senkten Leiche seines Weibes am Meeresgrunde, wacht auf, und -- schweigt! Ach! ich werde Opiate nehmen müssen. Dormi, che voi tu piu!
Jetzt, nach der Erntezeit, wird's geselliger. Für unsere Gegend ist ein camp-meeting angesagt, das allernächst seinen Anfang nehmen soll. Auch die "Frolic's" mehren sich jetzt, d. h. Fröhlich- oder Lust¬ barkeiten, namentlich in den deutschen Bezirken. Zu einem solchen Frolic ritt ich vorgestern nach Pennsylvanien hinüber. Noch sind mir alle Glieder zerschlagen, -- nicht nur des Leibes, der Seele noch mehr.
Der Schauplatz der ländlichen Orgie war mitten in einem der wildesten Waldstriche, denn Wald und Wildniß starrt noch überall, und selbst nach kürzestem Aufenthalt in Amerika kommt man bald dahinter, daß die sogenannten alten Culturstaaten noch immer Einöden sind, wogegen die rheinische Eifel, oder der ungarische Bakonyerwald an wahrer Uebervölkerung leiden. Erst hier im Hinterlande merkt man, was Newyork oder Boston für große Lügen sind, -- ungefähr wie Petersburg und Odessa. Auch die Straßen, -- man ist bei mir zu Hause an der untern Theiß eben nicht verwöhnt in diesem Artikel,-- aber auf meinem ganzen Ritt fand ich keine einzige Wagenspur. Wenn das keinen Schluß auf Geistescultur zuläßt, so gibt's keine Logik.
Aber freilich, Geist zu sehen, war ich nicht ausgeritten. Und ich fand ihn auch nicht. Gott ist mein Zeuge! Das Erntefest ging in einer Kneipe vor sich, zu der ein Kramladen gehörte -- Store mit Privat-Entertainment. Da mir unterwegs weit und breit keine Bauernfuhr aufgestoßen, so schloß ich, daß der Spektakel schon ange¬ fangen. Und so war es. Als ich mich dem Neste näherte, schlug mir von Musik und Stimmen ein Lärm daraus entgegen, der nicht mehr abscheulicher sein konnte. Die Leute hier haben eine Art zu jauchzen, so barbarisch, so fremdartig, daß ein Europäer ganz außer Fassung geräth. Ich vermuthe, diese eigenthümlichen nicht zu definirenden Schreie sind dem Kriegsgeheul der Indianer entlehnt. Wenigstens findet man sie durch ganz Amerika; auch jene Schiffsgesellschaft, die mich auf dem Susquehannah so unvergeßlich molestirte, stieß genau die nämlichen Mißtöne aus. Es ist ein schrilles, blutrünstiges Gellen,
ſenkten Leiche ſeines Weibes am Meeresgrunde, wacht auf, und — ſchweigt! Ach! ich werde Opiate nehmen müſſen. Dormi, che voi tu più!
Jetzt, nach der Erntezeit, wird's geſelliger. Für unſere Gegend iſt ein camp-meeting angeſagt, das allernächſt ſeinen Anfang nehmen ſoll. Auch die „Frolic's“ mehren ſich jetzt, d. h. Fröhlich- oder Luſt¬ barkeiten, namentlich in den deutſchen Bezirken. Zu einem ſolchen Frolic ritt ich vorgeſtern nach Pennſylvanien hinüber. Noch ſind mir alle Glieder zerſchlagen, — nicht nur des Leibes, der Seele noch mehr.
Der Schauplatz der ländlichen Orgie war mitten in einem der wildeſten Waldſtriche, denn Wald und Wildniß ſtarrt noch überall, und ſelbſt nach kürzeſtem Aufenthalt in Amerika kommt man bald dahinter, daß die ſogenannten alten Culturſtaaten noch immer Einöden ſind, wogegen die rheiniſche Eifel, oder der ungariſche Bakonyerwald an wahrer Uebervölkerung leiden. Erſt hier im Hinterlande merkt man, was Newyork oder Boſton für große Lügen ſind, — ungefähr wie Petersburg und Odeſſa. Auch die Straßen, — man iſt bei mir zu Hauſe an der untern Theiß eben nicht verwöhnt in dieſem Artikel,— aber auf meinem ganzen Ritt fand ich keine einzige Wagenſpur. Wenn das keinen Schluß auf Geiſtescultur zuläßt, ſo gibt's keine Logik.
Aber freilich, Geiſt zu ſehen, war ich nicht ausgeritten. Und ich fand ihn auch nicht. Gott iſt mein Zeuge! Das Erntefeſt ging in einer Kneipe vor ſich, zu der ein Kramladen gehörte — Store mit Privat-Entertainment. Da mir unterwegs weit und breit keine Bauernfuhr aufgeſtoßen, ſo ſchloß ich, daß der Spektakel ſchon ange¬ fangen. Und ſo war es. Als ich mich dem Neſte näherte, ſchlug mir von Muſik und Stimmen ein Lärm daraus entgegen, der nicht mehr abſcheulicher ſein konnte. Die Leute hier haben eine Art zu jauchzen, ſo barbariſch, ſo fremdartig, daß ein Europäer ganz außer Faſſung geräth. Ich vermuthe, dieſe eigenthümlichen nicht zu definirenden Schreie ſind dem Kriegsgeheul der Indianer entlehnt. Wenigſtens findet man ſie durch ganz Amerika; auch jene Schiffsgeſellſchaft, die mich auf dem Susquehannah ſo unvergeßlich moleſtirte, ſtieß genau die nämlichen Mißtöne aus. Es iſt ein ſchrilles, blutrünſtiges Gellen,
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ſenkten Leiche ſeines Weibes am Meeresgrunde, wacht auf, und —
ſchweigt! Ach! ich werde Opiate nehmen müſſen. Dormi, che voi
tu più!
Jetzt, nach der Erntezeit, wird's geſelliger. Für unſere Gegend iſt
ein camp-meeting angeſagt, das allernächſt ſeinen Anfang nehmen
ſoll. Auch die „Frolic's“ mehren ſich jetzt, d. h. Fröhlich- oder Luſt¬
barkeiten, namentlich in den deutſchen Bezirken. Zu einem ſolchen
Frolic ritt ich vorgeſtern nach Pennſylvanien hinüber. Noch ſind mir
alle Glieder zerſchlagen, — nicht nur des Leibes, der Seele noch mehr.
Der Schauplatz der ländlichen Orgie war mitten in einem der
wildeſten Waldſtriche, denn Wald und Wildniß ſtarrt noch überall,
und ſelbſt nach kürzeſtem Aufenthalt in Amerika kommt man bald
dahinter, daß die ſogenannten alten Culturſtaaten noch immer Einöden
ſind, wogegen die rheiniſche Eifel, oder der ungariſche Bakonyerwald
an wahrer Uebervölkerung leiden. Erſt hier im Hinterlande merkt
man, was Newyork oder Boſton für große Lügen ſind, — ungefähr
wie Petersburg und Odeſſa. Auch die Straßen, — man iſt bei mir zu
Hauſe an der untern Theiß eben nicht verwöhnt in dieſem Artikel,—
aber auf meinem ganzen Ritt fand ich keine einzige Wagenſpur. Wenn
das keinen Schluß auf Geiſtescultur zuläßt, ſo gibt's keine Logik.
Aber freilich, Geiſt zu ſehen, war ich nicht ausgeritten. Und ich
fand ihn auch nicht. Gott iſt mein Zeuge! Das Erntefeſt ging in
einer Kneipe vor ſich, zu der ein Kramladen gehörte — Store mit
Privat-Entertainment. Da mir unterwegs weit und breit keine
Bauernfuhr aufgeſtoßen, ſo ſchloß ich, daß der Spektakel ſchon ange¬
fangen. Und ſo war es. Als ich mich dem Neſte näherte, ſchlug mir
von Muſik und Stimmen ein Lärm daraus entgegen, der nicht mehr
abſcheulicher ſein konnte. Die Leute hier haben eine Art zu jauchzen,
ſo barbariſch, ſo fremdartig, daß ein Europäer ganz außer Faſſung
geräth. Ich vermuthe, dieſe eigenthümlichen nicht zu definirenden
Schreie ſind dem Kriegsgeheul der Indianer entlehnt. Wenigſtens
findet man ſie durch ganz Amerika; auch jene Schiffsgeſellſchaft, die
mich auf dem Susquehannah ſo unvergeßlich moleſtirte, ſtieß genau
die nämlichen Mißtöne aus. Es iſt ein ſchrilles, blutrünſtiges Gellen,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/378>, abgerufen am 24.11.2024.
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