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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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einem eigenen Kunstausdruck Quäcker-Augen-Grün nennen müssen.
In der That, diese Fuchsnasen und Katzenaugen sind die physiogno¬
mischen Grundzüge der Bruderstadt. Dabei herrscht für ein so großes
Straßenleben eine widernatürliche Stille und Sauberkeit hier. Die
Stadt soll 300,000 Einwohner haben -- und sind sie alle lebendig?
fragt' ich unwillkürlich, als ich's zum erstenmal hörte. Die guten
Quäcker bilden sich freilich ein, ihre Residenz habe ein aristokratisches
Air; zugestanden meinethalben; man glaubt nämlich eines jener hoch¬
aristokratischen Skelette vor sich zu haben, denen allerdings kein sterb¬
licher Schweißtropfen mehr an die Haut tritt, aus dem einfachen Grunde,
weil sie überhaupt nicht mehr lebendig functioniren und ihre ganze
Diät auf einen Hühnerflügel und eine Morrison'sche Pille reducirt ist.
So laufen auch hier jene Schweine nicht herum, welchen man in
den Nebenstraßen Newyorks begegnet; dafür begegnen Dir auffallend
viele Pfarrer hier, was noch ärger ist. So ein Quäcker-Pfarrer, der
in Vater Penns Bruderliebe macht, ist vollends unbeschreiblich. Da
wandelt er einher in seinem langschößigen oxfordfarbigen Rock, den
Kopf in einen steifen Kragen eingekeilt, einen Hut mit niedriger Krone
und breiter Krämpe auf den mausgrauen Haaren, silberne Schnallen
an den blankgewichsten Schuhen, und im Gesichte, das eine Mischfarbe
von Talg und welken Herbstblättern hat, ein altgebackenes schimmeliges
Lächeln, eine unaussprechlich-erlogene Mischung der schärfsten egoistischen
Gifte mit süßlichen Ingredienzen -- nein, dieses Lächeln ist nicht zu
copiren, ich wiederhole es noch einmal. Im mildesten Falle gleicht es
einem Topf voll verdorbener Compote, in welchem die Zuckergährung
mißlungen ist, in der Regel aber ist es bösartiger. Wahrlich, der
wunderliche Girard wußte was er that, als er mit fürstlicher Munifi¬
cenz sein Girard-College, die größte Privatstiftung der Welt, gründete,
aber die testamentarische Bestimmung hinzufügte, daß kein Geistlicher
von was immer für einer Glaubenssecte die Schwelle seiner Anstalt
betreten dürfe. In Europa, wo man herrschende Kirchen hat, lebt
der Geistliche, namentlich der katholische, im Corporationsgefühl einer
gefestigten und angesehenen Stellung mit einer gewissen Naivetät, die
ihn zum bequemen, häufig zum liebenswürdigen Gesellschafter macht;
hier, wo die Kirche als solche nichts gilt, wo geistliche Gemeinden sich
bilden und auflösen wie Theekränzchens, wo es leichter ist, eine Wiese

einem eigenen Kunſtausdruck Quäcker-Augen-Grün nennen müſſen.
In der That, dieſe Fuchsnaſen und Katzenaugen ſind die phyſiogno¬
miſchen Grundzüge der Bruderſtadt. Dabei herrſcht für ein ſo großes
Straßenleben eine widernatürliche Stille und Sauberkeit hier. Die
Stadt ſoll 300,000 Einwohner haben — und ſind ſie alle lebendig?
fragt' ich unwillkürlich, als ich's zum erſtenmal hörte. Die guten
Quäcker bilden ſich freilich ein, ihre Reſidenz habe ein ariſtokratiſches
Air; zugeſtanden meinethalben; man glaubt nämlich eines jener hoch¬
ariſtokratiſchen Skelette vor ſich zu haben, denen allerdings kein ſterb¬
licher Schweißtropfen mehr an die Haut tritt, aus dem einfachen Grunde,
weil ſie überhaupt nicht mehr lebendig functioniren und ihre ganze
Diät auf einen Hühnerflügel und eine Morriſon'ſche Pille reducirt iſt.
So laufen auch hier jene Schweine nicht herum, welchen man in
den Nebenſtraßen Newyorks begegnet; dafür begegnen Dir auffallend
viele Pfarrer hier, was noch ärger iſt. So ein Quäcker-Pfarrer, der
in Vater Penns Bruderliebe macht, iſt vollends unbeſchreiblich. Da
wandelt er einher in ſeinem langſchößigen oxfordfarbigen Rock, den
Kopf in einen ſteifen Kragen eingekeilt, einen Hut mit niedriger Krone
und breiter Krämpe auf den mausgrauen Haaren, ſilberne Schnallen
an den blankgewichsten Schuhen, und im Geſichte, das eine Miſchfarbe
von Talg und welken Herbſtblättern hat, ein altgebackenes ſchimmeliges
Lächeln, eine unausſprechlich-erlogene Miſchung der ſchärfſten egoiſtiſchen
Gifte mit ſüßlichen Ingredienzen — nein, dieſes Lächeln iſt nicht zu
copiren, ich wiederhole es noch einmal. Im mildeſten Falle gleicht es
einem Topf voll verdorbener Compote, in welchem die Zuckergährung
mißlungen iſt, in der Regel aber iſt es bösartiger. Wahrlich, der
wunderliche Girard wußte was er that, als er mit fürſtlicher Munifi¬
cenz ſein Girard-College, die größte Privatſtiftung der Welt, gründete,
aber die teſtamentariſche Beſtimmung hinzufügte, daß kein Geiſtlicher
von was immer für einer Glaubensſecte die Schwelle ſeiner Anſtalt
betreten dürfe. In Europa, wo man herrſchende Kirchen hat, lebt
der Geiſtliche, namentlich der katholiſche, im Corporationsgefühl einer
gefeſtigten und angeſehenen Stellung mit einer gewiſſen Naivetät, die
ihn zum bequemen, häufig zum liebenswürdigen Geſellſchafter macht;
hier, wo die Kirche als ſolche nichts gilt, wo geiſtliche Gemeinden ſich
bilden und auflöſen wie Theekränzchens, wo es leichter iſt, eine Wieſe

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[265/0283] einem eigenen Kunſtausdruck Quäcker-Augen-Grün nennen müſſen. In der That, dieſe Fuchsnaſen und Katzenaugen ſind die phyſiogno¬ miſchen Grundzüge der Bruderſtadt. Dabei herrſcht für ein ſo großes Straßenleben eine widernatürliche Stille und Sauberkeit hier. Die Stadt ſoll 300,000 Einwohner haben — und ſind ſie alle lebendig? fragt' ich unwillkürlich, als ich's zum erſtenmal hörte. Die guten Quäcker bilden ſich freilich ein, ihre Reſidenz habe ein ariſtokratiſches Air; zugeſtanden meinethalben; man glaubt nämlich eines jener hoch¬ ariſtokratiſchen Skelette vor ſich zu haben, denen allerdings kein ſterb¬ licher Schweißtropfen mehr an die Haut tritt, aus dem einfachen Grunde, weil ſie überhaupt nicht mehr lebendig functioniren und ihre ganze Diät auf einen Hühnerflügel und eine Morriſon'ſche Pille reducirt iſt. So laufen auch hier jene Schweine nicht herum, welchen man in den Nebenſtraßen Newyorks begegnet; dafür begegnen Dir auffallend viele Pfarrer hier, was noch ärger iſt. So ein Quäcker-Pfarrer, der in Vater Penns Bruderliebe macht, iſt vollends unbeſchreiblich. Da wandelt er einher in ſeinem langſchößigen oxfordfarbigen Rock, den Kopf in einen ſteifen Kragen eingekeilt, einen Hut mit niedriger Krone und breiter Krämpe auf den mausgrauen Haaren, ſilberne Schnallen an den blankgewichsten Schuhen, und im Geſichte, das eine Miſchfarbe von Talg und welken Herbſtblättern hat, ein altgebackenes ſchimmeliges Lächeln, eine unausſprechlich-erlogene Miſchung der ſchärfſten egoiſtiſchen Gifte mit ſüßlichen Ingredienzen — nein, dieſes Lächeln iſt nicht zu copiren, ich wiederhole es noch einmal. Im mildeſten Falle gleicht es einem Topf voll verdorbener Compote, in welchem die Zuckergährung mißlungen iſt, in der Regel aber iſt es bösartiger. Wahrlich, der wunderliche Girard wußte was er that, als er mit fürſtlicher Munifi¬ cenz ſein Girard-College, die größte Privatſtiftung der Welt, gründete, aber die teſtamentariſche Beſtimmung hinzufügte, daß kein Geiſtlicher von was immer für einer Glaubensſecte die Schwelle ſeiner Anſtalt betreten dürfe. In Europa, wo man herrſchende Kirchen hat, lebt der Geiſtliche, namentlich der katholiſche, im Corporationsgefühl einer gefeſtigten und angeſehenen Stellung mit einer gewiſſen Naivetät, die ihn zum bequemen, häufig zum liebenswürdigen Geſellſchafter macht; hier, wo die Kirche als ſolche nichts gilt, wo geiſtliche Gemeinden ſich bilden und auflöſen wie Theekränzchens, wo es leichter iſt, eine Wieſe

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/283>, abgerufen am 23.11.2024.