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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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wie von befriedigter Mordgier. Man begreift die Gemüther nicht, die
den Naturlaut der Freude darin finden. An steierische Alpenjodler
darf man nicht dabei denken.

Die Waldherberge schwitzte aus allen Fugen vom Andrang eines
verehrungswürdigen Publikums und weit und breit standen die Equi¬
pagen umher. Ich sah bunt durcheinander Wagen und Karren, mit
Pferden, Ochsen und Kühen bespannt, dazwischen Fuhrwerke, von denen
sich die Schulweisheit eines Offenburger Stellmachers nichts träumen
läßt. Ueber allen Ausdruck wild war aber der Anblick der Menschen.
Männer, Bursche, Knaben und Frauen wimmelten, kaum unterscheid¬
bar, in Anzügen umher, von denen sich schwer eine Vorstellung ma¬
chen läßt. Ihre Röcke und Hosen, ihre Mäntel und Jacken waren
aus selbstgewebtem Tuche selbst zusammengeschneidert, mit Flicken und
Flecken übersäet, von Farben oder Mustern, was sag' ich, oft von der
Grundform des Kleides selbst keine Spur. Kappen aus selbstpräpa¬
rirtem Pelze von wilden Katzen, selbstverfertigte Schuhe aus wilden
Thierhäuten, hohe Wasserstiefeln, indianische Mocassins, phrygische
Mützen und Carbonari-Mäntel der jüngsten Emigration, -- das Alles
mischte sich zu einem sinnverwirrenden Höllenbreughel untereinander.
Die Gesichter blickten verwittert, verwildert, verthiert mitunter, und
ließen mich häufig, unterstützt zumal durch die zigeunerhafte Unbestimmt¬
heit der Kleidungsstücke, zwischen männlichen und weiblichen irren. Desto
merkwürdiger scharf zeichneten sich die Nationalitäten. Der spintisirende
Amerikaner, der pflegmatische Deutsche, der heißköpfige Irländer wurden
auf den ersten Blick herausgefunden. Eben so bestimmt erkannte man die
Neueingewanderten von den alten. Und da leugne noch Einer die
transatlantische Entartung der Racen! Die geknechteten Europäer sahen
wie geistige Menschen, die freien Amerikaner wie verdummte Heloten.

Ich betrat den Tanz-Salon. Es war ein langer, schmaler Kasten,
rauh gediehlt, vierwändig-kahl und durch nichts ausgezeichnet, als durch
die Art, wie das Orchester angebracht war. Das Orchester bestand aus
zwei Künstlern, Onkel Tom und Onkel Jim, d. h. Negern, welche hier
überall die Rolle der Dorfmusikanten spielen. Aus Raumerspar¬
niß nun hatte man dieses Götterpaar auf ihren Sesseln, wie in
Vogelbauern, oben an die Wand aufgehängt, indeß ihre verehrliche Beine
über den Köpfen der Tänzer baumelten. Bei diesem Anblick ergriff

wie von befriedigter Mordgier. Man begreift die Gemüther nicht, die
den Naturlaut der Freude darin finden. An ſteieriſche Alpenjodler
darf man nicht dabei denken.

Die Waldherberge ſchwitzte aus allen Fugen vom Andrang eines
verehrungswürdigen Publikums und weit und breit ſtanden die Equi¬
pagen umher. Ich ſah bunt durcheinander Wagen und Karren, mit
Pferden, Ochſen und Kühen beſpannt, dazwiſchen Fuhrwerke, von denen
ſich die Schulweisheit eines Offenburger Stellmachers nichts träumen
läßt. Ueber allen Ausdruck wild war aber der Anblick der Menſchen.
Männer, Burſche, Knaben und Frauen wimmelten, kaum unterſcheid¬
bar, in Anzügen umher, von denen ſich ſchwer eine Vorſtellung ma¬
chen läßt. Ihre Röcke und Hoſen, ihre Mäntel und Jacken waren
aus ſelbſtgewebtem Tuche ſelbſt zuſammengeſchneidert, mit Flicken und
Flecken überſäet, von Farben oder Muſtern, was ſag' ich, oft von der
Grundform des Kleides ſelbſt keine Spur. Kappen aus ſelbſtpräpa¬
rirtem Pelze von wilden Katzen, ſelbſtverfertigte Schuhe aus wilden
Thierhäuten, hohe Waſſerſtiefeln, indianiſche Mocaſſins, phrygiſche
Mützen und Carbonari-Mäntel der jüngſten Emigration, — das Alles
miſchte ſich zu einem ſinnverwirrenden Höllenbreughel untereinander.
Die Geſichter blickten verwittert, verwildert, verthiert mitunter, und
ließen mich häufig, unterſtützt zumal durch die zigeunerhafte Unbeſtimmt¬
heit der Kleidungsſtücke, zwiſchen männlichen und weiblichen irren. Deſto
merkwürdiger ſcharf zeichneten ſich die Nationalitäten. Der ſpintiſirende
Amerikaner, der pflegmatiſche Deutſche, der heißköpfige Irländer wurden
auf den erſten Blick herausgefunden. Eben ſo beſtimmt erkannte man die
Neueingewanderten von den alten. Und da leugne noch Einer die
transatlantiſche Entartung der Racen! Die geknechteten Europäer ſahen
wie geiſtige Menſchen, die freien Amerikaner wie verdummte Heloten.

Ich betrat den Tanz-Salon. Es war ein langer, ſchmaler Kaſten,
rauh gediehlt, vierwändig-kahl und durch nichts ausgezeichnet, als durch
die Art, wie das Orcheſter angebracht war. Das Orcheſter beſtand aus
zwei Künſtlern, Onkel Tom und Onkel Jim, d. h. Negern, welche hier
überall die Rolle der Dorfmuſikanten ſpielen. Aus Raumerſpar¬
niß nun hatte man dieſes Götterpaar auf ihren Seſſeln, wie in
Vogelbauern, oben an die Wand aufgehängt, indeß ihre verehrliche Beine
über den Köpfen der Tänzer baumelten. Bei dieſem Anblick ergriff

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[361/0379] wie von befriedigter Mordgier. Man begreift die Gemüther nicht, die den Naturlaut der Freude darin finden. An ſteieriſche Alpenjodler darf man nicht dabei denken. Die Waldherberge ſchwitzte aus allen Fugen vom Andrang eines verehrungswürdigen Publikums und weit und breit ſtanden die Equi¬ pagen umher. Ich ſah bunt durcheinander Wagen und Karren, mit Pferden, Ochſen und Kühen beſpannt, dazwiſchen Fuhrwerke, von denen ſich die Schulweisheit eines Offenburger Stellmachers nichts träumen läßt. Ueber allen Ausdruck wild war aber der Anblick der Menſchen. Männer, Burſche, Knaben und Frauen wimmelten, kaum unterſcheid¬ bar, in Anzügen umher, von denen ſich ſchwer eine Vorſtellung ma¬ chen läßt. Ihre Röcke und Hoſen, ihre Mäntel und Jacken waren aus ſelbſtgewebtem Tuche ſelbſt zuſammengeſchneidert, mit Flicken und Flecken überſäet, von Farben oder Muſtern, was ſag' ich, oft von der Grundform des Kleides ſelbſt keine Spur. Kappen aus ſelbſtpräpa¬ rirtem Pelze von wilden Katzen, ſelbſtverfertigte Schuhe aus wilden Thierhäuten, hohe Waſſerſtiefeln, indianiſche Mocaſſins, phrygiſche Mützen und Carbonari-Mäntel der jüngſten Emigration, — das Alles miſchte ſich zu einem ſinnverwirrenden Höllenbreughel untereinander. Die Geſichter blickten verwittert, verwildert, verthiert mitunter, und ließen mich häufig, unterſtützt zumal durch die zigeunerhafte Unbeſtimmt¬ heit der Kleidungsſtücke, zwiſchen männlichen und weiblichen irren. Deſto merkwürdiger ſcharf zeichneten ſich die Nationalitäten. Der ſpintiſirende Amerikaner, der pflegmatiſche Deutſche, der heißköpfige Irländer wurden auf den erſten Blick herausgefunden. Eben ſo beſtimmt erkannte man die Neueingewanderten von den alten. Und da leugne noch Einer die transatlantiſche Entartung der Racen! Die geknechteten Europäer ſahen wie geiſtige Menſchen, die freien Amerikaner wie verdummte Heloten. Ich betrat den Tanz-Salon. Es war ein langer, ſchmaler Kaſten, rauh gediehlt, vierwändig-kahl und durch nichts ausgezeichnet, als durch die Art, wie das Orcheſter angebracht war. Das Orcheſter beſtand aus zwei Künſtlern, Onkel Tom und Onkel Jim, d. h. Negern, welche hier überall die Rolle der Dorfmuſikanten ſpielen. Aus Raumerſpar¬ niß nun hatte man dieſes Götterpaar auf ihren Seſſeln, wie in Vogelbauern, oben an die Wand aufgehängt, indeß ihre verehrliche Beine über den Köpfen der Tänzer baumelten. Bei dieſem Anblick ergriff

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/379>, abgerufen am 24.11.2024.