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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Wenn etwas bildend für diese Bursche sein kann, so ist es sie. Von
der Auswahl eines netten Hemdknöpfchens bis zur Würdigung eines
Raphael'schen Gemäldes kann ich mir sehr wohl eine Stufenleiter
denken. Heute schickt man den Gallopin nach Hemdknöpfchen aus,
morgen läßt man ihn ein hübsches Muster für durchbrochene Strumpf¬
zwickel auftreiben, übermorgen schon eins für Fußschemel oder Licht¬
schirme, so wird das Hämmelchen in die bildende Kunst eingeführt.
Auch deliriren die Kerls nicht immer so in ihrer Garderobe. Wie
wir sie heute sehen, läßt's keinen Schluß zu auf morgen, es ist ihnen
nicht habituell. Schon im nächsten Salon können sie so wohlgekleidet
eintreten, wie andere Vernunft-Wesen. Sie sind eben die Schaum¬
perlen einer Geld-Aristokratie, die in der Gährung begriffen ist. Der
Reichthum hat seine Flegeljahre jetzt in Amerika. Er ist in einem
Stadium der Abgeschmacktheit begriffen, aber es ist nur ein Stadium.
Denn Geld wird immer zu Geist. Das ist mein Wahlspruch.
Völker, die Geld ohne Geist hatten, wie Phönizier, Babylonier u. s. w.
sind heute doch nicht mehr möglich. Die Bildung ist cosmopolitisch
geworden.

Moorfeld ließ sich diese Apologie gar wohl gefallen. Der geist¬
reiche Mann hatte seinen Verdruß über jenes melee wie weggehaucht.
Mr. Bennet befestigte sich immer mehr in der Meinung, die ihm
Moorfeld entgegengebracht.

Inzwischen hatte sich die jeunesse doree durch die Gesellschafts¬
säle -- auch den letzten -- verbreitet und betrug sich ziemlich säu¬
berlich. Moorfeld entdeckte sogar, daß sie erröthen könne. Denn als
Einer der Bengel ihn durch sein Kneif-Lorgnon etwas ungezogen an¬
starrte, steckte Moorfeld sein eignes Lorgnon vor und fixirte ihn eben
so. Da erröthete der Junge, ließ sein Lorgnon fallen und ging. Moor¬
feld und Bennet lächelten sich zu.

Nach und nach fand sich zahlreichere Gesellschaft ein. Im Laufe
einer Stunde war schon so viel "Welt" da, daß die Dandies on
short allowance
sich erträglich genug darin verloren. Zwar blieb
das Publikum noch immer gemischt, wie Moorfeld im Kommen und
Gehen dieser Menschen überhaupt einen erstaunlichen Grad von repu¬
blikanischer Sittenfreiheit wahrnahm; auch bedauerte Mr. Bennet
wiederholt, daß er Moorfelden nicht vorgestern auf New-Jersey bei

Wenn etwas bildend für dieſe Burſche ſein kann, ſo iſt es ſie. Von
der Auswahl eines netten Hemdknöpfchens bis zur Würdigung eines
Raphael’ſchen Gemäldes kann ich mir ſehr wohl eine Stufenleiter
denken. Heute ſchickt man den Gallopin nach Hemdknöpfchen aus,
morgen läßt man ihn ein hübſches Muſter für durchbrochene Strumpf¬
zwickel auftreiben, übermorgen ſchon eins für Fußſchemel oder Licht¬
ſchirme, ſo wird das Hämmelchen in die bildende Kunſt eingeführt.
Auch deliriren die Kerls nicht immer ſo in ihrer Garderobe. Wie
wir ſie heute ſehen, läßt's keinen Schluß zu auf morgen, es iſt ihnen
nicht habituell. Schon im nächſten Salon können ſie ſo wohlgekleidet
eintreten, wie andere Vernunft-Weſen. Sie ſind eben die Schaum¬
perlen einer Geld-Ariſtokratie, die in der Gährung begriffen iſt. Der
Reichthum hat ſeine Flegeljahre jetzt in Amerika. Er iſt in einem
Stadium der Abgeſchmacktheit begriffen, aber es iſt nur ein Stadium.
Denn Geld wird immer zu Geiſt. Das iſt mein Wahlſpruch.
Völker, die Geld ohne Geiſt hatten, wie Phönizier, Babylonier u. ſ. w.
ſind heute doch nicht mehr möglich. Die Bildung iſt cosmopolitiſch
geworden.

Moorfeld ließ ſich dieſe Apologie gar wohl gefallen. Der geiſt¬
reiche Mann hatte ſeinen Verdruß über jenes melée wie weggehaucht.
Mr. Bennet befeſtigte ſich immer mehr in der Meinung, die ihm
Moorfeld entgegengebracht.

Inzwiſchen hatte ſich die jeunesse dorée durch die Geſellſchafts¬
ſäle — auch den letzten — verbreitet und betrug ſich ziemlich ſäu¬
berlich. Moorfeld entdeckte ſogar, daß ſie erröthen könne. Denn als
Einer der Bengel ihn durch ſein Kneif-Lorgnon etwas ungezogen an¬
ſtarrte, ſteckte Moorfeld ſein eignes Lorgnon vor und fixirte ihn eben
ſo. Da erröthete der Junge, ließ ſein Lorgnon fallen und ging. Moor¬
feld und Bennet lächelten ſich zu.

Nach und nach fand ſich zahlreichere Geſellſchaft ein. Im Laufe
einer Stunde war ſchon ſo viel „Welt“ da, daß die Dandies on
short allowance
ſich erträglich genug darin verloren. Zwar blieb
das Publikum noch immer gemiſcht, wie Moorfeld im Kommen und
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blikaniſcher Sittenfreiheit wahrnahm; auch bedauerte Mr. Bennet
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[197/0215] Wenn etwas bildend für dieſe Burſche ſein kann, ſo iſt es ſie. Von der Auswahl eines netten Hemdknöpfchens bis zur Würdigung eines Raphael’ſchen Gemäldes kann ich mir ſehr wohl eine Stufenleiter denken. Heute ſchickt man den Gallopin nach Hemdknöpfchen aus, morgen läßt man ihn ein hübſches Muſter für durchbrochene Strumpf¬ zwickel auftreiben, übermorgen ſchon eins für Fußſchemel oder Licht¬ ſchirme, ſo wird das Hämmelchen in die bildende Kunſt eingeführt. Auch deliriren die Kerls nicht immer ſo in ihrer Garderobe. Wie wir ſie heute ſehen, läßt's keinen Schluß zu auf morgen, es iſt ihnen nicht habituell. Schon im nächſten Salon können ſie ſo wohlgekleidet eintreten, wie andere Vernunft-Weſen. Sie ſind eben die Schaum¬ perlen einer Geld-Ariſtokratie, die in der Gährung begriffen iſt. Der Reichthum hat ſeine Flegeljahre jetzt in Amerika. Er iſt in einem Stadium der Abgeſchmacktheit begriffen, aber es iſt nur ein Stadium. Denn Geld wird immer zu Geiſt. Das iſt mein Wahlſpruch. Völker, die Geld ohne Geiſt hatten, wie Phönizier, Babylonier u. ſ. w. ſind heute doch nicht mehr möglich. Die Bildung iſt cosmopolitiſch geworden. Moorfeld ließ ſich dieſe Apologie gar wohl gefallen. Der geiſt¬ reiche Mann hatte ſeinen Verdruß über jenes melée wie weggehaucht. Mr. Bennet befeſtigte ſich immer mehr in der Meinung, die ihm Moorfeld entgegengebracht. Inzwiſchen hatte ſich die jeunesse dorée durch die Geſellſchafts¬ ſäle — auch den letzten — verbreitet und betrug ſich ziemlich ſäu¬ berlich. Moorfeld entdeckte ſogar, daß ſie erröthen könne. Denn als Einer der Bengel ihn durch ſein Kneif-Lorgnon etwas ungezogen an¬ ſtarrte, ſteckte Moorfeld ſein eignes Lorgnon vor und fixirte ihn eben ſo. Da erröthete der Junge, ließ ſein Lorgnon fallen und ging. Moor¬ feld und Bennet lächelten ſich zu. Nach und nach fand ſich zahlreichere Geſellſchaft ein. Im Laufe einer Stunde war ſchon ſo viel „Welt“ da, daß die Dandies on short allowance ſich erträglich genug darin verloren. Zwar blieb das Publikum noch immer gemiſcht, wie Moorfeld im Kommen und Gehen dieſer Menſchen überhaupt einen erſtaunlichen Grad von repu¬ blikaniſcher Sittenfreiheit wahrnahm; auch bedauerte Mr. Bennet wiederholt, daß er Moorfelden nicht vorgeſtern auf New-Jerſey bei

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/215>, abgerufen am 25.11.2024.