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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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stolziren, den Mantel malerisch, nämlich für Carricaturmaler, um die
Schultern geworfen, den langen nackten Hals über den niedrigen Hemd¬
kragen emporstreckend, das schnell verknöcherte Haupt in einer Tackelage
von zottigen Locken. Die ganze Welt steht ihm offen, er ist Bürger
des freiesten Volkes der Erde. Die Weichheit und Keuschheit, die Be¬
geisterung des ersten Jünglingsalters liegt schon lang hinter ihm, oder
besser, er hat sie nie gekannt. Jetzt steht sein einziger Ehrgeiz dar¬
nach, der Welt zu zeigen, was er für ein Mann ist. Zu diesem Ende
wird er Mitglied einer Feuerlöschcompagnie, liest die Zeitungen, ent¬
scheidet sich für eine Partei, und spricht klein von großen Verdiensten.
Aber das Alles greift ihn fürchterlich an. Er muß bereits seine erste
Gesundheitsreise machen. Gewiß, er muß nach dem Süden, oder nach den
Rocky-Mountains, oder nach Baden-Baden, nach Nizza, nach Vauxhall.
Ohne die letzte Suppe mit der Familie zu essen, ohne den letzten
väterlichen Gruß, aber mit desto mehr väterlichen Wechseln sitzt er
eines Morgens auf der Eisenbahn, im Schiffe, und durchstöbert die Erde,
so weit der letzte Cent reicht. Man könnte dies Schwärmen dichte¬
risch nennen, wäre nur etwas Gemüth dabei, etwas Lust oder Qual.
Aber er langweilt sich, genießt gähnend und im Contrast mit der
Fremde beschleicht ihn dann doch ein gewisses Bewußtsein seiner Schein¬
bildung. Das Alles macht ihm das Reisen unbehaglich. Zu Hause aber
sagt er, die Sehnsucht nach unserm freien und aufgeklärten Lande habe
ihn heimwärts getrieben, denn Alles Uebrige wäre ja doch nur Bettel.
Jetzt ist er zwanzig Jahre alt und beginnt seine Bekehrung. Er
überzeugt sich, daß er zu dem sham seiner Studien, zu dem sham
seiner Reisebildung, zu dem sham eines weit gereisten smart-mans
zu guter Letzt auch den sham des Christenthums nöthig habe, um
unter seinen Mitbürgern zu reüssiren. In dieser Stimmung trifft
ihn der Prediger, der Freund seiner Mutter. Er redet auf den jun¬
gen Mann ein, er zeigt ihm, wie viel Geld das tolle Leben kostet,
wie wohlfeil dagegen das Abonnement eines Kirchenstuhls sei. Er empfiehlt
ihm das Sacrament der Ehe -- natürlich mit einem reichen Mädchen.
Er stellt ihm die Ausgaben für die dritte Avenüe und die Einkünfte
aus dem Vermögen einer "respectablen" Frau so faßlich gegeneinander,
daß Zahlen, welche Alles beweisen, in diesem Falle auch die Tugend
beweisen. Zuweilen kommt es aber auch vor, daß die Bekehrung länger

ſtolziren, den Mantel maleriſch, nämlich für Carricaturmaler, um die
Schultern geworfen, den langen nackten Hals über den niedrigen Hemd¬
kragen emporſtreckend, das ſchnell verknöcherte Haupt in einer Tackelage
von zottigen Locken. Die ganze Welt ſteht ihm offen, er iſt Bürger
des freieſten Volkes der Erde. Die Weichheit und Keuſchheit, die Be¬
geiſterung des erſten Jünglingsalters liegt ſchon lang hinter ihm, oder
beſſer, er hat ſie nie gekannt. Jetzt ſteht ſein einziger Ehrgeiz dar¬
nach, der Welt zu zeigen, was er für ein Mann iſt. Zu dieſem Ende
wird er Mitglied einer Feuerlöſchcompagnie, lieſt die Zeitungen, ent¬
ſcheidet ſich für eine Partei, und ſpricht klein von großen Verdienſten.
Aber das Alles greift ihn fürchterlich an. Er muß bereits ſeine erſte
Geſundheitsreiſe machen. Gewiß, er muß nach dem Süden, oder nach den
Rocky-Mountains, oder nach Baden-Baden, nach Nizza, nach Vauxhall.
Ohne die letzte Suppe mit der Familie zu eſſen, ohne den letzten
väterlichen Gruß, aber mit deſto mehr väterlichen Wechſeln ſitzt er
eines Morgens auf der Eiſenbahn, im Schiffe, und durchſtöbert die Erde,
ſo weit der letzte Cent reicht. Man könnte dies Schwärmen dichte¬
riſch nennen, wäre nur etwas Gemüth dabei, etwas Luſt oder Qual.
Aber er langweilt ſich, genießt gähnend und im Contraſt mit der
Fremde beſchleicht ihn dann doch ein gewiſſes Bewußtſein ſeiner Schein¬
bildung. Das Alles macht ihm das Reiſen unbehaglich. Zu Hauſe aber
ſagt er, die Sehnſucht nach unſerm freien und aufgeklärten Lande habe
ihn heimwärts getrieben, denn Alles Uebrige wäre ja doch nur Bettel.
Jetzt iſt er zwanzig Jahre alt und beginnt ſeine Bekehrung. Er
überzeugt ſich, daß er zu dem sham ſeiner Studien, zu dem sham
ſeiner Reiſebildung, zu dem sham eines weit gereisten smart-mans
zu guter Letzt auch den sham des Chriſtenthums nöthig habe, um
unter ſeinen Mitbürgern zu reüſſiren. In dieſer Stimmung trifft
ihn der Prediger, der Freund ſeiner Mutter. Er redet auf den jun¬
gen Mann ein, er zeigt ihm, wie viel Geld das tolle Leben koſtet,
wie wohlfeil dagegen das Abonnement eines Kirchenſtuhls ſei. Er empfiehlt
ihm das Sacrament der Ehe — natürlich mit einem reichen Mädchen.
Er ſtellt ihm die Ausgaben für die dritte Avenüe und die Einkünfte
aus dem Vermögen einer „reſpectablen“ Frau ſo faßlich gegeneinander,
daß Zahlen, welche Alles beweiſen, in dieſem Falle auch die Tugend
beweiſen. Zuweilen kommt es aber auch vor, daß die Bekehrung länger

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[217/0235] ſtolziren, den Mantel maleriſch, nämlich für Carricaturmaler, um die Schultern geworfen, den langen nackten Hals über den niedrigen Hemd¬ kragen emporſtreckend, das ſchnell verknöcherte Haupt in einer Tackelage von zottigen Locken. Die ganze Welt ſteht ihm offen, er iſt Bürger des freieſten Volkes der Erde. Die Weichheit und Keuſchheit, die Be¬ geiſterung des erſten Jünglingsalters liegt ſchon lang hinter ihm, oder beſſer, er hat ſie nie gekannt. Jetzt ſteht ſein einziger Ehrgeiz dar¬ nach, der Welt zu zeigen, was er für ein Mann iſt. Zu dieſem Ende wird er Mitglied einer Feuerlöſchcompagnie, lieſt die Zeitungen, ent¬ ſcheidet ſich für eine Partei, und ſpricht klein von großen Verdienſten. Aber das Alles greift ihn fürchterlich an. Er muß bereits ſeine erſte Geſundheitsreiſe machen. Gewiß, er muß nach dem Süden, oder nach den Rocky-Mountains, oder nach Baden-Baden, nach Nizza, nach Vauxhall. Ohne die letzte Suppe mit der Familie zu eſſen, ohne den letzten väterlichen Gruß, aber mit deſto mehr väterlichen Wechſeln ſitzt er eines Morgens auf der Eiſenbahn, im Schiffe, und durchſtöbert die Erde, ſo weit der letzte Cent reicht. Man könnte dies Schwärmen dichte¬ riſch nennen, wäre nur etwas Gemüth dabei, etwas Luſt oder Qual. Aber er langweilt ſich, genießt gähnend und im Contraſt mit der Fremde beſchleicht ihn dann doch ein gewiſſes Bewußtſein ſeiner Schein¬ bildung. Das Alles macht ihm das Reiſen unbehaglich. Zu Hauſe aber ſagt er, die Sehnſucht nach unſerm freien und aufgeklärten Lande habe ihn heimwärts getrieben, denn Alles Uebrige wäre ja doch nur Bettel. Jetzt iſt er zwanzig Jahre alt und beginnt ſeine Bekehrung. Er überzeugt ſich, daß er zu dem sham ſeiner Studien, zu dem sham ſeiner Reiſebildung, zu dem sham eines weit gereisten smart-mans zu guter Letzt auch den sham des Chriſtenthums nöthig habe, um unter ſeinen Mitbürgern zu reüſſiren. In dieſer Stimmung trifft ihn der Prediger, der Freund ſeiner Mutter. Er redet auf den jun¬ gen Mann ein, er zeigt ihm, wie viel Geld das tolle Leben koſtet, wie wohlfeil dagegen das Abonnement eines Kirchenſtuhls ſei. Er empfiehlt ihm das Sacrament der Ehe — natürlich mit einem reichen Mädchen. Er ſtellt ihm die Ausgaben für die dritte Avenüe und die Einkünfte aus dem Vermögen einer „reſpectablen“ Frau ſo faßlich gegeneinander, daß Zahlen, welche Alles beweiſen, in dieſem Falle auch die Tugend beweiſen. Zuweilen kommt es aber auch vor, daß die Bekehrung länger

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/235>, abgerufen am 22.11.2024.