Nation von Souverainen. Es thäte mir leid, wenn's nicht so wäre. -- Klingt das nicht prächtig? Schade nur, daß das Schöne einen so kurzen Moment hat! Denn kaum waren wir eine Meile weiter ge¬ fahren, als an der nächsten Station ein Conducteur seine Streife durch den Wagen machte und uns die Fahrtaxe nach Philadelphia ab¬ forderte. Wir staunten nicht wenig. Der Mann trug ditto kein Ab¬ zeichen, aber seine Legitimation, die wir ihm abfragten, war in Ord¬ nung, und so blieb nichts anders übrig, als die Börse zum zweiten¬ male zu ziehen. Das ist die Lehre von der Toilette dieser Republik. Bürgermilizen prangen in höchst überflüssigen Uniformen, und Con¬ ducteure perhorresciren höchst nothwendige Abzeichen. -- "Wir sind eine Nation von Souverainen"; das ist freilich die Wahrheit: aber auch von Beutelschneidern, -- das ist die ganze Wahrheit.
Philadelphia. -- Ich bin in der zweiten Hauptstadt Amerika's angekommen. Wie sie mir gefällt? Lieber Bruder! Nimm einen Westenstoff, der bekanntlich ein viereckiger Fleck ist, laß das Muster selbst wieder quadrillirt sein, und denke Dir, Du siehst Philadelphia. Die ganze Stadt ist ein großes Quadrat, und wie sich sämmtliche Straßen im rechten Winkel schneiden, so besteht sie aus lauter kleinen Quadraten. Ich komme mir in Philadelphia vor wie das Thier "von einem bösen Geist -- nicht im Kreis, sondern im Viereck herum geführt." Ich gehe stundenlang in der Stadt herum und be¬ merke nicht, daß ich von der Stelle komme. Jede Straße wiederholt die vorhergehende, jedes Quarre von Häusern ist wie ein Feld im Schachbrett allen übrigen gleich. Berlin und Mannheim sind mit wahrhaft orientalischer Phantasie gebaut gegen die stocksteife Einförmigkeit von Philadelphia. Die Häuser, die Bäume, die Gesichter könnten aus einer Schneidemaschine herausgefallen sein, so fabriksmäßig uniform ist Alles einander. Ja, auch die Gesichter. Hinter jeder Fenstergardine steht genau die nämliche dünnspitze Fuchs¬ nase, blinzelt das nämliche mißfarbige Augenpaar, das mit einem Blick in den Himmel und mit dem andern in die Dollarkiste schielt, und das von dem blauen und gelben Reflex des Himmels und des Dollars einen verflucht grünlichen Farbenton annimmt, den wir mit
Nation von Souverainen. Es thäte mir leid, wenn's nicht ſo wäre. — Klingt das nicht prächtig? Schade nur, daß das Schöne einen ſo kurzen Moment hat! Denn kaum waren wir eine Meile weiter ge¬ fahren, als an der nächſten Station ein Conducteur ſeine Streife durch den Wagen machte und uns die Fahrtaxe nach Philadelphia ab¬ forderte. Wir ſtaunten nicht wenig. Der Mann trug ditto kein Ab¬ zeichen, aber ſeine Legitimation, die wir ihm abfragten, war in Ord¬ nung, und ſo blieb nichts anders übrig, als die Börſe zum zweiten¬ male zu ziehen. Das iſt die Lehre von der Toilette dieſer Republik. Bürgermilizen prangen in höchſt überflüſſigen Uniformen, und Con¬ ducteure perhorresciren höchſt nothwendige Abzeichen. — „Wir ſind eine Nation von Souverainen“; das iſt freilich die Wahrheit: aber auch von Beutelſchneidern, — das iſt die ganze Wahrheit.
Philadelphia. — Ich bin in der zweiten Hauptſtadt Amerika's angekommen. Wie ſie mir gefällt? Lieber Bruder! Nimm einen Weſtenſtoff, der bekanntlich ein viereckiger Fleck iſt, laß das Muſter ſelbſt wieder quadrillirt ſein, und denke Dir, Du ſiehſt Philadelphia. Die ganze Stadt iſt ein großes Quadrat, und wie ſich ſämmtliche Straßen im rechten Winkel ſchneiden, ſo beſteht ſie aus lauter kleinen Quadraten. Ich komme mir in Philadelphia vor wie das Thier „von einem böſen Geiſt — nicht im Kreis, ſondern im Viereck herum geführt.” Ich gehe ſtundenlang in der Stadt herum und be¬ merke nicht, daß ich von der Stelle komme. Jede Straße wiederholt die vorhergehende, jedes Quarré von Häuſern iſt wie ein Feld im Schachbrett allen übrigen gleich. Berlin und Mannheim ſind mit wahrhaft orientaliſcher Phantaſie gebaut gegen die ſtockſteife Einförmigkeit von Philadelphia. Die Häuſer, die Bäume, die Geſichter könnten aus einer Schneidemaſchine herausgefallen ſein, ſo fabriksmäßig uniform iſt Alles einander. Ja, auch die Geſichter. Hinter jeder Fenſtergardine ſteht genau die nämliche dünnſpitze Fuchs¬ naſe, blinzelt das nämliche mißfarbige Augenpaar, das mit einem Blick in den Himmel und mit dem andern in die Dollarkiſte ſchielt, und das von dem blauen und gelben Reflex des Himmels und des Dollars einen verflucht grünlichen Farbenton annimmt, den wir mit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0282"n="264"/>
Nation von Souverainen. Es thäte mir leid, wenn's nicht ſo wäre. —<lb/>
Klingt das nicht prächtig? Schade nur, daß das Schöne einen ſo<lb/>
kurzen Moment hat! Denn kaum waren wir eine Meile weiter ge¬<lb/>
fahren, als an der nächſten Station ein Conducteur ſeine Streife<lb/>
durch den Wagen machte und uns die Fahrtaxe nach Philadelphia ab¬<lb/>
forderte. Wir ſtaunten nicht wenig. Der Mann trug ditto kein Ab¬<lb/>
zeichen, aber ſeine Legitimation, die wir ihm abfragten, war in Ord¬<lb/>
nung, und ſo blieb nichts anders übrig, als die Börſe zum zweiten¬<lb/>
male zu ziehen. Das iſt die Lehre von der Toilette dieſer Republik.<lb/>
Bürgermilizen prangen in höchſt überflüſſigen Uniformen, und Con¬<lb/>
ducteure perhorresciren höchſt nothwendige Abzeichen. —„Wir ſind<lb/>
eine Nation von Souverainen“; das iſt freilich die Wahrheit: aber<lb/>
auch von Beutelſchneidern, — das iſt die ganze Wahrheit.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#g">Philadelphia</hi>. — Ich bin in der zweiten Hauptſtadt Amerika's<lb/>
angekommen. Wie ſie mir gefällt? Lieber Bruder! Nimm einen<lb/>
Weſtenſtoff, der bekanntlich ein viereckiger Fleck iſt, laß das Muſter<lb/>ſelbſt wieder quadrillirt ſein, und denke Dir, Du ſiehſt Philadelphia.<lb/>
Die ganze Stadt iſt ein großes Quadrat, und wie ſich ſämmtliche<lb/>
Straßen im rechten Winkel ſchneiden, ſo beſteht ſie aus lauter kleinen<lb/>
Quadraten. Ich komme mir in Philadelphia vor wie das Thier<lb/>„von einem böſen Geiſt — nicht im Kreis, ſondern im <hirendition="#g">Viereck</hi><lb/>
herum geführt.” Ich gehe ſtundenlang in der Stadt herum und be¬<lb/>
merke nicht, daß ich von der Stelle komme. Jede Straße wiederholt<lb/>
die vorhergehende, jedes Quarr<hirendition="#aq">é</hi> von Häuſern iſt wie ein Feld im<lb/>
Schachbrett allen übrigen gleich. Berlin und Mannheim ſind<lb/>
mit wahrhaft orientaliſcher Phantaſie gebaut gegen die ſtockſteife<lb/>
Einförmigkeit von Philadelphia. Die Häuſer, die Bäume, die<lb/>
Geſichter könnten aus einer Schneidemaſchine herausgefallen ſein,<lb/>ſo fabriksmäßig uniform iſt Alles einander. Ja, auch die Geſichter.<lb/>
Hinter jeder Fenſtergardine ſteht genau die nämliche dünnſpitze Fuchs¬<lb/>
naſe, blinzelt das nämliche mißfarbige Augenpaar, das mit einem<lb/>
Blick in den Himmel und mit dem andern in die Dollarkiſte ſchielt,<lb/>
und das von dem blauen und gelben Reflex des Himmels und des<lb/>
Dollars einen verflucht grünlichen Farbenton annimmt, den wir mit<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[264/0282]
Nation von Souverainen. Es thäte mir leid, wenn's nicht ſo wäre. —
Klingt das nicht prächtig? Schade nur, daß das Schöne einen ſo
kurzen Moment hat! Denn kaum waren wir eine Meile weiter ge¬
fahren, als an der nächſten Station ein Conducteur ſeine Streife
durch den Wagen machte und uns die Fahrtaxe nach Philadelphia ab¬
forderte. Wir ſtaunten nicht wenig. Der Mann trug ditto kein Ab¬
zeichen, aber ſeine Legitimation, die wir ihm abfragten, war in Ord¬
nung, und ſo blieb nichts anders übrig, als die Börſe zum zweiten¬
male zu ziehen. Das iſt die Lehre von der Toilette dieſer Republik.
Bürgermilizen prangen in höchſt überflüſſigen Uniformen, und Con¬
ducteure perhorresciren höchſt nothwendige Abzeichen. — „Wir ſind
eine Nation von Souverainen“; das iſt freilich die Wahrheit: aber
auch von Beutelſchneidern, — das iſt die ganze Wahrheit.
Philadelphia. — Ich bin in der zweiten Hauptſtadt Amerika's
angekommen. Wie ſie mir gefällt? Lieber Bruder! Nimm einen
Weſtenſtoff, der bekanntlich ein viereckiger Fleck iſt, laß das Muſter
ſelbſt wieder quadrillirt ſein, und denke Dir, Du ſiehſt Philadelphia.
Die ganze Stadt iſt ein großes Quadrat, und wie ſich ſämmtliche
Straßen im rechten Winkel ſchneiden, ſo beſteht ſie aus lauter kleinen
Quadraten. Ich komme mir in Philadelphia vor wie das Thier
„von einem böſen Geiſt — nicht im Kreis, ſondern im Viereck
herum geführt.” Ich gehe ſtundenlang in der Stadt herum und be¬
merke nicht, daß ich von der Stelle komme. Jede Straße wiederholt
die vorhergehende, jedes Quarré von Häuſern iſt wie ein Feld im
Schachbrett allen übrigen gleich. Berlin und Mannheim ſind
mit wahrhaft orientaliſcher Phantaſie gebaut gegen die ſtockſteife
Einförmigkeit von Philadelphia. Die Häuſer, die Bäume, die
Geſichter könnten aus einer Schneidemaſchine herausgefallen ſein,
ſo fabriksmäßig uniform iſt Alles einander. Ja, auch die Geſichter.
Hinter jeder Fenſtergardine ſteht genau die nämliche dünnſpitze Fuchs¬
naſe, blinzelt das nämliche mißfarbige Augenpaar, das mit einem
Blick in den Himmel und mit dem andern in die Dollarkiſte ſchielt,
und das von dem blauen und gelben Reflex des Himmels und des
Dollars einen verflucht grünlichen Farbenton annimmt, den wir mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/282>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.