wurde Moorfeld, der literary gentleman, noch immer einer Anzahl von Anwesenden vorgestellt, welche ein großer, zum Theil weltbewegender Name in Handel und Industrie ebenbürtig neben die geistigen Kori¬ phäen der Gesellschaft stellte. Es verdroß ihn aber bald, daß er Kaufleute, Fabrikanten und Schiffsrheder als Oberste, Colonels, Ka¬ pitäns u. s. w. durch alle Grade der Kasernen-Hierarchie zu salutiren hatte. Ein Land, das in seinem ganzen Begriff das Friedensreich der modernen Bürgerlichkeit bedeutet, mit so viel Vorliebe im Epauletten- Reflex sich bespiegeln zu sehen, war dem Europäer, dem zu Hause schon sein "Soldaten-spielen" culturwidrig dünkt, eine der widerwär¬ tigsten Schwächen des amerikanischen Volkscharakters. Er dankte Gott, daß Mr. Bennet selbst seine Musen und Grazien nicht nach irgend einem imaginären Korporalstock dirigirte. Wie entlegen und eigen¬ thümlich waren die Momente, die hier zur vollen Würdigung eines Mannes beitrugen!
Vom andringenden Strome der Gäste war in den letzten Augen¬ blicken der Hausherr Moorfeld's vorherrschendem Besitze entführt worden, und bis sie zu stillerem Begegniß sich wieder zusammenfanden, gefiel sich unser Freund, auf eigene Hand aus den Wellen der Gesellschaft zu schöpfen. Den bedeutendsten Personen auf's rücksichtsvollste vorgestellt, war ihm der Charakter des Fremden benommen; er hatte den Vor¬ theil, in die einzelnen Gruppen einzutreten und sie zu verlassen nach freier Wahl und Bequemlichkeit. So konnte er wie in einem leben¬ digen Index die amerikanischen Zustände durchblättern: dort stand ein Kapitel Bankwesen, hier Schutzzoll und Freihandel, in diesem Trink¬ zimmer zechte die Sclavenfrage, in jenem die Indianer-Expropriation, in der Nische rechts zupfte die neue Universität an den Gardinen¬ quasten im eifrigen Vortrag über die literarischen Landeszustände, in der Nische links kritisirte ein Börsensyndicus, d. h. ein Oberstlieute¬ nant die Bankrote vom Jahre dreißig und stellte das Prognostikon der nächsten Calamität.
Das war nun ein Amerika, nicht aus papierenen Quarterly- Reviews, noch aus dem Tabakskoth öffentlicher Sittenroheit zu studiren, sondern im Goldrahmen eines kunstsinnigen Salons, unter den Blu¬ men des Landes. Diese Gedankenflora durchschwärmend, mußte sich's zeigen, ob Moorfeld auf einem jener optischen Punkte hier stand, wo
wurde Moorfeld, der literary gentleman, noch immer einer Anzahl von Anweſenden vorgeſtellt, welche ein großer, zum Theil weltbewegender Name in Handel und Induſtrie ebenbürtig neben die geiſtigen Kori¬ phäen der Geſellſchaft ſtellte. Es verdroß ihn aber bald, daß er Kaufleute, Fabrikanten und Schiffsrheder als Oberſte, Colonels, Ka¬ pitäns u. ſ. w. durch alle Grade der Kaſernen-Hierarchie zu ſalutiren hatte. Ein Land, das in ſeinem ganzen Begriff das Friedensreich der modernen Bürgerlichkeit bedeutet, mit ſo viel Vorliebe im Epauletten- Reflex ſich beſpiegeln zu ſehen, war dem Europäer, dem zu Hauſe ſchon ſein „Soldaten-ſpielen“ culturwidrig dünkt, eine der widerwär¬ tigſten Schwächen des amerikaniſchen Volkscharakters. Er dankte Gott, daß Mr. Bennet ſelbſt ſeine Muſen und Grazien nicht nach irgend einem imaginären Korporalſtock dirigirte. Wie entlegen und eigen¬ thümlich waren die Momente, die hier zur vollen Würdigung eines Mannes beitrugen!
Vom andringenden Strome der Gäſte war in den letzten Augen¬ blicken der Hausherr Moorfeld's vorherrſchendem Beſitze entführt worden, und bis ſie zu ſtillerem Begegniß ſich wieder zuſammenfanden, gefiel ſich unſer Freund, auf eigene Hand aus den Wellen der Geſellſchaft zu ſchöpfen. Den bedeutendſten Perſonen auf's rückſichtsvollſte vorgeſtellt, war ihm der Charakter des Fremden benommen; er hatte den Vor¬ theil, in die einzelnen Gruppen einzutreten und ſie zu verlaſſen nach freier Wahl und Bequemlichkeit. So konnte er wie in einem leben¬ digen Index die amerikaniſchen Zuſtände durchblättern: dort ſtand ein Kapitel Bankweſen, hier Schutzzoll und Freihandel, in dieſem Trink¬ zimmer zechte die Sclavenfrage, in jenem die Indianer-Expropriation, in der Niſche rechts zupfte die neue Univerſität an den Gardinen¬ quaſten im eifrigen Vortrag über die literariſchen Landeszuſtände, in der Niſche links kritiſirte ein Börſenſyndicus, d. h. ein Oberſtlieute¬ nant die Bankrote vom Jahre dreißig und ſtellte das Prognoſtikon der nächſten Calamität.
Das war nun ein Amerika, nicht aus papierenen Quarterly- Reviews, noch aus dem Tabakskoth öffentlicher Sittenroheit zu ſtudiren, ſondern im Goldrahmen eines kunſtſinnigen Salons, unter den Blu¬ men des Landes. Dieſe Gedankenflora durchſchwärmend, mußte ſich's zeigen, ob Moorfeld auf einem jener optiſchen Punkte hier ſtand, wo
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wurde Moorfeld, der literary gentleman, noch immer einer Anzahl von
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phäen der Geſellſchaft ſtellte. Es verdroß ihn aber bald, daß er
Kaufleute, Fabrikanten und Schiffsrheder als Oberſte, Colonels, Ka¬
pitäns u. ſ. w. durch alle Grade der Kaſernen-Hierarchie zu ſalutiren
hatte. Ein Land, das in ſeinem ganzen Begriff das Friedensreich der
modernen Bürgerlichkeit bedeutet, mit ſo viel Vorliebe im Epauletten-
Reflex ſich beſpiegeln zu ſehen, war dem Europäer, dem zu Hauſe
ſchon ſein „Soldaten-ſpielen“ culturwidrig dünkt, eine der widerwär¬
tigſten Schwächen des amerikaniſchen Volkscharakters. Er dankte Gott,
daß Mr. Bennet ſelbſt ſeine Muſen und Grazien nicht nach irgend
einem imaginären Korporalſtock dirigirte. Wie entlegen und eigen¬
thümlich waren die Momente, die hier zur vollen Würdigung eines
Mannes beitrugen!
Vom andringenden Strome der Gäſte war in den letzten Augen¬
blicken der Hausherr Moorfeld's vorherrſchendem Beſitze entführt worden,
und bis ſie zu ſtillerem Begegniß ſich wieder zuſammenfanden, gefiel
ſich unſer Freund, auf eigene Hand aus den Wellen der Geſellſchaft zu
ſchöpfen. Den bedeutendſten Perſonen auf's rückſichtsvollſte vorgeſtellt,
war ihm der Charakter des Fremden benommen; er hatte den Vor¬
theil, in die einzelnen Gruppen einzutreten und ſie zu verlaſſen nach
freier Wahl und Bequemlichkeit. So konnte er wie in einem leben¬
digen Index die amerikaniſchen Zuſtände durchblättern: dort ſtand ein
Kapitel Bankweſen, hier Schutzzoll und Freihandel, in dieſem Trink¬
zimmer zechte die Sclavenfrage, in jenem die Indianer-Expropriation,
in der Niſche rechts zupfte die neue Univerſität an den Gardinen¬
quaſten im eifrigen Vortrag über die literariſchen Landeszuſtände, in
der Niſche links kritiſirte ein Börſenſyndicus, d. h. ein Oberſtlieute¬
nant die Bankrote vom Jahre dreißig und ſtellte das Prognoſtikon der
nächſten Calamität.
Das war nun ein Amerika, nicht aus papierenen Quarterly-
Reviews, noch aus dem Tabakskoth öffentlicher Sittenroheit zu ſtudiren,
ſondern im Goldrahmen eines kunſtſinnigen Salons, unter den Blu¬
men des Landes. Dieſe Gedankenflora durchſchwärmend, mußte ſich's
zeigen, ob Moorfeld auf einem jener optiſchen Punkte hier ſtand, wo
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/218>, abgerufen am 22.11.2024.
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