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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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auf sich warten läßt. Dann ist die gewöhnliche Krisis eine heftige
Scene zwischen Vater und Sohn. Der Letztere verläßt noch einmal
das Haus und jahrelang hört und sieht man nichts von ihm. Fragt
man den Papa, wo John sei, so heißt es: John ist gegangen, er
wollte nicht gut thun, er wird eines Tags wohl wieder kommen --
und im Stillen setzt er hinzu: als Millionär.

Und so kommt er auch! randalirte Mr. Bennet, im scherzhaften
Charakter eines Yankee-Boys, indem er mit seinem Gaste jetzt vor¬
trat -- hören Sie, Doctor, die Million ist sehr gut! Aus Geld
wird Geist, kein armes Volk bringt's zur Cultur. Es lebe die
Million!

Die Tischgesellschaft blickte auf. Jubelnd begrüßte man den Haus¬
herrn. Jubelnd applaudirte man seinem Impromptü zu, alle Gläser
erhoben sich, und im bacchanalischen Chor scholl es von Mund zu
Mund: Es lebe die Million! Man sah es den vergnügten Gesichtern
der armen Milizoffiziere an, wie unendlich froh sie über diese glück¬
liche Ausbeugung waren.

Bennet und Moorfeld nahmen ihre Plätze ein. Moorfeld fand
es nicht ohne Reiz, daß in einem amerikanischen Salon Reden gehalten
werden konnten, wie er zuvor von Mr. Livingstone und jetzt aus
Dr. Channing's Munde gehört. Diese Strafoden schienen ihm ein
weit besseres Zeugniß für Amerika's Kraft und Gesundheit, als seines
Herrn Staunton's Bausch- und Bogen-Patriotismus. Er sah in
Bennet's Salon einen jener Centralpunkte, in welchem die wahrhaft
vorwärts treibenden und idealisirenden Kräfte einer Nation pulsiren.
Nicht plattes Selbstlob, sondern der aristokratische Ton der Absprechung,
der Voltaireanismus, die Kritik, die Satyre -- horazische wie juve¬
nalische -- verrichten dieses Amt. Man erweitert die Volkssitte, in¬
dem man sie negirt; der Spott ist productiv und der Tadel wird zum
Verdienst in solchen Zirkeln, man beleidigt das Volksleben nicht, man
nützt ihm. Man bricht das Herkommen, man macht Zukunft.

So war es der Yankee selbst, der sich zum lustigen Verbrauche
dieses Kreises hergeben mußte. Der Ton, den Dr. Channing ange¬
schlagen, klang fort, nur seit dem Eintritt Bennet's und Moorfeld's
in minder tragischer Weise. Der heitere Schaumwein von der Marne
moussirte, die Temperatur der Anecdoten-Blüthe entwickelte sich. Man

auf ſich warten läßt. Dann iſt die gewöhnliche Kriſis eine heftige
Scene zwiſchen Vater und Sohn. Der Letztere verläßt noch einmal
das Haus und jahrelang hört und ſieht man nichts von ihm. Fragt
man den Papa, wo John ſei, ſo heißt es: John iſt gegangen, er
wollte nicht gut thun, er wird eines Tags wohl wieder kommen —
und im Stillen ſetzt er hinzu: als Millionär.

Und ſo kommt er auch! randalirte Mr. Bennet, im ſcherzhaften
Charakter eines Yankee-Boys, indem er mit ſeinem Gaſte jetzt vor¬
trat — hören Sie, Doctor, die Million iſt ſehr gut! Aus Geld
wird Geiſt, kein armes Volk bringt's zur Cultur. Es lebe die
Million!

Die Tiſchgeſellſchaft blickte auf. Jubelnd begrüßte man den Haus¬
herrn. Jubelnd applaudirte man ſeinem Impromptü zu, alle Gläſer
erhoben ſich, und im bacchanaliſchen Chor ſcholl es von Mund zu
Mund: Es lebe die Million! Man ſah es den vergnügten Geſichtern
der armen Milizoffiziere an, wie unendlich froh ſie über dieſe glück¬
liche Ausbeugung waren.

Bennet und Moorfeld nahmen ihre Plätze ein. Moorfeld fand
es nicht ohne Reiz, daß in einem amerikaniſchen Salon Reden gehalten
werden konnten, wie er zuvor von Mr. Livingſtone und jetzt aus
Dr. Channing's Munde gehört. Dieſe Strafoden ſchienen ihm ein
weit beſſeres Zeugniß für Amerika's Kraft und Geſundheit, als ſeines
Herrn Staunton's Bauſch- und Bogen-Patriotismus. Er ſah in
Bennet's Salon einen jener Centralpunkte, in welchem die wahrhaft
vorwärts treibenden und idealiſirenden Kräfte einer Nation pulſiren.
Nicht plattes Selbſtlob, ſondern der ariſtokratiſche Ton der Abſprechung,
der Voltaireanismus, die Kritik, die Satyre — horaziſche wie juve¬
naliſche — verrichten dieſes Amt. Man erweitert die Volksſitte, in¬
dem man ſie negirt; der Spott iſt productiv und der Tadel wird zum
Verdienſt in ſolchen Zirkeln, man beleidigt das Volksleben nicht, man
nützt ihm. Man bricht das Herkommen, man macht Zukunft.

So war es der Yankee ſelbſt, der ſich zum luſtigen Verbrauche
dieſes Kreiſes hergeben mußte. Der Ton, den Dr. Channing ange¬
ſchlagen, klang fort, nur ſeit dem Eintritt Bennet's und Moorfeld's
in minder tragiſcher Weiſe. Der heitere Schaumwein von der Marne
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[218/0236] auf ſich warten läßt. Dann iſt die gewöhnliche Kriſis eine heftige Scene zwiſchen Vater und Sohn. Der Letztere verläßt noch einmal das Haus und jahrelang hört und ſieht man nichts von ihm. Fragt man den Papa, wo John ſei, ſo heißt es: John iſt gegangen, er wollte nicht gut thun, er wird eines Tags wohl wieder kommen — und im Stillen ſetzt er hinzu: als Millionär. Und ſo kommt er auch! randalirte Mr. Bennet, im ſcherzhaften Charakter eines Yankee-Boys, indem er mit ſeinem Gaſte jetzt vor¬ trat — hören Sie, Doctor, die Million iſt ſehr gut! Aus Geld wird Geiſt, kein armes Volk bringt's zur Cultur. Es lebe die Million! Die Tiſchgeſellſchaft blickte auf. Jubelnd begrüßte man den Haus¬ herrn. Jubelnd applaudirte man ſeinem Impromptü zu, alle Gläſer erhoben ſich, und im bacchanaliſchen Chor ſcholl es von Mund zu Mund: Es lebe die Million! Man ſah es den vergnügten Geſichtern der armen Milizoffiziere an, wie unendlich froh ſie über dieſe glück¬ liche Ausbeugung waren. Bennet und Moorfeld nahmen ihre Plätze ein. Moorfeld fand es nicht ohne Reiz, daß in einem amerikaniſchen Salon Reden gehalten werden konnten, wie er zuvor von Mr. Livingſtone und jetzt aus Dr. Channing's Munde gehört. Dieſe Strafoden ſchienen ihm ein weit beſſeres Zeugniß für Amerika's Kraft und Geſundheit, als ſeines Herrn Staunton's Bauſch- und Bogen-Patriotismus. Er ſah in Bennet's Salon einen jener Centralpunkte, in welchem die wahrhaft vorwärts treibenden und idealiſirenden Kräfte einer Nation pulſiren. Nicht plattes Selbſtlob, ſondern der ariſtokratiſche Ton der Abſprechung, der Voltaireanismus, die Kritik, die Satyre — horaziſche wie juve¬ naliſche — verrichten dieſes Amt. Man erweitert die Volksſitte, in¬ dem man ſie negirt; der Spott iſt productiv und der Tadel wird zum Verdienſt in ſolchen Zirkeln, man beleidigt das Volksleben nicht, man nützt ihm. Man bricht das Herkommen, man macht Zukunft. So war es der Yankee ſelbſt, der ſich zum luſtigen Verbrauche dieſes Kreiſes hergeben mußte. Der Ton, den Dr. Channing ange¬ ſchlagen, klang fort, nur ſeit dem Eintritt Bennet's und Moorfeld's in minder tragiſcher Weiſe. Der heitere Schaumwein von der Marne mouſſirte, die Temperatur der Anecdoten-Blüthe entwickelte ſich. Man

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/236>, abgerufen am 22.11.2024.