Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber Sir, es ist das parlour of the Ladies! bleckte der Golem und
hatte fast Lust mich am Arme fortzuziehen. Ich schleuderte ihn aber
sehr unsanft auf den Gang hinaus -- ich war wie ein angeschossener
Eber. Gestern kein Nachtessen, heute kein Bett -- der Teufel hole
diese Volkssitten. Ich zog mir die Stiefeln aus. Der Oelgötze auf
dem Gang glotzte mich an, wie Einen, der die Welt aus ihren Angeln
hebt, und brummte: Was wird Mister und Mistreß dazu sagen;
ich muß es melden. Meld' es dem Peter Bell! rief ich, aber wer
mir heraufkommt und mir die Nachtruhe stört, dem jag' ich eine
Kugel durch den Kopf. Damit wies ich ihm die Mündung meiner
Pistolen, warf die Thür in's Schloß und war für diesmal zu Hause.
Es ließ sich Niemand mehr blicken. Ich erleichtere mein Herz, indem
ich noch diese Zeilen an dich schreibe und mir den hübschen Kanarien¬
käfig mit dem Behagen eines Eroberers durchmustere. Ginge die
Reise nicht so langsam, ich müßte längst in Ohio sein. Aber die
Tage sind heiß und ich mache Kreuz- und Querzüge in allen Rich¬
tungen von der Straße ab. Will mich indeß doch sputen, denn du
siehst wohl, wie wenig behaglich ich reise. Im Urwald sind wir eine
Welt für uns und wollen auf zwanzig Meilen ein Beispiel sein.
Ja, allmählig geht der Umschlag in mir vor, ich halte nicht mehr zu
diesem Lande, um Muster zu sehen, sondern um Muster zu geben.
Diese Freien müssen durch uns Verknechtete ein wenig freier werden.
Gute Nacht, Bruder.


Nach Pittsburg. -- Lieber Bruder! Ich habe Dir heute eine
schmutzige Novelle zu erzählen, die ich zuletzt mit meinen Thränen
wusch. Ja, es ist mir verhängt, ich soll dieses Landes nicht froh
werden. Ich spreche von meiner Nachtherberge. Wollte mich heute ein¬
mal in ein Privathaus zu Gaste bitten, an einen traulichen deutschen
Familienherd. Denn ein deutscher Farm war's, der Abends vor mir
lag, -- man kennt solche Hofstellen schon meilenweit. Der Garten,
der sich sanft um einen schwellenden Hügel wand, strotzte von köstlichem
Edelobst -- das zieht nur der Deutsche. Feld und Hof umkränzten
grüne lebendige Hecken und nicht jene abscheulichen Fenzenzäune des
amerikanischen Styls -- es sind nur deutsche Zäune. Und wie die

Aber Sir, es iſt das parlour of the Ladies! bleckte der Golem und
hatte faſt Luſt mich am Arme fortzuziehen. Ich ſchleuderte ihn aber
ſehr unſanft auf den Gang hinaus — ich war wie ein angeſchoſſener
Eber. Geſtern kein Nachteſſen, heute kein Bett — der Teufel hole
dieſe Volksſitten. Ich zog mir die Stiefeln aus. Der Oelgötze auf
dem Gang glotzte mich an, wie Einen, der die Welt aus ihren Angeln
hebt, und brummte: Was wird Miſter und Miſtreß dazu ſagen;
ich muß es melden. Meld' es dem Peter Bell! rief ich, aber wer
mir heraufkommt und mir die Nachtruhe ſtört, dem jag' ich eine
Kugel durch den Kopf. Damit wies ich ihm die Mündung meiner
Piſtolen, warf die Thür in's Schloß und war für diesmal zu Hauſe.
Es ließ ſich Niemand mehr blicken. Ich erleichtere mein Herz, indem
ich noch dieſe Zeilen an dich ſchreibe und mir den hübſchen Kanarien¬
käfig mit dem Behagen eines Eroberers durchmuſtere. Ginge die
Reiſe nicht ſo langſam, ich müßte längſt in Ohio ſein. Aber die
Tage ſind heiß und ich mache Kreuz- und Querzüge in allen Rich¬
tungen von der Straße ab. Will mich indeß doch ſputen, denn du
ſiehſt wohl, wie wenig behaglich ich reiſe. Im Urwald ſind wir eine
Welt für uns und wollen auf zwanzig Meilen ein Beiſpiel ſein.
Ja, allmählig geht der Umſchlag in mir vor, ich halte nicht mehr zu
dieſem Lande, um Muſter zu ſehen, ſondern um Muſter zu geben.
Dieſe Freien müſſen durch uns Verknechtete ein wenig freier werden.
Gute Nacht, Bruder.


Nach Pittsburg. — Lieber Bruder! Ich habe Dir heute eine
ſchmutzige Novelle zu erzählen, die ich zuletzt mit meinen Thränen
wuſch. Ja, es iſt mir verhängt, ich ſoll dieſes Landes nicht froh
werden. Ich ſpreche von meiner Nachtherberge. Wollte mich heute ein¬
mal in ein Privathaus zu Gaſte bitten, an einen traulichen deutſchen
Familienherd. Denn ein deutſcher Farm war's, der Abends vor mir
lag, — man kennt ſolche Hofſtellen ſchon meilenweit. Der Garten,
der ſich ſanft um einen ſchwellenden Hügel wand, ſtrotzte von köſtlichem
Edelobſt — das zieht nur der Deutſche. Feld und Hof umkränzten
grüne lebendige Hecken und nicht jene abſcheulichen Fenzenzäune des
amerikaniſchen Styls — es ſind nur deutſche Zäune. Und wie die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0305" n="287"/>
            <p>Aber Sir, es i&#x017F;t das <hi rendition="#aq">parlour of the Ladies</hi>! bleckte der Golem und<lb/>
hatte fa&#x017F;t Lu&#x017F;t mich am Arme fortzuziehen. Ich &#x017F;chleuderte ihn aber<lb/>
&#x017F;ehr un&#x017F;anft auf den Gang hinaus &#x2014; ich war wie ein ange&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;ener<lb/>
Eber. Ge&#x017F;tern kein Nachte&#x017F;&#x017F;en, heute kein Bett &#x2014; der Teufel hole<lb/>
die&#x017F;e Volks&#x017F;itten. Ich zog mir die Stiefeln aus. Der Oelgötze auf<lb/>
dem Gang glotzte mich an, wie Einen, der die Welt aus ihren Angeln<lb/>
hebt, und brummte: Was wird Mi&#x017F;ter und Mi&#x017F;treß dazu &#x017F;agen;<lb/>
ich muß es melden. Meld' es dem Peter Bell! rief ich, aber wer<lb/>
mir heraufkommt und mir die Nachtruhe &#x017F;tört, dem jag' ich eine<lb/>
Kugel durch den Kopf. Damit wies ich ihm die Mündung meiner<lb/>
Pi&#x017F;tolen, warf die Thür in's Schloß und war für diesmal zu Hau&#x017F;e.<lb/>
Es ließ &#x017F;ich Niemand mehr blicken. Ich erleichtere mein Herz, indem<lb/>
ich noch die&#x017F;e Zeilen an dich &#x017F;chreibe und mir den hüb&#x017F;chen Kanarien¬<lb/>
käfig mit dem Behagen eines Eroberers durchmu&#x017F;tere. Ginge die<lb/>
Rei&#x017F;e nicht &#x017F;o lang&#x017F;am, ich müßte läng&#x017F;t in Ohio &#x017F;ein. Aber die<lb/>
Tage &#x017F;ind heiß und ich mache Kreuz- und Querzüge in allen Rich¬<lb/>
tungen von der Straße ab. Will mich indeß doch &#x017F;puten, denn du<lb/>
&#x017F;ieh&#x017F;t wohl, wie wenig behaglich ich rei&#x017F;e. Im Urwald &#x017F;ind wir eine<lb/>
Welt für uns und wollen auf zwanzig Meilen ein Bei&#x017F;piel &#x017F;ein.<lb/>
Ja, allmählig geht der Um&#x017F;chlag in mir vor, ich halte nicht mehr zu<lb/>
die&#x017F;em Lande, um Mu&#x017F;ter zu &#x017F;ehen, &#x017F;ondern um Mu&#x017F;ter zu geben.<lb/>
Die&#x017F;e Freien mü&#x017F;&#x017F;en durch uns Verknechtete ein wenig freier werden.<lb/>
Gute Nacht, Bruder.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p>Nach <hi rendition="#g">Pittsburg</hi>. &#x2014; Lieber Bruder! Ich habe Dir heute eine<lb/>
&#x017F;chmutzige Novelle zu erzählen, die ich zuletzt mit meinen Thränen<lb/>
wu&#x017F;ch. Ja, es i&#x017F;t mir verhängt, ich &#x017F;oll die&#x017F;es Landes nicht froh<lb/>
werden. Ich &#x017F;preche von meiner Nachtherberge. Wollte mich heute ein¬<lb/>
mal in ein Privathaus zu Ga&#x017F;te bitten, an einen traulichen deut&#x017F;chen<lb/>
Familienherd. Denn ein deut&#x017F;cher Farm war's, der Abends vor mir<lb/>
lag, &#x2014; man kennt &#x017F;olche Hof&#x017F;tellen &#x017F;chon meilenweit. Der Garten,<lb/>
der &#x017F;ich &#x017F;anft um einen &#x017F;chwellenden Hügel wand, &#x017F;trotzte von kö&#x017F;tlichem<lb/>
Edelob&#x017F;t &#x2014; das zieht nur der Deut&#x017F;che. Feld und Hof umkränzten<lb/>
grüne lebendige Hecken und nicht jene ab&#x017F;cheulichen Fenzenzäune des<lb/>
amerikani&#x017F;chen Styls &#x2014; es &#x017F;ind nur deut&#x017F;che Zäune. Und wie die<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[287/0305] Aber Sir, es iſt das parlour of the Ladies! bleckte der Golem und hatte faſt Luſt mich am Arme fortzuziehen. Ich ſchleuderte ihn aber ſehr unſanft auf den Gang hinaus — ich war wie ein angeſchoſſener Eber. Geſtern kein Nachteſſen, heute kein Bett — der Teufel hole dieſe Volksſitten. Ich zog mir die Stiefeln aus. Der Oelgötze auf dem Gang glotzte mich an, wie Einen, der die Welt aus ihren Angeln hebt, und brummte: Was wird Miſter und Miſtreß dazu ſagen; ich muß es melden. Meld' es dem Peter Bell! rief ich, aber wer mir heraufkommt und mir die Nachtruhe ſtört, dem jag' ich eine Kugel durch den Kopf. Damit wies ich ihm die Mündung meiner Piſtolen, warf die Thür in's Schloß und war für diesmal zu Hauſe. Es ließ ſich Niemand mehr blicken. Ich erleichtere mein Herz, indem ich noch dieſe Zeilen an dich ſchreibe und mir den hübſchen Kanarien¬ käfig mit dem Behagen eines Eroberers durchmuſtere. Ginge die Reiſe nicht ſo langſam, ich müßte längſt in Ohio ſein. Aber die Tage ſind heiß und ich mache Kreuz- und Querzüge in allen Rich¬ tungen von der Straße ab. Will mich indeß doch ſputen, denn du ſiehſt wohl, wie wenig behaglich ich reiſe. Im Urwald ſind wir eine Welt für uns und wollen auf zwanzig Meilen ein Beiſpiel ſein. Ja, allmählig geht der Umſchlag in mir vor, ich halte nicht mehr zu dieſem Lande, um Muſter zu ſehen, ſondern um Muſter zu geben. Dieſe Freien müſſen durch uns Verknechtete ein wenig freier werden. Gute Nacht, Bruder. Nach Pittsburg. — Lieber Bruder! Ich habe Dir heute eine ſchmutzige Novelle zu erzählen, die ich zuletzt mit meinen Thränen wuſch. Ja, es iſt mir verhängt, ich ſoll dieſes Landes nicht froh werden. Ich ſpreche von meiner Nachtherberge. Wollte mich heute ein¬ mal in ein Privathaus zu Gaſte bitten, an einen traulichen deutſchen Familienherd. Denn ein deutſcher Farm war's, der Abends vor mir lag, — man kennt ſolche Hofſtellen ſchon meilenweit. Der Garten, der ſich ſanft um einen ſchwellenden Hügel wand, ſtrotzte von köſtlichem Edelobſt — das zieht nur der Deutſche. Feld und Hof umkränzten grüne lebendige Hecken und nicht jene abſcheulichen Fenzenzäune des amerikaniſchen Styls — es ſind nur deutſche Zäune. Und wie die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/305
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/305>, abgerufen am 10.05.2024.