diener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. -- Ich sprach von Wind und Wetter, die sind gleichfalls prosaisch in den Alleghanen. Gestern erlebt' ich ein Gewitter, das war so zahm, daß es mir fast aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäischen Mittel¬ gebirgen gleicher Höhe an Effekten der Optik und Akustik leistet, fehlt hier. Engpässe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwande¬ rungen, Zacken, Spitze, Kante -- nichts dieser Art wirkt hier auf die atmosphärische Landschaft zurück. Ueberraschende Lichtwechsel, kühne Wolkenbildungen, starke Donner, phantastische Echo's gehören nicht zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel ist so arm wie die Erde. Droben geistlos, drunten formlos -- so reise ich durch dieses "unentwickelte Bergsystem".
Nach Pittsburg. -- Auch die heutige Strecke war arm an Naturschönheiten. Manch freundliche Ansicht -- aber man wird das Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt. Es fehlt gar zu sehr an Abwechslung. Die amerikanische Landschaft gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu sein wissen, als Geschlecht. Da ist ein gewisses Inventar von natürlichen Mitteln; wirken sie -- gut; wenn nicht -- nicht. Aber Holz und Wasser ist noch nicht Wald und Fluß. Ueberall fehlt der Natur Sinn für schöne Gruppirung; sie weiß nicht zu überraschen, nicht zu zürnen, nicht zu versöhnen; was Licht und Schatten, was die Macht der Nüance sei -- nichts weiß sie, nichts. Jener Ober-Chinese, der den Ausdruck erfunden hat "Vorrathskammern der Natur", verdient Entschuldigung; was ich von dem Lande hier sehe, hätt' ich ihn selbst erfunden. So und so viel Centner Braunkohle, Eisenstein, Gyps, Mergel, das ist hier die Natur. Ob diese "Bodenschätze" (auch ein verfluchtes Wort!) mit einer malerischen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür ist nirgends gesorgt. Auch von "Culturlandschaft" ist eigentlich nur unter deutschen Händen die Rede. Amerikanische Cultur entstellt das Land eher, als daß sie es verschönert. Der Amerikaner ist nicht Bauer, nur Frei¬ beuter. Er setzt seinen Fuß auf die Erde, haut, sticht, sengt und brennt in sie hinein, und verläßt sie dann wieder. Er hat kein Ge¬ müthsverhältniß zum Boden, auf dem er sitzt. Sein Haus liegt da
diener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. — Ich ſprach von Wind und Wetter, die ſind gleichfalls proſaiſch in den Alleghanen. Geſtern erlebt' ich ein Gewitter, das war ſo zahm, daß es mir faſt aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäiſchen Mittel¬ gebirgen gleicher Höhe an Effekten der Optik und Akuſtik leiſtet, fehlt hier. Engpäſſe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwande¬ rungen, Zacken, Spitze, Kante — nichts dieſer Art wirkt hier auf die atmoſphäriſche Landſchaft zurück. Ueberraſchende Lichtwechſel, kühne Wolkenbildungen, ſtarke Donner, phantaſtiſche Echo's gehören nicht zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel iſt ſo arm wie die Erde. Droben geiſtlos, drunten formlos — ſo reiſe ich durch dieſes „unentwickelte Bergſyſtem”.
Nach Pittsburg. — Auch die heutige Strecke war arm an Naturſchönheiten. Manch freundliche Anſicht — aber man wird das Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt. Es fehlt gar zu ſehr an Abwechslung. Die amerikaniſche Landſchaft gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu ſein wiſſen, als Geſchlecht. Da iſt ein gewiſſes Inventar von natürlichen Mitteln; wirken ſie — gut; wenn nicht — nicht. Aber Holz und Waſſer iſt noch nicht Wald und Fluß. Ueberall fehlt der Natur Sinn für ſchöne Gruppirung; ſie weiß nicht zu überraſchen, nicht zu zürnen, nicht zu verſöhnen; was Licht und Schatten, was die Macht der Nüance ſei — nichts weiß ſie, nichts. Jener Ober-Chineſe, der den Ausdruck erfunden hat „Vorrathskammern der Natur”, verdient Entſchuldigung; was ich von dem Lande hier ſehe, hätt' ich ihn ſelbſt erfunden. So und ſo viel Centner Braunkohle, Eiſenſtein, Gyps, Mergel, das iſt hier die Natur. Ob dieſe „Bodenſchätze“ (auch ein verfluchtes Wort!) mit einer maleriſchen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür iſt nirgends geſorgt. Auch von „Culturlandſchaft“ iſt eigentlich nur unter deutſchen Händen die Rede. Amerikaniſche Cultur entſtellt das Land eher, als daß ſie es verſchönert. Der Amerikaner iſt nicht Bauer, nur Frei¬ beuter. Er ſetzt ſeinen Fuß auf die Erde, haut, ſticht, ſengt und brennt in ſie hinein, und verläßt ſie dann wieder. Er hat kein Ge¬ müthsverhältniß zum Boden, auf dem er ſitzt. Sein Haus liegt da
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0302"n="284"/>
diener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. — Ich ſprach von<lb/>
Wind und Wetter, die ſind gleichfalls proſaiſch in den Alleghanen.<lb/>
Geſtern erlebt' ich ein Gewitter, das war ſo zahm, daß es mir faſt<lb/>
aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäiſchen Mittel¬<lb/>
gebirgen gleicher Höhe an Effekten der Optik und Akuſtik leiſtet, fehlt<lb/>
hier. Engpäſſe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwande¬<lb/>
rungen, Zacken, Spitze, Kante — nichts dieſer Art wirkt hier auf die<lb/>
atmoſphäriſche Landſchaft zurück. Ueberraſchende Lichtwechſel, kühne<lb/>
Wolkenbildungen, ſtarke Donner, phantaſtiſche Echo's gehören nicht<lb/>
zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel iſt ſo arm<lb/>
wie die Erde. Droben geiſtlos, drunten formlos —ſo reiſe ich<lb/>
durch dieſes „unentwickelte Bergſyſtem”.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Nach <hirendition="#g">Pittsburg</hi>. — Auch die heutige Strecke war arm an<lb/>
Naturſchönheiten. Manch freundliche Anſicht — aber man wird das<lb/>
Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt.<lb/>
Es fehlt gar zu ſehr an Abwechslung. Die amerikaniſche Landſchaft<lb/>
gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu ſein wiſſen, als Geſchlecht.<lb/>
Da iſt ein gewiſſes Inventar von natürlichen Mitteln; wirken ſie —<lb/>
gut; wenn nicht — nicht. Aber Holz und Waſſer iſt noch nicht Wald<lb/>
und Fluß. Ueberall fehlt der Natur Sinn für ſchöne Gruppirung;<lb/>ſie weiß nicht zu überraſchen, nicht zu zürnen, nicht zu verſöhnen;<lb/>
was Licht und Schatten, was die Macht der Nüance ſei — nichts<lb/>
weiß ſie, nichts. Jener Ober-Chineſe, der den Ausdruck erfunden<lb/>
hat „Vorrathskammern der Natur”, verdient Entſchuldigung; was ich<lb/>
von dem Lande hier ſehe, hätt' ich ihn ſelbſt erfunden. So und ſo<lb/>
viel Centner Braunkohle, Eiſenſtein, Gyps, Mergel, das iſt hier die<lb/>
Natur. Ob dieſe „Bodenſchätze“ (auch ein verfluchtes Wort!) mit<lb/>
einer maleriſchen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür iſt nirgends<lb/>
geſorgt. Auch von „Culturlandſchaft“ iſt eigentlich nur unter deutſchen<lb/>
Händen die Rede. Amerikaniſche Cultur entſtellt das Land eher, als<lb/>
daß ſie es verſchönert. Der Amerikaner iſt nicht Bauer, nur Frei¬<lb/>
beuter. Er ſetzt ſeinen Fuß auf die Erde, haut, ſticht, ſengt und<lb/>
brennt in ſie hinein, und verläßt ſie dann wieder. Er hat kein Ge¬<lb/>
müthsverhältniß zum Boden, auf dem er ſitzt. Sein Haus liegt da<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[284/0302]
diener der Quadratmeilen gewöhnlich ausrechnen. — Ich ſprach von
Wind und Wetter, die ſind gleichfalls proſaiſch in den Alleghanen.
Geſtern erlebt' ich ein Gewitter, das war ſo zahm, daß es mir faſt
aus der Hand fraß. Alles, was ein Gewitter in europäiſchen Mittel¬
gebirgen gleicher Höhe an Effekten der Optik und Akuſtik leiſtet, fehlt
hier. Engpäſſe, Schluchten, Abgründe, reichgegliederte Bergwande¬
rungen, Zacken, Spitze, Kante — nichts dieſer Art wirkt hier auf die
atmoſphäriſche Landſchaft zurück. Ueberraſchende Lichtwechſel, kühne
Wolkenbildungen, ſtarke Donner, phantaſtiſche Echo's gehören nicht
zum Heerbann des Alleghany-Gewitters. Der Himmel iſt ſo arm
wie die Erde. Droben geiſtlos, drunten formlos — ſo reiſe ich
durch dieſes „unentwickelte Bergſyſtem”.
Nach Pittsburg. — Auch die heutige Strecke war arm an
Naturſchönheiten. Manch freundliche Anſicht — aber man wird das
Freundliche doch endlich müde, wenn es ewig das Nämliche bleibt.
Es fehlt gar zu ſehr an Abwechslung. Die amerikaniſche Landſchaft
gleicht jenen Weibern, welche eben nichts zu ſein wiſſen, als Geſchlecht.
Da iſt ein gewiſſes Inventar von natürlichen Mitteln; wirken ſie —
gut; wenn nicht — nicht. Aber Holz und Waſſer iſt noch nicht Wald
und Fluß. Ueberall fehlt der Natur Sinn für ſchöne Gruppirung;
ſie weiß nicht zu überraſchen, nicht zu zürnen, nicht zu verſöhnen;
was Licht und Schatten, was die Macht der Nüance ſei — nichts
weiß ſie, nichts. Jener Ober-Chineſe, der den Ausdruck erfunden
hat „Vorrathskammern der Natur”, verdient Entſchuldigung; was ich
von dem Lande hier ſehe, hätt' ich ihn ſelbſt erfunden. So und ſo
viel Centner Braunkohle, Eiſenſtein, Gyps, Mergel, das iſt hier die
Natur. Ob dieſe „Bodenſchätze“ (auch ein verfluchtes Wort!) mit
einer maleriſchen Oberfläche das Auge erfreuen, dafür iſt nirgends
geſorgt. Auch von „Culturlandſchaft“ iſt eigentlich nur unter deutſchen
Händen die Rede. Amerikaniſche Cultur entſtellt das Land eher, als
daß ſie es verſchönert. Der Amerikaner iſt nicht Bauer, nur Frei¬
beuter. Er ſetzt ſeinen Fuß auf die Erde, haut, ſticht, ſengt und
brennt in ſie hinein, und verläßt ſie dann wieder. Er hat kein Ge¬
müthsverhältniß zum Boden, auf dem er ſitzt. Sein Haus liegt da
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/302>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.