mich eine Art satyrische Begeisterung; ich hätte für nichts in der Welt es unterlassen, auf dem Frolic jetzt mitzutanzen. Die deutschen Far¬ merstöchter waren gigantische Schönheiten: Rosen und Rosetten, ohne Zweifel, aber aus Stein gehauen, wie am Stephansthurm oder Stra߬ burger Münster. Ich forderte eine dieser ziegelrothen Grazien auf, und tanzte -- was? weiß ich bei Gott nicht! Die Aufgabe ist gar nicht so leicht, Tact und Rythmus jener Valse americaine oder vielmehr africaine zu beschreiben, die wir zu Banjo und Piccolo-Pfeife der zwei Neger hopsten. Doch brachte ich die Tour mit Ehren zu Ende, ein Beweis, daß ich viele Anlage zur -- Barbarei habe. Ich suchte sodann meine Schöne nach schwachen Kräften zu unterhalten, und bei der Gelegenheit möglichst viel ethnographische Notizen einzuheimsen. Settchen war in Amerika geboren und verstand doch kein Wort englisch. Das machte mir Anfangs deutschthümelnde Freude, die aber bald ge¬ dämpft wurde. Denn sie wußte auch von Deutschland nicht mehr, als daß es hinter einem großen Wasser liege, und Bremen die Hauptstadt davon sei. Auch wußte sie noch, daß die "Deutschländer" nicht Einen König hätten, sondern sehr viele. Von der Schlacht von Leipzig aber wußte sie nichts. Den Namen Napoleon hatte sie nie gehört. Ich schauderte bei mir, indem ich an Annette dachte. Ich will Alles thun, das feine Kind vor solcher Verwilderung zu retten. -- Deßungeachtet war Settchen zur Schule gegangen, und zwar, wie ich mit Erstaunen hörte, besuchen die Farmerskinder ihre Waldschulen bis in das Alter hinauf, wo sie heirathen, was fast unmittelbar von der Schule weg geschieht. Auch für die Burschen gilt das. Freilich währt der Schul¬ gang nur drei bis vier Monate im Jahre und die Lehrgegenstände sind einzig: Bibel und amerikanische Geschichte. In letzterer war Settchen genau bewandert. Den Unabhängigkeitskrieg z. B. kannte sie so im Detail, als ob jedes Vorpostengefecht wichtiger, als die Schlacht bei Leipzig gewesen wäre. Verdammte Prahlsucht dieses Volks, das alle Geschichte zu verachten affectirt, nur nicht sein eigenes Geschichtchen! Den deut¬ schen General Steuben dagegen kannte sie wieder nicht. So redigirt der Yankee seine Schulbücher! Ich knirschte. Settchen knirschte auch, aber in ihre Pics, was eine Art schlechter Obstkuchen ist, die sie mit erstaunlichem Appetite verzehrte. Dazu trank sie Quantitäten von Cider, daß mir nichts übrig blieb als in stiller Andacht zu bewundern.
mich eine Art ſatyriſche Begeiſterung; ich hätte für nichts in der Welt es unterlaſſen, auf dem Frolic jetzt mitzutanzen. Die deutſchen Far¬ merstöchter waren gigantiſche Schönheiten: Roſen und Roſetten, ohne Zweifel, aber aus Stein gehauen, wie am Stephansthurm oder Stra߬ burger Münſter. Ich forderte eine dieſer ziegelrothen Grazien auf, und tanzte — was? weiß ich bei Gott nicht! Die Aufgabe iſt gar nicht ſo leicht, Tact und Rythmus jener Valse americaine oder vielmehr africaine zu beſchreiben, die wir zu Banjo und Piccolo-Pfeife der zwei Neger hopsten. Doch brachte ich die Tour mit Ehren zu Ende, ein Beweis, daß ich viele Anlage zur — Barbarei habe. Ich ſuchte ſodann meine Schöne nach ſchwachen Kräften zu unterhalten, und bei der Gelegenheit möglichſt viel ethnographiſche Notizen einzuheimſen. Settchen war in Amerika geboren und verſtand doch kein Wort engliſch. Das machte mir Anfangs deutſchthümelnde Freude, die aber bald ge¬ dämpft wurde. Denn ſie wußte auch von Deutſchland nicht mehr, als daß es hinter einem großen Waſſer liege, und Bremen die Hauptſtadt davon ſei. Auch wußte ſie noch, daß die „Deutſchländer“ nicht Einen König hätten, ſondern ſehr viele. Von der Schlacht von Leipzig aber wußte ſie nichts. Den Namen Napoleon hatte ſie nie gehört. Ich ſchauderte bei mir, indem ich an Annette dachte. Ich will Alles thun, das feine Kind vor ſolcher Verwilderung zu retten. — Deßungeachtet war Settchen zur Schule gegangen, und zwar, wie ich mit Erſtaunen hörte, beſuchen die Farmerskinder ihre Waldſchulen bis in das Alter hinauf, wo ſie heirathen, was faſt unmittelbar von der Schule weg geſchieht. Auch für die Burſchen gilt das. Freilich währt der Schul¬ gang nur drei bis vier Monate im Jahre und die Lehrgegenſtände ſind einzig: Bibel und amerikaniſche Geſchichte. In letzterer war Settchen genau bewandert. Den Unabhängigkeitskrieg z. B. kannte ſie ſo im Detail, als ob jedes Vorpoſtengefecht wichtiger, als die Schlacht bei Leipzig geweſen wäre. Verdammte Prahlſucht dieſes Volks, das alle Geſchichte zu verachten affectirt, nur nicht ſein eigenes Geſchichtchen! Den deut¬ ſchen General Steuben dagegen kannte ſie wieder nicht. So redigirt der Yankee ſeine Schulbücher! Ich knirſchte. Settchen knirſchte auch, aber in ihre Pics, was eine Art ſchlechter Obſtkuchen iſt, die ſie mit erſtaunlichem Appetite verzehrte. Dazu trank ſie Quantitäten von Cider, daß mir nichts übrig blieb als in ſtiller Andacht zu bewundern.
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mich eine Art ſatyriſche Begeiſterung; ich hätte für nichts in der Welt
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Zweifel, aber aus Stein gehauen, wie am Stephansthurm oder Stra߬
burger Münſter. Ich forderte eine dieſer ziegelrothen Grazien auf, und
tanzte — was? weiß ich bei Gott nicht! Die Aufgabe iſt gar nicht ſo
leicht, Tact und Rythmus jener Valse americaine oder vielmehr
africaine zu beſchreiben, die wir zu Banjo und Piccolo-Pfeife der
zwei Neger hopsten. Doch brachte ich die Tour mit Ehren zu Ende,
ein Beweis, daß ich viele Anlage zur — Barbarei habe. Ich ſuchte
ſodann meine Schöne nach ſchwachen Kräften zu unterhalten, und bei
der Gelegenheit möglichſt viel ethnographiſche Notizen einzuheimſen.
Settchen war in Amerika geboren und verſtand doch kein Wort engliſch.
Das machte mir Anfangs deutſchthümelnde Freude, die aber bald ge¬
dämpft wurde. Denn ſie wußte auch von Deutſchland nicht mehr, als
daß es hinter einem großen Waſſer liege, und Bremen die Hauptſtadt
davon ſei. Auch wußte ſie noch, daß die „Deutſchländer“ nicht Einen
König hätten, ſondern ſehr viele. Von der Schlacht von Leipzig aber
wußte ſie nichts. Den Namen Napoleon hatte ſie nie gehört. Ich
ſchauderte bei mir, indem ich an Annette dachte. Ich will Alles thun,
das feine Kind vor ſolcher Verwilderung zu retten. — Deßungeachtet
war Settchen zur Schule gegangen, und zwar, wie ich mit Erſtaunen
hörte, beſuchen die Farmerskinder ihre Waldſchulen bis in das Alter
hinauf, wo ſie heirathen, was faſt unmittelbar von der Schule weg
geſchieht. Auch für die Burſchen gilt das. Freilich währt der Schul¬
gang nur drei bis vier Monate im Jahre und die Lehrgegenſtände
ſind einzig: Bibel und amerikaniſche Geſchichte. In letzterer war Settchen
genau bewandert. Den Unabhängigkeitskrieg z. B. kannte ſie ſo im Detail,
als ob jedes Vorpoſtengefecht wichtiger, als die Schlacht bei Leipzig
geweſen wäre. Verdammte Prahlſucht dieſes Volks, das alle Geſchichte
zu verachten affectirt, nur nicht ſein eigenes Geſchichtchen! Den deut¬
ſchen General Steuben dagegen kannte ſie wieder nicht. So
redigirt der Yankee ſeine Schulbücher! Ich knirſchte. Settchen knirſchte
auch, aber in ihre Pics, was eine Art ſchlechter Obſtkuchen iſt, die
ſie mit erſtaunlichem Appetite verzehrte. Dazu trank ſie Quantitäten
von Cider, daß mir nichts übrig blieb als in ſtiller Andacht zu bewundern.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/380>, abgerufen am 24.11.2024.
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