"ein Cavalier wie andere Cavaliere." Da ich unvorbereitet war und ihn etwas länger aufhielt, als meine Mitreisenden, fragte er inzwischen meinen Nachbar, was die neueste Rede des Hrn. Clay "gemacht habe" und ob er der Meinung sei, daß General Jackson den Bundesgerichts¬ spruch für die Cherokees vollziehen werde. Folgte eine kleine, staats¬ männische Unterhaltung, indeß ich mein Kleingeld zählte. Ich gestehe, die Scene war mir neu. Ich musterte mir den Gentleman-Conducteur noch mit manchem Blicke; ich konnte aber nicht das geringste Abzei¬ chen an ihm entdecken. Zuletzt war ich "grün" genug, mein Befrem¬ den gegen meinen Nachbar merken zu lassen. Mein Nachbar war ein langer, hagerer Mann, aber meine Frage blähte ihn auf wie eine frische Brise ein schlappes Segel. Er streckte Arme und Beine aus wie ein Bachkrebs, der an einer schwierigen Stelle ans Ufer klettert, spuckte weit von sich, zog seinen Vatermörder in die Höhe und sagte "mit Sonnenschein in der Brust": Ich rathe, Mister, ein Conducteur ist kein Hund, das ist ein Factum; wozu ein Abzeichen? Sollen Bürger im Dienste ihrer Mitbürger mit Halsbändern herumlaufen und sich zeichnen lassen wie eine Galloway-Kuh, als wären sie die Hausthiere der Nation und nicht freie und selbstständige Männer, die unter ihres Gleichen wandeln? Verdammter Unsinn wär's! Wir sind ein Volk von Souverainen. Was wir von einander zu wissen brauchen, das ist: wie wir politisch gesinnt sind; darum tragen wir die Abzeichen unsrer Partei. Was wir aber nicht zu wissen brauchen und was in guter Gesellschaft überhaupt Keiner vom Andern fragt, das ist: wovon er lebt; darum tragen wir keine Abzeichen unseres Gewerbes -- der Conducteur so wenig, als der Präsident. So ist es, mein Herr, es wär' Schade wenn's anders wäre, das ist ein Factum. Reisen Sie durch die ganze Union und Sie werden keinen einzigen Officianten in irgend einer Branche finden, der ein Abzeichen trüge. Nicht am Zeichen erkennen Sie ihn, sondern an der Sache selbst, einfach daran, daß er Sie bedient und höflich bedient. Im Uebrigen ist er Gentleman wie Sie. In Wahrheit, mein Herr, Alles was im hundertsten Gliede mit der Livree verwandt ist das hassen wir mit jenem heilsamen In¬ stinkte der Gleichheit, welcher die unzerstörbare Grundlage der Repu¬ bliken ist. Ein freier und aufgeklärter Bürger der Union duldet kein Abzeichen an seinem Leibe. All men are equal! Wir sind eine
„ein Cavalier wie andere Cavaliere.“ Da ich unvorbereitet war und ihn etwas länger aufhielt, als meine Mitreiſenden, fragte er inzwiſchen meinen Nachbar, was die neueſte Rede des Hrn. Clay „gemacht habe“ und ob er der Meinung ſei, daß General Jackſon den Bundesgerichts¬ ſpruch für die Cherokees vollziehen werde. Folgte eine kleine, ſtaats¬ männiſche Unterhaltung, indeß ich mein Kleingeld zählte. Ich geſtehe, die Scene war mir neu. Ich muſterte mir den Gentleman-Conducteur noch mit manchem Blicke; ich konnte aber nicht das geringſte Abzei¬ chen an ihm entdecken. Zuletzt war ich „grün“ genug, mein Befrem¬ den gegen meinen Nachbar merken zu laſſen. Mein Nachbar war ein langer, hagerer Mann, aber meine Frage blähte ihn auf wie eine friſche Briſe ein ſchlappes Segel. Er ſtreckte Arme und Beine aus wie ein Bachkrebs, der an einer ſchwierigen Stelle ans Ufer klettert, ſpuckte weit von ſich, zog ſeinen Vatermörder in die Höhe und ſagte „mit Sonnenſchein in der Bruſt“: Ich rathe, Miſter, ein Conducteur iſt kein Hund, das iſt ein Factum; wozu ein Abzeichen? Sollen Bürger im Dienſte ihrer Mitbürger mit Halsbändern herumlaufen und ſich zeichnen laſſen wie eine Galloway-Kuh, als wären ſie die Hausthiere der Nation und nicht freie und ſelbſtſtändige Männer, die unter ihres Gleichen wandeln? Verdammter Unſinn wär's! Wir ſind ein Volk von Souverainen. Was wir von einander zu wiſſen brauchen, das iſt: wie wir politiſch geſinnt ſind; darum tragen wir die Abzeichen unſrer Partei. Was wir aber nicht zu wiſſen brauchen und was in guter Geſellſchaft überhaupt Keiner vom Andern fragt, das iſt: wovon er lebt; darum tragen wir keine Abzeichen unſeres Gewerbes — der Conducteur ſo wenig, als der Präſident. So iſt es, mein Herr, es wär' Schade wenn's anders wäre, das iſt ein Factum. Reiſen Sie durch die ganze Union und Sie werden keinen einzigen Officianten in irgend einer Branche finden, der ein Abzeichen trüge. Nicht am Zeichen erkennen Sie ihn, ſondern an der Sache ſelbſt, einfach daran, daß er Sie bedient und höflich bedient. Im Uebrigen iſt er Gentleman wie Sie. In Wahrheit, mein Herr, Alles was im hundertſten Gliede mit der Livree verwandt iſt das haſſen wir mit jenem heilſamen In¬ ſtinkte der Gleichheit, welcher die unzerſtörbare Grundlage der Repu¬ bliken iſt. Ein freier und aufgeklärter Bürger der Union duldet kein Abzeichen an ſeinem Leibe. All men are equal! Wir ſind eine
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„ein Cavalier wie andere Cavaliere.“ Da ich unvorbereitet war und
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meinen Nachbar, was die neueſte Rede des Hrn. Clay „gemacht habe“
und ob er der Meinung ſei, daß General Jackſon den Bundesgerichts¬
ſpruch für die Cherokees vollziehen werde. Folgte eine kleine, ſtaats¬
männiſche Unterhaltung, indeß ich mein Kleingeld zählte. Ich geſtehe,
die Scene war mir neu. Ich muſterte mir den Gentleman-Conducteur
noch mit manchem Blicke; ich konnte aber nicht das geringſte Abzei¬
chen an ihm entdecken. Zuletzt war ich „grün“ genug, mein Befrem¬
den gegen meinen Nachbar merken zu laſſen. Mein Nachbar war ein
langer, hagerer Mann, aber meine Frage blähte ihn auf wie eine
friſche Briſe ein ſchlappes Segel. Er ſtreckte Arme und Beine aus
wie ein Bachkrebs, der an einer ſchwierigen Stelle ans Ufer klettert,
ſpuckte weit von ſich, zog ſeinen Vatermörder in die Höhe und ſagte
„mit Sonnenſchein in der Bruſt“: Ich rathe, Miſter, ein Conducteur
iſt kein Hund, das iſt ein Factum; wozu ein Abzeichen? Sollen Bürger
im Dienſte ihrer Mitbürger mit Halsbändern herumlaufen und ſich
zeichnen laſſen wie eine Galloway-Kuh, als wären ſie die Hausthiere
der Nation und nicht freie und ſelbſtſtändige Männer, die unter ihres
Gleichen wandeln? Verdammter Unſinn wär's! Wir ſind ein Volk
von Souverainen. Was wir von einander zu wiſſen brauchen, das
iſt: wie wir politiſch geſinnt ſind; darum tragen wir die Abzeichen
unſrer Partei. Was wir aber nicht zu wiſſen brauchen und was in
guter Geſellſchaft überhaupt Keiner vom Andern fragt, das iſt: wovon
er lebt; darum tragen wir keine Abzeichen unſeres Gewerbes — der
Conducteur ſo wenig, als der Präſident. So iſt es, mein Herr, es
wär' Schade wenn's anders wäre, das iſt ein Factum. Reiſen Sie
durch die ganze Union und Sie werden keinen einzigen Officianten in
irgend einer Branche finden, der ein Abzeichen trüge. Nicht am
Zeichen erkennen Sie ihn, ſondern an der Sache ſelbſt, einfach daran,
daß er Sie bedient und höflich bedient. Im Uebrigen iſt er Gentleman
wie Sie. In Wahrheit, mein Herr, Alles was im hundertſten Gliede
mit der Livree verwandt iſt das haſſen wir mit jenem heilſamen In¬
ſtinkte der Gleichheit, welcher die unzerſtörbare Grundlage der Repu¬
bliken iſt. Ein freier und aufgeklärter Bürger der Union duldet kein
Abzeichen an ſeinem Leibe. All men are equal! Wir ſind eine
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/281>, abgerufen am 22.11.2024.
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