wie ein viereckiger Kasten, der vom Möbel-Transportwagen herabge¬ fallen ist. Es blickt dich an, so kalt, so nüchtern, ohne Horizont, ohne Perspektive. Kein Blumengarten, kein Baumschatten umgibt es mit traulichem Gehege. Die Felder sind ein wüster Anblick, kaum aus dem Gröbsten gearbeitet, hastig, oberflächlich, denn die Arbeit ist theuer, das Land wohlfeil, man preßt's eilig aus, verkauft und verläßt es dann. Die Zickzack-Zäune, die sog. Virginia-Fenzen vollenden den widerwärtigen Anblick. Es ist geradezu eine Marter für das Auge, einen weiten Landstrich zu sehen, angefüllt mit dieser Unzahl gebrochner und geknickter Linien, -- die "freie Natur" in lauter Dreiecke ausge¬ nestelt. Und wie der einzelne Farm, so die Gruppe. Ihr Neben¬ einander gibt so wenig ein harmonisches Bild, als zusammengeflossene Kleckse ein Gemälde geben. Ein Dorf suchst du vergebens hier. Ist das Blockhaus-Stadium überwunden, so baut sich das Nest aus Stein oder Fachwerk auf, übertüncht sich mit schreienden Lackfarben und nennt sich Stadt. Die Kaffern heißen dann Ladies und Gentlemens, ihre ABC-Schule Universität, ihr Gemeindehaus City-Hall, sie führen eau de Cologne, abonniren ein Pariser Moden-Journal und auf den Karten findest du die ganze Hühnersteige unter dem Namen Athen, Rom, Troja, Karthago, Syrakus, Petersburg, Nanking. Oft kommt die ganze Stadt auf dem Transportwagen, noch glänzend vom Hobel her, und stellt sich auf wie aus der Puppenschachtel. Fällt dir vor solch einem lackirten Ding irgend ein bemooster Dorf-Knorren in Franken oder Schwaben ein, so vergehen dir alle Sinne. Es sind gar zu scharfe, schneidende Lichter in diesem Lande.
Nach Pittsburg. Müde und hungrig erreichte ich gestern Abend ein einzelnes Haus an der Straße, ein sogenanntes Privat-Enterain¬ ment, das sich aber doch mit seiner Aufschrift auf einer Schindel, welche an einem Pfahl steckte, ein County-Hotel nannte. Ich resig¬ nirte auf ein sumptuoses Souper in dieser Taverne und nahm mit zufriedenem Herzen was da war -- eine Tasse schlechten Thee zu ein paar Eiern und gebratenen Speck. Indem ich an diese Tafelgenüsse aber Hand anlege, fährt ein Gespenst aus einer dunkeln Stubenecke auf, ein alter gelber Knochen, ein Mensch wie eine Leiche und donnert
wie ein viereckiger Kaſten, der vom Möbel-Transportwagen herabge¬ fallen iſt. Es blickt dich an, ſo kalt, ſo nüchtern, ohne Horizont, ohne Perſpektive. Kein Blumengarten, kein Baumſchatten umgibt es mit traulichem Gehege. Die Felder ſind ein wüſter Anblick, kaum aus dem Gröbſten gearbeitet, haſtig, oberflächlich, denn die Arbeit iſt theuer, das Land wohlfeil, man preßt's eilig aus, verkauft und verläßt es dann. Die Zickzack-Zäune, die ſog. Virginia-Fenzen vollenden den widerwärtigen Anblick. Es iſt geradezu eine Marter für das Auge, einen weiten Landſtrich zu ſehen, angefüllt mit dieſer Unzahl gebrochner und geknickter Linien, — die „freie Natur“ in lauter Dreiecke ausge¬ neſtelt. Und wie der einzelne Farm, ſo die Gruppe. Ihr Neben¬ einander gibt ſo wenig ein harmoniſches Bild, als zuſammengefloſſene Kleckſe ein Gemälde geben. Ein Dorf ſuchſt du vergebens hier. Iſt das Blockhaus-Stadium überwunden, ſo baut ſich das Neſt aus Stein oder Fachwerk auf, übertüncht ſich mit ſchreienden Lackfarben und nennt ſich Stadt. Die Kaffern heißen dann Ladies und Gentlemens, ihre ABC-Schule Univerſität, ihr Gemeindehaus City-Hall, ſie führen eau de Cologne, abonniren ein Pariſer Moden-Journal und auf den Karten findeſt du die ganze Hühnerſteige unter dem Namen Athen, Rom, Troja, Karthago, Syrakus, Petersburg, Nanking. Oft kommt die ganze Stadt auf dem Transportwagen, noch glänzend vom Hobel her, und ſtellt ſich auf wie aus der Puppenſchachtel. Fällt dir vor ſolch einem lackirten Ding irgend ein bemooster Dorf-Knorren in Franken oder Schwaben ein, ſo vergehen dir alle Sinne. Es ſind gar zu ſcharfe, ſchneidende Lichter in dieſem Lande.
Nach Pittsburg. Müde und hungrig erreichte ich geſtern Abend ein einzelnes Haus an der Straße, ein ſogenanntes Privat-Enterain¬ ment, das ſich aber doch mit ſeiner Aufſchrift auf einer Schindel, welche an einem Pfahl ſteckte, ein County-Hotel nannte. Ich reſig¬ nirte auf ein ſumptuoſes Souper in dieſer Taverne und nahm mit zufriedenem Herzen was da war — eine Taſſe ſchlechten Thee zu ein paar Eiern und gebratenen Speck. Indem ich an dieſe Tafelgenüſſe aber Hand anlege, fährt ein Geſpenſt aus einer dunkeln Stubenecke auf, ein alter gelber Knochen, ein Menſch wie eine Leiche und donnert
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[285/0303]
wie ein viereckiger Kaſten, der vom Möbel-Transportwagen herabge¬
fallen iſt. Es blickt dich an, ſo kalt, ſo nüchtern, ohne Horizont, ohne
Perſpektive. Kein Blumengarten, kein Baumſchatten umgibt es mit
traulichem Gehege. Die Felder ſind ein wüſter Anblick, kaum aus
dem Gröbſten gearbeitet, haſtig, oberflächlich, denn die Arbeit iſt theuer,
das Land wohlfeil, man preßt's eilig aus, verkauft und verläßt es
dann. Die Zickzack-Zäune, die ſog. Virginia-Fenzen vollenden den
widerwärtigen Anblick. Es iſt geradezu eine Marter für das Auge,
einen weiten Landſtrich zu ſehen, angefüllt mit dieſer Unzahl gebrochner
und geknickter Linien, — die „freie Natur“ in lauter Dreiecke ausge¬
neſtelt. Und wie der einzelne Farm, ſo die Gruppe. Ihr Neben¬
einander gibt ſo wenig ein harmoniſches Bild, als zuſammengefloſſene
Kleckſe ein Gemälde geben. Ein Dorf ſuchſt du vergebens hier. Iſt
das Blockhaus-Stadium überwunden, ſo baut ſich das Neſt aus Stein
oder Fachwerk auf, übertüncht ſich mit ſchreienden Lackfarben und
nennt ſich Stadt. Die Kaffern heißen dann Ladies und Gentlemens,
ihre ABC-Schule Univerſität, ihr Gemeindehaus City-Hall, ſie führen
eau de Cologne, abonniren ein Pariſer Moden-Journal und auf
den Karten findeſt du die ganze Hühnerſteige unter dem Namen Athen,
Rom, Troja, Karthago, Syrakus, Petersburg, Nanking. Oft kommt
die ganze Stadt auf dem Transportwagen, noch glänzend vom Hobel
her, und ſtellt ſich auf wie aus der Puppenſchachtel. Fällt dir vor
ſolch einem lackirten Ding irgend ein bemooster Dorf-Knorren in Franken
oder Schwaben ein, ſo vergehen dir alle Sinne. Es ſind gar zu
ſcharfe, ſchneidende Lichter in dieſem Lande.
Nach Pittsburg. Müde und hungrig erreichte ich geſtern Abend
ein einzelnes Haus an der Straße, ein ſogenanntes Privat-Enterain¬
ment, das ſich aber doch mit ſeiner Aufſchrift auf einer Schindel,
welche an einem Pfahl ſteckte, ein County-Hotel nannte. Ich reſig¬
nirte auf ein ſumptuoſes Souper in dieſer Taverne und nahm mit
zufriedenem Herzen was da war — eine Taſſe ſchlechten Thee zu ein
paar Eiern und gebratenen Speck. Indem ich an dieſe Tafelgenüſſe
aber Hand anlege, fährt ein Geſpenſt aus einer dunkeln Stubenecke
auf, ein alter gelber Knochen, ein Menſch wie eine Leiche und donnert
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/303>, abgerufen am 22.11.2024.
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