ihm das Grau und Kalt des amerikanischen Reifschauers zu schönem Farbenspiel aufloderte -- ein Punkt, der seinen Ahnungen in all diesen Tagen gläubiger oder verzagender vorgeschwebt. Wie er hier stand, fühlte er, stand er auf einem Gipfel; -- haben die Götter einen heiteren Tag geschenkt, oder liegt ein Nebel auf der vielverheißen¬ den Aussicht? Moorfeld war ganz Empfänglichkeit.
Die Rolle des unbetheiligten Beobachters blieb ihm aber nicht ganz so frei überlassen, als es in seinem Wunsche und in der Frei¬ heit des Routs selbst gelegen hätte. Er war heute der einzige Fremde aus Europa, der in Mr. Bennet's Salon eingeführt war, es wurde ihm dadurch eine Aufmerksamkeit zu Theil, deren Vortheile er lieber entbehrt, hätte. Auch war diese Aufmerksamkeit selbst nicht ganz von der wohl¬ thuenden Art; der Mangel an Frauen verursachte, daß sie nicht eigent¬ lich als zarter Persönlichkeitssinn, sondern vielmehr als sachliches Interesse für Europa gegen ihn sich kund gab, wenigstens glaubte unser Freund, dem wir ein feines Gefühl für diese Unterscheidung wohl zutrauen dürfen, etwas Aehnliches durchzuempfinden. Wenn es bekannt ist, daß der Amerikaner keine Frage beantwortet, ohne eine Gegenfrage zu thun, so kam Moorfeld überhaupt zunächst weniger zum Empfangen als zum Geben; die Neugierde forderte ihren Tribut, ob¬ gleich in der geglättetsten Form. So fiel es ihm auch auf, daß die Männer, deren Namen und Bedeutung wir zuvor genannt, nicht ganz jene stillbewußte Zurückhaltung beobachteten, womit in Europa der Mann von Verdienst sich bekleidet; sie wußten im Gegentheil vor¬ trefflich die Attitude zu finden, die sie ihren Mitbürgern im vollen Rund darstellte. Ebenso nahm sich Moorfeld vor, scharf darüber zu beobachten, ob die Artigkeit, die ihm mit einer wahren Farbenpracht von allen Seiten entgegen getragen wurde, wirklich vom ächtesten Stempel des Bonton's sei, oder eine gewisse tendenziöse Beflissenheit gegen den "literary gentleman" durchblicken ließ, der ohne Zweifel über seine Reise ein Buch schreiben würde. Kurz, unser Freund, der es nachdrücklich betont hat, nicht auf "absichtliche Täuschungen" nach Amerika gegangen zu sein, verwahrte sich auf diesem Boden, der ein Boden des idealisirten "shams" sein konnte, außerordentlich sorgfältig dagegen rosiger zu sehen als er sollte. Dürfen wir fragen, ob es mit der geheimen Lust geschieht, schwarz zu sehen?
ihm das Grau und Kalt des amerikaniſchen Reifſchauers zu ſchönem Farbenſpiel aufloderte — ein Punkt, der ſeinen Ahnungen in all dieſen Tagen gläubiger oder verzagender vorgeſchwebt. Wie er hier ſtand, fühlte er, ſtand er auf einem Gipfel; — haben die Götter einen heiteren Tag geſchenkt, oder liegt ein Nebel auf der vielverheißen¬ den Ausſicht? Moorfeld war ganz Empfänglichkeit.
Die Rolle des unbetheiligten Beobachters blieb ihm aber nicht ganz ſo frei überlaſſen, als es in ſeinem Wunſche und in der Frei¬ heit des Routs ſelbſt gelegen hätte. Er war heute der einzige Fremde aus Europa, der in Mr. Bennet's Salon eingeführt war, es wurde ihm dadurch eine Aufmerkſamkeit zu Theil, deren Vortheile er lieber entbehrt, hätte. Auch war dieſe Aufmerkſamkeit ſelbſt nicht ganz von der wohl¬ thuenden Art; der Mangel an Frauen verurſachte, daß ſie nicht eigent¬ lich als zarter Perſönlichkeitsſinn, ſondern vielmehr als ſachliches Intereſſe für Europa gegen ihn ſich kund gab, wenigſtens glaubte unſer Freund, dem wir ein feines Gefühl für dieſe Unterſcheidung wohl zutrauen dürfen, etwas Aehnliches durchzuempfinden. Wenn es bekannt iſt, daß der Amerikaner keine Frage beantwortet, ohne eine Gegenfrage zu thun, ſo kam Moorfeld überhaupt zunächſt weniger zum Empfangen als zum Geben; die Neugierde forderte ihren Tribut, ob¬ gleich in der geglättetſten Form. So fiel es ihm auch auf, daß die Männer, deren Namen und Bedeutung wir zuvor genannt, nicht ganz jene ſtillbewußte Zurückhaltung beobachteten, womit in Europa der Mann von Verdienſt ſich bekleidet; ſie wußten im Gegentheil vor¬ trefflich die Attitude zu finden, die ſie ihren Mitbürgern im vollen Rund darſtellte. Ebenſo nahm ſich Moorfeld vor, ſcharf darüber zu beobachten, ob die Artigkeit, die ihm mit einer wahren Farbenpracht von allen Seiten entgegen getragen wurde, wirklich vom ächteſten Stempel des Bonton's ſei, oder eine gewiſſe tendenziöſe Befliſſenheit gegen den „literary gentleman“ durchblicken ließ, der ohne Zweifel über ſeine Reiſe ein Buch ſchreiben würde. Kurz, unſer Freund, der es nachdrücklich betont hat, nicht auf „abſichtliche Täuſchungen” nach Amerika gegangen zu ſein, verwahrte ſich auf dieſem Boden, der ein Boden des idealiſirten „shams" ſein konnte, außerordentlich ſorgfältig dagegen roſiger zu ſehen als er ſollte. Dürfen wir fragen, ob es mit der geheimen Luſt geſchieht, ſchwarz zu ſehen?
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ihm das Grau und Kalt des amerikaniſchen Reifſchauers zu ſchönem
Farbenſpiel aufloderte — ein Punkt, der ſeinen Ahnungen in all
dieſen Tagen gläubiger oder verzagender vorgeſchwebt. Wie er hier
ſtand, fühlte er, ſtand er auf einem Gipfel; — haben die Götter
einen heiteren Tag geſchenkt, oder liegt ein Nebel auf der vielverheißen¬
den Ausſicht? Moorfeld war ganz Empfänglichkeit.
Die Rolle des unbetheiligten Beobachters blieb ihm aber nicht
ganz ſo frei überlaſſen, als es in ſeinem Wunſche und in der Frei¬
heit des Routs ſelbſt gelegen hätte. Er war heute der einzige Fremde
aus Europa, der in Mr. Bennet's Salon eingeführt war, es wurde ihm
dadurch eine Aufmerkſamkeit zu Theil, deren Vortheile er lieber entbehrt,
hätte. Auch war dieſe Aufmerkſamkeit ſelbſt nicht ganz von der wohl¬
thuenden Art; der Mangel an Frauen verurſachte, daß ſie nicht eigent¬
lich als zarter Perſönlichkeitsſinn, ſondern vielmehr als ſachliches
Intereſſe für Europa gegen ihn ſich kund gab, wenigſtens glaubte
unſer Freund, dem wir ein feines Gefühl für dieſe Unterſcheidung
wohl zutrauen dürfen, etwas Aehnliches durchzuempfinden. Wenn
es bekannt iſt, daß der Amerikaner keine Frage beantwortet, ohne eine
Gegenfrage zu thun, ſo kam Moorfeld überhaupt zunächſt weniger zum
Empfangen als zum Geben; die Neugierde forderte ihren Tribut, ob¬
gleich in der geglättetſten Form. So fiel es ihm auch auf, daß die
Männer, deren Namen und Bedeutung wir zuvor genannt, nicht ganz
jene ſtillbewußte Zurückhaltung beobachteten, womit in Europa der
Mann von Verdienſt ſich bekleidet; ſie wußten im Gegentheil vor¬
trefflich die Attitude zu finden, die ſie ihren Mitbürgern im vollen
Rund darſtellte. Ebenſo nahm ſich Moorfeld vor, ſcharf darüber zu
beobachten, ob die Artigkeit, die ihm mit einer wahren Farbenpracht
von allen Seiten entgegen getragen wurde, wirklich vom ächteſten
Stempel des Bonton's ſei, oder eine gewiſſe tendenziöſe Befliſſenheit
gegen den „literary gentleman“ durchblicken ließ, der ohne Zweifel
über ſeine Reiſe ein Buch ſchreiben würde. Kurz, unſer Freund, der
es nachdrücklich betont hat, nicht auf „abſichtliche Täuſchungen” nach
Amerika gegangen zu ſein, verwahrte ſich auf dieſem Boden, der ein
Boden des idealiſirten „shams" ſein konnte, außerordentlich ſorgfältig
dagegen roſiger zu ſehen als er ſollte. Dürfen wir fragen, ob es
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/219>, abgerufen am 22.11.2024.
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