Moorfeld ſtand und erlabte ſich in ei¬
nem langen bewundernden Blicke an dieſer Unterwelts-Scene.
Er hörte ſein Pferd unter ſich in tiefen Zügen ſchlürfen, leuchtete
hinab und ſah eine Waſſerlache, welche die Brandung des Sees landein¬
wärts ausgegoſſen. Es war gewiß, daß das Ufer in mehr oder minderer
Tiefe rings her eine gefährliche, wenn nicht unmögliche Paſſage bot.
Moorfeld ſtieg zum zweiten Male vom Pferde und dachte an einen Rück¬
zug in das Waldinnere. Es galt das Standquartier dieſer Nacht auszuwählen.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/425>, abgerufen am 24.11.2024.
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