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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mich an: Halten Sie ein, mein Herr! Die sündige Creatur soll
nicht Speis und Trank genießen, ohne Ihm, dem Geber aller Gaben,
zu danken. Ich starrte den Klappermann an wie einen Verrückten,
diagnosticirte auf Gehirnvertrocknung und glaubte deßhalb ihm sein
Attentat verzeihen zu müssen. Ruhig setzte ich mich an mein Gericht.
In diesem Augenblicke aber riß mir die Wirthin so Tasse als
Schüssel vom Munde weg und rief: Wenn Sie der Aufforderung
unsers frommen und ehrwürdigen Reverend nicht Folge leisten, mein
Herr, so habe ich für Gottesleugner kein Brod unter meinem Dache;
dazu ist mir das Heil meiner Seele zu lieb. Was war zu machen?
Ich selbst hätte hungern können, aber meinem Gaul zu liebe betete
ich. -- We are in a free country! Mit diesem Zucker schluckt
man solche Pillen hinunter.


Nach Pittsburg. -- Gewitzigt von gestern Abend, dirigirte ich
mich heute in ein Städtchen, dem ein frequenteres Hotel zuzutrauen
war, als daß es die Andachtsübungen seiner Gäste überwachen sollte.
In der That war es so frequent, daß ichs von oben bis unten besetzt
fand, als ich ziemlich spät vortrabte und den schläfrigen Stewart
herauspochte. Er schleppte mich ein halb Dutzend Etagen unters
Dach hinauf und warf meinen Leichnam in eine enge niedere Boden¬
lucke wie in die Wolfsschlucht. Ich fiel fast um, als sich beim Ein¬
treten ein Schwadem schwüler Stickluft mir auf die Lunge legte, auch
glaubt' ich's rascheln zu hören. Deßungeachtet behauptete der Auf¬
wärter, es sei der einzige freie Raum im Hause. Unter diesen Um¬
ständen hieß ich ihn das nöthigste Bettzeug mitnehmen, ich wolle mich
lieber auf irgend einem Balkon oder Vorhaus, oder wie es sonst käme,
einrichten. Indem wir darüber delibrirten, gingen wir im ersten Stock
an einem allerliebsten niedlichen Zimmer vorüber, das offen stand und
unbewohnt war. Hier ist's ja frei, bedeutete ich dem Hausknecht.
Das ist das parlour of the Ladies, sagte er gleichgiltig und ging
weiter. Ich starrte ihn an, wie gestern den Reverend. Wie? ein
müder Reisender soll um Mitternacht auf ein Zimmer verzichten, weil
am Tage darin die Weiber plaudern? Augenblicklich warf ich meine
Betten hinein und hieß den Burschen mir zum Auskleiden leuchten.

mich an: Halten Sie ein, mein Herr! Die ſündige Creatur ſoll
nicht Speis und Trank genießen, ohne Ihm, dem Geber aller Gaben,
zu danken. Ich ſtarrte den Klappermann an wie einen Verrückten,
diagnoſticirte auf Gehirnvertrocknung und glaubte deßhalb ihm ſein
Attentat verzeihen zu müſſen. Ruhig ſetzte ich mich an mein Gericht.
In dieſem Augenblicke aber riß mir die Wirthin ſo Taſſe als
Schüſſel vom Munde weg und rief: Wenn Sie der Aufforderung
unſers frommen und ehrwürdigen Reverend nicht Folge leiſten, mein
Herr, ſo habe ich für Gottesleugner kein Brod unter meinem Dache;
dazu iſt mir das Heil meiner Seele zu lieb. Was war zu machen?
Ich ſelbſt hätte hungern können, aber meinem Gaul zu liebe betete
ich. — We are in a free country! Mit dieſem Zucker ſchluckt
man ſolche Pillen hinunter.


Nach Pittsburg. — Gewitzigt von geſtern Abend, dirigirte ich
mich heute in ein Städtchen, dem ein frequenteres Hotel zuzutrauen
war, als daß es die Andachtsübungen ſeiner Gäſte überwachen ſollte.
In der That war es ſo frequent, daß ichs von oben bis unten beſetzt
fand, als ich ziemlich ſpät vortrabte und den ſchläfrigen Stewart
herauspochte. Er ſchleppte mich ein halb Dutzend Etagen unters
Dach hinauf und warf meinen Leichnam in eine enge niedere Boden¬
lucke wie in die Wolfsſchlucht. Ich fiel faſt um, als ſich beim Ein¬
treten ein Schwadem ſchwüler Stickluft mir auf die Lunge legte, auch
glaubt' ich's raſcheln zu hören. Deßungeachtet behauptete der Auf¬
wärter, es ſei der einzige freie Raum im Hauſe. Unter dieſen Um¬
ſtänden hieß ich ihn das nöthigſte Bettzeug mitnehmen, ich wolle mich
lieber auf irgend einem Balkon oder Vorhaus, oder wie es ſonſt käme,
einrichten. Indem wir darüber delibrirten, gingen wir im erſten Stock
an einem allerliebſten niedlichen Zimmer vorüber, das offen ſtand und
unbewohnt war. Hier iſt's ja frei, bedeutete ich dem Hausknecht.
Das iſt das parlour of the Ladies, ſagte er gleichgiltig und ging
weiter. Ich ſtarrte ihn an, wie geſtern den Reverend. Wie? ein
müder Reiſender ſoll um Mitternacht auf ein Zimmer verzichten, weil
am Tage darin die Weiber plaudern? Augenblicklich warf ich meine
Betten hinein und hieß den Burſchen mir zum Auskleiden leuchten.

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[286/0304] mich an: Halten Sie ein, mein Herr! Die ſündige Creatur ſoll nicht Speis und Trank genießen, ohne Ihm, dem Geber aller Gaben, zu danken. Ich ſtarrte den Klappermann an wie einen Verrückten, diagnoſticirte auf Gehirnvertrocknung und glaubte deßhalb ihm ſein Attentat verzeihen zu müſſen. Ruhig ſetzte ich mich an mein Gericht. In dieſem Augenblicke aber riß mir die Wirthin ſo Taſſe als Schüſſel vom Munde weg und rief: Wenn Sie der Aufforderung unſers frommen und ehrwürdigen Reverend nicht Folge leiſten, mein Herr, ſo habe ich für Gottesleugner kein Brod unter meinem Dache; dazu iſt mir das Heil meiner Seele zu lieb. Was war zu machen? Ich ſelbſt hätte hungern können, aber meinem Gaul zu liebe betete ich. — We are in a free country! Mit dieſem Zucker ſchluckt man ſolche Pillen hinunter. Nach Pittsburg. — Gewitzigt von geſtern Abend, dirigirte ich mich heute in ein Städtchen, dem ein frequenteres Hotel zuzutrauen war, als daß es die Andachtsübungen ſeiner Gäſte überwachen ſollte. In der That war es ſo frequent, daß ichs von oben bis unten beſetzt fand, als ich ziemlich ſpät vortrabte und den ſchläfrigen Stewart herauspochte. Er ſchleppte mich ein halb Dutzend Etagen unters Dach hinauf und warf meinen Leichnam in eine enge niedere Boden¬ lucke wie in die Wolfsſchlucht. Ich fiel faſt um, als ſich beim Ein¬ treten ein Schwadem ſchwüler Stickluft mir auf die Lunge legte, auch glaubt' ich's raſcheln zu hören. Deßungeachtet behauptete der Auf¬ wärter, es ſei der einzige freie Raum im Hauſe. Unter dieſen Um¬ ſtänden hieß ich ihn das nöthigſte Bettzeug mitnehmen, ich wolle mich lieber auf irgend einem Balkon oder Vorhaus, oder wie es ſonſt käme, einrichten. Indem wir darüber delibrirten, gingen wir im erſten Stock an einem allerliebſten niedlichen Zimmer vorüber, das offen ſtand und unbewohnt war. Hier iſt's ja frei, bedeutete ich dem Hausknecht. Das iſt das parlour of the Ladies, ſagte er gleichgiltig und ging weiter. Ich ſtarrte ihn an, wie geſtern den Reverend. Wie? ein müder Reiſender ſoll um Mitternacht auf ein Zimmer verzichten, weil am Tage darin die Weiber plaudern? Augenblicklich warf ich meine Betten hinein und hieß den Burſchen mir zum Auskleiden leuchten.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/304>, abgerufen am 22.11.2024.