der Indianer-Stämme um sein Land betrogen, nicht einmal von geistiger Ueberlegenheit oder energischen Leidenschaften zeugte. Moor¬ feld haßte ihn noch von seinen glühendsten Studentenjahren her, in welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und unser Freund, den wir nur nicht "Jüngling" nennen, um ein pathetisches Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht so weit hinter sich, daß ihm der Anblick dieses Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mi߬ stimmung verursacht hätte. Nur der Umstand, daß Monroe, wie er hörte, jetzt in Armuth lebe, und von den Bestechungen, die in jenem diplomatischen Räuberroman gespielt, nicht persönlich gewonnen habe, milderte zum Theile seine Empfindungen.
Noch stand Moorfeld über dieses Thema mit Mr. Bennet im Gespräche, als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen ausgehend, welche die Person des jetzt Eintretenden kannten, und um so spannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche sie nicht kannten. Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch be¬ gleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohl¬ wollens. Mr. Livingstone, Amerika's erster Jurist, sagte Herr Bennet. Verfasser des classischen Carolina-Strafcodex? fragte Moor¬ feld -- von welchem ich Ihnen eine Geschichte erzählen will, eine Ge¬ schichte in zwei Worten, setzte Bennet hinzu. Das Manuscript dieses Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunst seines Hau¬ ses in Flammen auf. Morgens um sieben Uhr saß Livingstone in einem andern Hause vor einem andern Buch Papier und begann es von Neuem. Das ist nicht von einem Gelehrten erzählt, sondern von einem Enthusiasten, werden Sie sagen. Ich widerspreche nicht. Livingstone ist Dichter in seinem Berufe!
Wirklich war Mr. Livingstone eine außerordentlich gewinnende Persönlichkeit. Seine Gesichtszüge konnten keineswegs fein heißen, aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was selbst Herz und Menschlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittel¬ größe, seine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte sie, seine Sitte war Sittlichkeit.
Diese Personen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen, in welchen sich das eigentliche Leben des Routs krystallisirte. Zwar
der Indianer-Stämme um ſein Land betrogen, nicht einmal von geiſtiger Ueberlegenheit oder energiſchen Leidenſchaften zeugte. Moor¬ feld haßte ihn noch von ſeinen glühendſten Studentenjahren her, in welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und unſer Freund, den wir nur nicht „Jüngling“ nennen, um ein pathetiſches Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht ſo weit hinter ſich, daß ihm der Anblick dieſes Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mi߬ ſtimmung verurſacht hätte. Nur der Umſtand, daß Monroe, wie er hörte, jetzt in Armuth lebe, und von den Beſtechungen, die in jenem diplomatiſchen Räuberroman geſpielt, nicht perſönlich gewonnen habe, milderte zum Theile ſeine Empfindungen.
Noch ſtand Moorfeld über dieſes Thema mit Mr. Bennet im Geſpräche, als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen ausgehend, welche die Perſon des jetzt Eintretenden kannten, und um ſo ſpannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche ſie nicht kannten. Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch be¬ gleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohl¬ wollens. Mr. Livingſtone, Amerika's erſter Juriſt, ſagte Herr Bennet. Verfaſſer des claſſiſchen Carolina-Strafcodex? fragte Moor¬ feld — von welchem ich Ihnen eine Geſchichte erzählen will, eine Ge¬ ſchichte in zwei Worten, ſetzte Bennet hinzu. Das Manuſcript dieſes Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunſt ſeines Hau¬ ſes in Flammen auf. Morgens um ſieben Uhr ſaß Livingſtone in einem andern Hauſe vor einem andern Buch Papier und begann es von Neuem. Das iſt nicht von einem Gelehrten erzählt, ſondern von einem Enthuſiaſten, werden Sie ſagen. Ich widerſpreche nicht. Livingſtone iſt Dichter in ſeinem Berufe!
Wirklich war Mr. Livingſtone eine außerordentlich gewinnende Perſönlichkeit. Seine Geſichtszüge konnten keineswegs fein heißen, aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was ſelbſt Herz und Menſchlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittel¬ größe, ſeine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte ſie, ſeine Sitte war Sittlichkeit.
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der Indianer-Stämme um ſein Land betrogen, nicht einmal von
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feld haßte ihn noch von ſeinen glühendſten Studentenjahren her, in
welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und unſer
Freund, den wir nur nicht „Jüngling“ nennen, um ein pathetiſches
Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht ſo weit hinter ſich, daß
ihm der Anblick dieſes Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mi߬
ſtimmung verurſacht hätte. Nur der Umſtand, daß Monroe, wie er
hörte, jetzt in Armuth lebe, und von den Beſtechungen, die in jenem
diplomatiſchen Räuberroman geſpielt, nicht perſönlich gewonnen habe,
milderte zum Theile ſeine Empfindungen.
Noch ſtand Moorfeld über dieſes Thema mit Mr. Bennet im Geſpräche,
als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen
ausgehend, welche die Perſon des jetzt Eintretenden kannten, und um
ſo ſpannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche ſie nicht kannten.
Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch be¬
gleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohl¬
wollens. Mr. Livingſtone, Amerika's erſter Juriſt, ſagte Herr
Bennet. Verfaſſer des claſſiſchen Carolina-Strafcodex? fragte Moor¬
feld — von welchem ich Ihnen eine Geſchichte erzählen will, eine Ge¬
ſchichte in zwei Worten, ſetzte Bennet hinzu. Das Manuſcript dieſes
Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunſt ſeines Hau¬
ſes in Flammen auf. Morgens um ſieben Uhr ſaß Livingſtone in
einem andern Hauſe vor einem andern Buch Papier und begann es
von Neuem. Das iſt nicht von einem Gelehrten erzählt, ſondern
von einem Enthuſiaſten, werden Sie ſagen. Ich widerſpreche nicht.
Livingſtone iſt Dichter in ſeinem Berufe!
Wirklich war Mr. Livingſtone eine außerordentlich gewinnende
Perſönlichkeit. Seine Geſichtszüge konnten keineswegs fein heißen,
aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was ſelbſt Herz und
Menſchlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittel¬
größe, ſeine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge
einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte ſie, ſeine
Sitte war Sittlichkeit.
Dieſe Perſonen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen,
in welchen ſich das eigentliche Leben des Routs kryſtalliſirte. Zwar
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/217>, abgerufen am 22.11.2024.
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