Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Unterbeine liederlich nachschleiften. Moorfeld sah diesem Zuge mit ei¬
ner Art Fassungslosigkeit zu; er hatte im Straßenleben Newyorks ein
solches Ensemble von Karrikaturen noch nicht gesehen. Aber wie ward
ihm, als das Gesindel an Mr. Bennet's Haus die Klingel zog! Un¬
willkürlich blickte er den Hausherrn an; Herr Bennet senkte mit einiger
Verlegenheit sein Auge, dann aber sagte er achselzuckend: Die Armen!
Wo sollten sie sich bessern lernen, wenn ich ihnen auch noch mein
Haus verschlösse! -- Moorfeld fand diese Antwort groß. Die doppelte
Liberalität gegen sich selbst und gegen die Andern, denen er noch
Besserungsfähigkeit zuschrieb, schien ihn den Nagel einer noblen Ge¬
sinnung auf den Kopf zu treffen. Uebrigens, setzte Bennet hinzu, ist
ihr ärgerliches Aeußeres das Aergste an ihnen. In der Gesellschaft
sind sie die unschädlichsten Hasenfüße die man sich wünschen kann. Es
ist nie erhört worden, daß ein Dandy on short allowance -- denn
das ist ihr Kunstname -- die Sitte des Salons freventlich durch¬
brochen hätte. Ihre ganze Selbständigkeit liegt in der Affenfratze ih¬
res Anzugs, ihr innerer Affe muxt nicht in der Welt des guten Tons.
Sie sollten sehen, wie lammsfromm sie unter Damen sind, wie sie das
Pfötchen reichen, wenn meine Frau oder Töchter von ihrem Dasein
Notiz nehmen. Und das geschieht zuweilen. Denn die Weiber haben
bei aller Verachtung für unmännliche Männer doch auch eine Art
Gutherzigkeit gegen den armen Narren, der so unglücklich ist, ihre
Verachtung zu verdienen. Sie entdecken mit ihrem mikroscopischen
Blick sein geringstes Verdienst, sie sagen selbst der Null, daß sie eine
Composition aus Wellenlinien ist. So haben meine Frauen auch
diesen Jünglingen ihr Gutes abgelauscht. Der Eine weiß z. B. wo
man die hübschesten Hemdknöpfchen kauft, der Andere will ein Putz¬
pulver erfinden, gelbes Elfenbein wieder weiß zu machen, der Dritte
besitzt eine Nagelfeile, womit er den plattesten Nagel conver feilt.
Besonders meine Jüngste, Cöleste ist es, die solche parfaits dans le
petit, sublimes en bijoux, grands inventeurs de riens
ich sage
nicht zu schätzen, aber doch zu erziehen weiß. Das Mädchen lebt in
einem Babel von Bagatells, sie umgibt sich stets mit dem Ueber¬
flüssigsten, das superflu, chose tres-necessaire ist eigens für sie ge¬
sagt. Die Sachen selbst sind ihr unendlich gleichgiltig, die Wahl reizt
sie, das Arrangement, eine Art schöpferischer Geist, der sie treibt.

Unterbeine liederlich nachſchleiften. Moorfeld ſah dieſem Zuge mit ei¬
ner Art Faſſungsloſigkeit zu; er hatte im Straßenleben Newyorks ein
ſolches Enſemble von Karrikaturen noch nicht geſehen. Aber wie ward
ihm, als das Geſindel an Mr. Bennet's Haus die Klingel zog! Un¬
willkürlich blickte er den Hausherrn an; Herr Bennet ſenkte mit einiger
Verlegenheit ſein Auge, dann aber ſagte er achſelzuckend: Die Armen!
Wo ſollten ſie ſich beſſern lernen, wenn ich ihnen auch noch mein
Haus verſchlöſſe! — Moorfeld fand dieſe Antwort groß. Die doppelte
Liberalität gegen ſich ſelbſt und gegen die Andern, denen er noch
Beſſerungsfähigkeit zuſchrieb, ſchien ihn den Nagel einer noblen Ge¬
ſinnung auf den Kopf zu treffen. Uebrigens, ſetzte Bennet hinzu, iſt
ihr ärgerliches Aeußeres das Aergſte an ihnen. In der Geſellſchaft
ſind ſie die unſchädlichſten Haſenfüße die man ſich wünſchen kann. Es
iſt nie erhört worden, daß ein Dandy on short allowance — denn
das iſt ihr Kunſtname — die Sitte des Salons freventlich durch¬
brochen hätte. Ihre ganze Selbſtändigkeit liegt in der Affenfratze ih¬
res Anzugs, ihr innerer Affe muxt nicht in der Welt des guten Tons.
Sie ſollten ſehen, wie lammsfromm ſie unter Damen ſind, wie ſie das
Pfötchen reichen, wenn meine Frau oder Töchter von ihrem Daſein
Notiz nehmen. Und das geſchieht zuweilen. Denn die Weiber haben
bei aller Verachtung für unmännliche Männer doch auch eine Art
Gutherzigkeit gegen den armen Narren, der ſo unglücklich iſt, ihre
Verachtung zu verdienen. Sie entdecken mit ihrem mikroſcopiſchen
Blick ſein geringſtes Verdienſt, ſie ſagen ſelbſt der Null, daß ſie eine
Compoſition aus Wellenlinien iſt. So haben meine Frauen auch
dieſen Jünglingen ihr Gutes abgelauſcht. Der Eine weiß z. B. wo
man die hübſcheſten Hemdknöpfchen kauft, der Andere will ein Putz¬
pulver erfinden, gelbes Elfenbein wieder weiß zu machen, der Dritte
beſitzt eine Nagelfeile, womit er den platteſten Nagel conver feilt.
Beſonders meine Jüngſte, Cöleſte iſt es, die ſolche parfaits dans le
petit, sublimes en bijoux, grands inventeurs de riens
ich ſage
nicht zu ſchätzen, aber doch zu erziehen weiß. Das Mädchen lebt in
einem Babel von Bagatells, ſie umgibt ſich ſtets mit dem Ueber¬
flüſſigſten, das superflu, chose très-nécessaire iſt eigens für ſie ge¬
ſagt. Die Sachen ſelbſt ſind ihr unendlich gleichgiltig, die Wahl reizt
ſie, das Arrangement, eine Art ſchöpferiſcher Geiſt, der ſie treibt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="196"/>
Unterbeine liederlich nach&#x017F;chleiften. Moorfeld &#x017F;ah die&#x017F;em Zuge mit ei¬<lb/>
ner Art Fa&#x017F;&#x017F;ungslo&#x017F;igkeit zu; er hatte im Straßenleben Newyorks ein<lb/>
&#x017F;olches En&#x017F;emble von Karrikaturen noch nicht ge&#x017F;ehen. Aber wie ward<lb/>
ihm, als das Ge&#x017F;indel an Mr. Bennet's Haus die Klingel zog! Un¬<lb/>
willkürlich blickte er den Hausherrn an; Herr Bennet &#x017F;enkte mit einiger<lb/>
Verlegenheit &#x017F;ein Auge, dann aber &#x017F;agte er ach&#x017F;elzuckend: Die Armen!<lb/>
Wo &#x017F;ollten &#x017F;ie &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;ern lernen, wenn ich ihnen auch noch mein<lb/>
Haus ver&#x017F;chlö&#x017F;&#x017F;e! &#x2014; Moorfeld fand die&#x017F;e Antwort groß. Die doppelte<lb/>
Liberalität gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und gegen die Andern, denen er noch<lb/>
Be&#x017F;&#x017F;erungsfähigkeit zu&#x017F;chrieb, &#x017F;chien ihn den Nagel einer noblen Ge¬<lb/>
&#x017F;innung auf den Kopf zu treffen. Uebrigens, &#x017F;etzte Bennet hinzu, i&#x017F;t<lb/>
ihr ärgerliches Aeußeres das Aerg&#x017F;te an ihnen. In der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;ie die un&#x017F;chädlich&#x017F;ten Ha&#x017F;enfüße die man &#x017F;ich wün&#x017F;chen kann. Es<lb/>
i&#x017F;t nie erhört worden, daß ein <hi rendition="#aq">Dandy on short allowance</hi> &#x2014; denn<lb/>
das i&#x017F;t ihr Kun&#x017F;tname &#x2014; die Sitte des Salons freventlich durch¬<lb/>
brochen hätte. Ihre ganze Selb&#x017F;tändigkeit liegt in der Affenfratze ih¬<lb/>
res Anzugs, ihr innerer Affe muxt nicht in der Welt des guten Tons.<lb/>
Sie &#x017F;ollten &#x017F;ehen, wie lammsfromm &#x017F;ie unter Damen &#x017F;ind, wie &#x017F;ie das<lb/>
Pfötchen reichen, wenn meine Frau oder Töchter von ihrem Da&#x017F;ein<lb/>
Notiz nehmen. Und das ge&#x017F;chieht zuweilen. Denn die Weiber haben<lb/>
bei aller Verachtung für unmännliche Männer doch auch eine Art<lb/>
Gutherzigkeit gegen den armen Narren, der &#x017F;o unglücklich i&#x017F;t, ihre<lb/>
Verachtung zu verdienen. Sie entdecken mit ihrem mikro&#x017F;copi&#x017F;chen<lb/>
Blick &#x017F;ein gering&#x017F;tes Verdien&#x017F;t, &#x017F;ie &#x017F;agen &#x017F;elb&#x017F;t der Null, daß &#x017F;ie eine<lb/>
Compo&#x017F;ition aus Wellenlinien i&#x017F;t. So haben meine Frauen auch<lb/>
die&#x017F;en Jünglingen ihr Gutes abgelau&#x017F;cht. Der Eine weiß z. B. wo<lb/>
man die hüb&#x017F;che&#x017F;ten Hemdknöpfchen kauft, der Andere will ein Putz¬<lb/>
pulver erfinden, gelbes Elfenbein wieder weiß zu machen, der Dritte<lb/>
be&#x017F;itzt eine Nagelfeile, womit er den platte&#x017F;ten Nagel conver feilt.<lb/>
Be&#x017F;onders meine Jüng&#x017F;te, Cöle&#x017F;te i&#x017F;t es, die &#x017F;olche <hi rendition="#aq">parfaits dans le<lb/>
petit, sublimes en bijoux, grands inventeurs de riens</hi> ich &#x017F;age<lb/>
nicht zu &#x017F;chätzen, aber doch zu erziehen weiß. Das Mädchen lebt in<lb/>
einem Babel von Bagatells, &#x017F;ie umgibt &#x017F;ich &#x017F;tets mit dem Ueber¬<lb/>
flü&#x017F;&#x017F;ig&#x017F;ten, das <hi rendition="#aq">superflu, chose très-nécessaire</hi> i&#x017F;t eigens für &#x017F;ie ge¬<lb/>
&#x017F;agt. Die Sachen &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind ihr unendlich gleichgiltig, die Wahl reizt<lb/>
&#x017F;ie, das Arrangement, eine Art &#x017F;chöpferi&#x017F;cher Gei&#x017F;t, der &#x017F;ie treibt.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[196/0214] Unterbeine liederlich nachſchleiften. Moorfeld ſah dieſem Zuge mit ei¬ ner Art Faſſungsloſigkeit zu; er hatte im Straßenleben Newyorks ein ſolches Enſemble von Karrikaturen noch nicht geſehen. Aber wie ward ihm, als das Geſindel an Mr. Bennet's Haus die Klingel zog! Un¬ willkürlich blickte er den Hausherrn an; Herr Bennet ſenkte mit einiger Verlegenheit ſein Auge, dann aber ſagte er achſelzuckend: Die Armen! Wo ſollten ſie ſich beſſern lernen, wenn ich ihnen auch noch mein Haus verſchlöſſe! — Moorfeld fand dieſe Antwort groß. Die doppelte Liberalität gegen ſich ſelbſt und gegen die Andern, denen er noch Beſſerungsfähigkeit zuſchrieb, ſchien ihn den Nagel einer noblen Ge¬ ſinnung auf den Kopf zu treffen. Uebrigens, ſetzte Bennet hinzu, iſt ihr ärgerliches Aeußeres das Aergſte an ihnen. In der Geſellſchaft ſind ſie die unſchädlichſten Haſenfüße die man ſich wünſchen kann. Es iſt nie erhört worden, daß ein Dandy on short allowance — denn das iſt ihr Kunſtname — die Sitte des Salons freventlich durch¬ brochen hätte. Ihre ganze Selbſtändigkeit liegt in der Affenfratze ih¬ res Anzugs, ihr innerer Affe muxt nicht in der Welt des guten Tons. Sie ſollten ſehen, wie lammsfromm ſie unter Damen ſind, wie ſie das Pfötchen reichen, wenn meine Frau oder Töchter von ihrem Daſein Notiz nehmen. Und das geſchieht zuweilen. Denn die Weiber haben bei aller Verachtung für unmännliche Männer doch auch eine Art Gutherzigkeit gegen den armen Narren, der ſo unglücklich iſt, ihre Verachtung zu verdienen. Sie entdecken mit ihrem mikroſcopiſchen Blick ſein geringſtes Verdienſt, ſie ſagen ſelbſt der Null, daß ſie eine Compoſition aus Wellenlinien iſt. So haben meine Frauen auch dieſen Jünglingen ihr Gutes abgelauſcht. Der Eine weiß z. B. wo man die hübſcheſten Hemdknöpfchen kauft, der Andere will ein Putz¬ pulver erfinden, gelbes Elfenbein wieder weiß zu machen, der Dritte beſitzt eine Nagelfeile, womit er den platteſten Nagel conver feilt. Beſonders meine Jüngſte, Cöleſte iſt es, die ſolche parfaits dans le petit, sublimes en bijoux, grands inventeurs de riens ich ſage nicht zu ſchätzen, aber doch zu erziehen weiß. Das Mädchen lebt in einem Babel von Bagatells, ſie umgibt ſich ſtets mit dem Ueber¬ flüſſigſten, das superflu, chose très-nécessaire iſt eigens für ſie ge¬ ſagt. Die Sachen ſelbſt ſind ihr unendlich gleichgiltig, die Wahl reizt ſie, das Arrangement, eine Art ſchöpferiſcher Geiſt, der ſie treibt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/214
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/214>, abgerufen am 03.05.2024.