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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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haben es fast alle gemacht wie ich: sie sind pseudonym in Amerika
da. Als Europäer geben sie sich sehr selten; namentlich die Eichen
sind verstockte Geheimnißkrämer; sie kommen unter allen möglichen
Formen vor, nur nicht unter der, die wir an ihr kennen. Ich muß
es meinen Nachbarn oft auf Treue glauben, daß irgend ein pächtiger,
aber mir völlig fremder Baum eine Eiche sei. Am besten ist noch
die Kastanie kennbar; ich sehe sie sehr häufig und immer als guten
europäischen Bekannten; nur ist sie groß und stolz hier, etwa wie sie
in Serbien oder in Italien prangt. Bekannt heimeln auch solche
Bäume an, die man aus europäischen Parks bereits als Amerikaner
kennt; -- z. B. Lyriodendron tulipifera mit seinem feinen, zierlich
ausgeschnittenen Laub, der hier ziemlich gemein ist. Kurz, der hiesige
Baumschlag gibt im ersten Augenblick genug zu schauen, er hält die
Imagination in beständiger Aufregung. Nur soll michs wundern, ob
er auch das Gemüth zu fesseln weiß. Fremde Bäume sind eigentlich
schauerlich. Wenn sie nicht Kindheitssprache mit uns reden, so bleiben
sie unverständlich wie Gespenster. Indeß hat mich der Anblick großer
Waldfluren doch wieder ganz eigenthümlich gepackt. Ich brenne vor
Begierde, diesem Naturleben näher zu treten.


Nach Philadelphia. -- Ja, dieses Volk ist groß! Ein Freiheits¬
geist, dessen Bewußtsein keinen Augenblick unterdrückt werden kann,
durchdringt es in allen Klassen und Schichten; überall siehst du den
Menschen als Mensch. Mein Mr. Staunton hat ein wahres Wort
durch seine falschen Zähne gesprochen, als er sagte: "im alten Land
fühlt sich selbst der höchste Beamtete als ein Diener; bei uns möchte
der niedrigste Dienst gern für ein Amt gelten." Auf halber Fahrt
zwischen Newyork und Philadelphia erschien ein Gentleman in unserm
Wagen, der mit einer Haltung, die einem Staatsrath Ehre gemacht
hätte, diplomatisch kühl und höflich von Passagier zu Passagier wan¬
delte, Jedem irgend eine intime, gewichtige Depesche zuflüsterte, worauf
er mit einer graciösen Handbewegung in seine Busentasche (Brusttasche
klingt zu gemein) seinen lauschigen Fuß weiter setzte. Bald kam auch
die Reihe an mich. "Es wird Ihnen gefällig sein, mein Herr, die
Fahrtaxe zu entrichten." Und dabei stand der Mann vor mir --

haben es faſt alle gemacht wie ich: ſie ſind pſeudonym in Amerika
da. Als Europäer geben ſie ſich ſehr ſelten; namentlich die Eichen
ſind verſtockte Geheimnißkrämer; ſie kommen unter allen möglichen
Formen vor, nur nicht unter der, die wir an ihr kennen. Ich muß
es meinen Nachbarn oft auf Treue glauben, daß irgend ein pächtiger,
aber mir völlig fremder Baum eine Eiche ſei. Am beſten iſt noch
die Kaſtanie kennbar; ich ſehe ſie ſehr häufig und immer als guten
europäiſchen Bekannten; nur iſt ſie groß und ſtolz hier, etwa wie ſie
in Serbien oder in Italien prangt. Bekannt heimeln auch ſolche
Bäume an, die man aus europäiſchen Parks bereits als Amerikaner
kennt; — z. B. Lyriodendron tulipifera mit ſeinem feinen, zierlich
ausgeſchnittenen Laub, der hier ziemlich gemein iſt. Kurz, der hieſige
Baumſchlag gibt im erſten Augenblick genug zu ſchauen, er hält die
Imagination in beſtändiger Aufregung. Nur ſoll michs wundern, ob
er auch das Gemüth zu feſſeln weiß. Fremde Bäume ſind eigentlich
ſchauerlich. Wenn ſie nicht Kindheitsſprache mit uns reden, ſo bleiben
ſie unverſtändlich wie Geſpenſter. Indeß hat mich der Anblick großer
Waldfluren doch wieder ganz eigenthümlich gepackt. Ich brenne vor
Begierde, dieſem Naturleben näher zu treten.


Nach Philadelphia. — Ja, dieſes Volk iſt groß! Ein Freiheits¬
geiſt, deſſen Bewußtſein keinen Augenblick unterdrückt werden kann,
durchdringt es in allen Klaſſen und Schichten; überall ſiehſt du den
Menſchen als Menſch. Mein Mr. Staunton hat ein wahres Wort
durch ſeine falſchen Zähne geſprochen, als er ſagte: „im alten Land
fühlt ſich ſelbſt der höchſte Beamtete als ein Diener; bei uns möchte
der niedrigſte Dienſt gern für ein Amt gelten.“ Auf halber Fahrt
zwiſchen Newyork und Philadelphia erſchien ein Gentleman in unſerm
Wagen, der mit einer Haltung, die einem Staatsrath Ehre gemacht
hätte, diplomatiſch kühl und höflich von Paſſagier zu Paſſagier wan¬
delte, Jedem irgend eine intime, gewichtige Depeſche zuflüſterte, worauf
er mit einer graciöſen Handbewegung in ſeine Buſentaſche (Bruſttaſche
klingt zu gemein) ſeinen lauſchigen Fuß weiter ſetzte. Bald kam auch
die Reihe an mich. „Es wird Ihnen gefällig ſein, mein Herr, die
Fahrtaxe zu entrichten.“ Und dabei ſtand der Mann vor mir —

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[262/0280] haben es faſt alle gemacht wie ich: ſie ſind pſeudonym in Amerika da. Als Europäer geben ſie ſich ſehr ſelten; namentlich die Eichen ſind verſtockte Geheimnißkrämer; ſie kommen unter allen möglichen Formen vor, nur nicht unter der, die wir an ihr kennen. Ich muß es meinen Nachbarn oft auf Treue glauben, daß irgend ein pächtiger, aber mir völlig fremder Baum eine Eiche ſei. Am beſten iſt noch die Kaſtanie kennbar; ich ſehe ſie ſehr häufig und immer als guten europäiſchen Bekannten; nur iſt ſie groß und ſtolz hier, etwa wie ſie in Serbien oder in Italien prangt. Bekannt heimeln auch ſolche Bäume an, die man aus europäiſchen Parks bereits als Amerikaner kennt; — z. B. Lyriodendron tulipifera mit ſeinem feinen, zierlich ausgeſchnittenen Laub, der hier ziemlich gemein iſt. Kurz, der hieſige Baumſchlag gibt im erſten Augenblick genug zu ſchauen, er hält die Imagination in beſtändiger Aufregung. Nur ſoll michs wundern, ob er auch das Gemüth zu feſſeln weiß. Fremde Bäume ſind eigentlich ſchauerlich. Wenn ſie nicht Kindheitsſprache mit uns reden, ſo bleiben ſie unverſtändlich wie Geſpenſter. Indeß hat mich der Anblick großer Waldfluren doch wieder ganz eigenthümlich gepackt. Ich brenne vor Begierde, dieſem Naturleben näher zu treten. Nach Philadelphia. — Ja, dieſes Volk iſt groß! Ein Freiheits¬ geiſt, deſſen Bewußtſein keinen Augenblick unterdrückt werden kann, durchdringt es in allen Klaſſen und Schichten; überall ſiehſt du den Menſchen als Menſch. Mein Mr. Staunton hat ein wahres Wort durch ſeine falſchen Zähne geſprochen, als er ſagte: „im alten Land fühlt ſich ſelbſt der höchſte Beamtete als ein Diener; bei uns möchte der niedrigſte Dienſt gern für ein Amt gelten.“ Auf halber Fahrt zwiſchen Newyork und Philadelphia erſchien ein Gentleman in unſerm Wagen, der mit einer Haltung, die einem Staatsrath Ehre gemacht hätte, diplomatiſch kühl und höflich von Paſſagier zu Paſſagier wan¬ delte, Jedem irgend eine intime, gewichtige Depeſche zuflüſterte, worauf er mit einer graciöſen Handbewegung in ſeine Buſentaſche (Bruſttaſche klingt zu gemein) ſeinen lauſchigen Fuß weiter ſetzte. Bald kam auch die Reihe an mich. „Es wird Ihnen gefällig ſein, mein Herr, die Fahrtaxe zu entrichten.“ Und dabei ſtand der Mann vor mir —

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/280>, abgerufen am 22.11.2024.