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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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sondern die Zuvorkommenheit des Wirthes übertraf nach der entgegen¬
gesetzten Seite noch das Maß des Gewöhnlichen. War's möglich,
daß Deutschland in Amerika so gehuldigt wurde? Freilich huldigte
der Amerikaner eigentlich sich selbst, wie überhaupt seine ganze Em¬
pfangsrede nach europäischen Begriffen von gutem Tone zu lang und
wortreich war. Aber Moorfeld kannte bereits den transatlantischen
Styl und die Persönlichkeit Mr. Bennet's rechtfertigte denselben vollends.
Mr. Bennet war eine mittelgroße Figur von schlanker Beweglichkeit,
raschen Gebärden, reizbarem Mienenspiel, um den Mund etwas humo¬
ristischer Lebemann, im Blicke geistreich, scharf, rastlos, wie auf be¬
ständigem Bienenflug der Gedanken, in seiner Haltung freier und ent¬
wickelter, als es dem Amerikaner schon seine physische Brustbildung
zuläßt: das ganze Charakterbild schien überhaupt mehr französische, als
angelsächsische Race; Moorfeld urtheilte, daß mindestens das gallische
Blut Irlands in Mr. Bennet's Adern fließe. Er hatte ihn während
seiner Rede wie vor einem Flintenlauf visirt, aber auch Bennet ver¬
tiefte sich in Moorfeld's halbwilden, urmenschlichen Blick mit einer
Art von Bezauberung. Die beiden Männer fühlten, daß sie sich ge¬
genseitig am höchsten Maße maßen. In Jedem regte sich das Eigenste
beim Anblicke des Andern. Sie standen einen Augenblick lang wie
im Duell und indem sie wechselweise die Macht ausübten ihr Persön¬
lichkeitsgefühl auf die Spitze zu treiben, erkannten sie schnell den ge¬
meinsamen Familienzug des Genies in sich. Ihr vis-a-vis befriedigte,
denn es versprach.

Mr. Bennet bat sich die Ehre aus, seinen neuen Gast der Haus¬
frau vorzustellen, was dieser dankbar annahm. Die drei Herren ver¬
fügten sich in die Etage und durchschritten eine Reihe von Zimmern,
wobei sich der Wirth mit dem Gaste im gelegentlichen Gespräche
vor manchem Kunstgegenstand aufhielt, indeß der Lord mit dem Ge¬
wohnheitsrechte des Hausfreundes seinen Weg in's Drawing-room allein
fortsetzte. Diesen Umstand benutzte Moorfeld, sich über sein Verhältniß
oder Nicht-Verhältniß zu dem bedenklichen Mann so weit zu erklären,
als es die Rücksicht gegen Bennet und die Rücksicht für sich selbst in
die Möglichkeit legte. Bennet seinerseits befand sich in dem nämlichen
Falle, daher eine Verständigung wie von selbst erfolgte. Ein Original!
lächelte Mr. Bennet, ein Doppel-sportman, bei dem sich Mensch und

ſondern die Zuvorkommenheit des Wirthes übertraf nach der entgegen¬
geſetzten Seite noch das Maß des Gewöhnlichen. War's möglich,
daß Deutſchland in Amerika ſo gehuldigt wurde? Freilich huldigte
der Amerikaner eigentlich ſich ſelbſt, wie überhaupt ſeine ganze Em¬
pfangsrede nach europäiſchen Begriffen von gutem Tone zu lang und
wortreich war. Aber Moorfeld kannte bereits den transatlantiſchen
Styl und die Perſönlichkeit Mr. Bennet's rechtfertigte denſelben vollends.
Mr. Bennet war eine mittelgroße Figur von ſchlanker Beweglichkeit,
raſchen Gebärden, reizbarem Mienenſpiel, um den Mund etwas humo¬
riſtiſcher Lebemann, im Blicke geiſtreich, ſcharf, raſtlos, wie auf be¬
ſtändigem Bienenflug der Gedanken, in ſeiner Haltung freier und ent¬
wickelter, als es dem Amerikaner ſchon ſeine phyſiſche Bruſtbildung
zuläßt: das ganze Charakterbild ſchien überhaupt mehr franzöſiſche, als
angelſächſiſche Race; Moorfeld urtheilte, daß mindeſtens das galliſche
Blut Irlands in Mr. Bennet's Adern fließe. Er hatte ihn während
ſeiner Rede wie vor einem Flintenlauf viſirt, aber auch Bennet ver¬
tiefte ſich in Moorfeld's halbwilden, urmenſchlichen Blick mit einer
Art von Bezauberung. Die beiden Männer fühlten, daß ſie ſich ge¬
genſeitig am höchſten Maße maßen. In Jedem regte ſich das Eigenſte
beim Anblicke des Andern. Sie ſtanden einen Augenblick lang wie
im Duell und indem ſie wechſelweiſe die Macht ausübten ihr Perſön¬
lichkeitsgefühl auf die Spitze zu treiben, erkannten ſie ſchnell den ge¬
meinſamen Familienzug des Genies in ſich. Ihr vis-à-vis befriedigte,
denn es verſprach.

Mr. Bennet bat ſich die Ehre aus, ſeinen neuen Gaſt der Haus¬
frau vorzuſtellen, was dieſer dankbar annahm. Die drei Herren ver¬
fügten ſich in die Etage und durchſchritten eine Reihe von Zimmern,
wobei ſich der Wirth mit dem Gaſte im gelegentlichen Geſpräche
vor manchem Kunſtgegenſtand aufhielt, indeß der Lord mit dem Ge¬
wohnheitsrechte des Hausfreundes ſeinen Weg in's Drawing-room allein
fortſetzte. Dieſen Umſtand benutzte Moorfeld, ſich über ſein Verhältniß
oder Nicht-Verhältniß zu dem bedenklichen Mann ſo weit zu erklären,
als es die Rückſicht gegen Bennet und die Rückſicht für ſich ſelbſt in
die Möglichkeit legte. Bennet ſeinerſeits befand ſich in dem nämlichen
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[185/0203] ſondern die Zuvorkommenheit des Wirthes übertraf nach der entgegen¬ geſetzten Seite noch das Maß des Gewöhnlichen. War's möglich, daß Deutſchland in Amerika ſo gehuldigt wurde? Freilich huldigte der Amerikaner eigentlich ſich ſelbſt, wie überhaupt ſeine ganze Em¬ pfangsrede nach europäiſchen Begriffen von gutem Tone zu lang und wortreich war. Aber Moorfeld kannte bereits den transatlantiſchen Styl und die Perſönlichkeit Mr. Bennet's rechtfertigte denſelben vollends. Mr. Bennet war eine mittelgroße Figur von ſchlanker Beweglichkeit, raſchen Gebärden, reizbarem Mienenſpiel, um den Mund etwas humo¬ riſtiſcher Lebemann, im Blicke geiſtreich, ſcharf, raſtlos, wie auf be¬ ſtändigem Bienenflug der Gedanken, in ſeiner Haltung freier und ent¬ wickelter, als es dem Amerikaner ſchon ſeine phyſiſche Bruſtbildung zuläßt: das ganze Charakterbild ſchien überhaupt mehr franzöſiſche, als angelſächſiſche Race; Moorfeld urtheilte, daß mindeſtens das galliſche Blut Irlands in Mr. Bennet's Adern fließe. Er hatte ihn während ſeiner Rede wie vor einem Flintenlauf viſirt, aber auch Bennet ver¬ tiefte ſich in Moorfeld's halbwilden, urmenſchlichen Blick mit einer Art von Bezauberung. Die beiden Männer fühlten, daß ſie ſich ge¬ genſeitig am höchſten Maße maßen. In Jedem regte ſich das Eigenſte beim Anblicke des Andern. Sie ſtanden einen Augenblick lang wie im Duell und indem ſie wechſelweiſe die Macht ausübten ihr Perſön¬ lichkeitsgefühl auf die Spitze zu treiben, erkannten ſie ſchnell den ge¬ meinſamen Familienzug des Genies in ſich. Ihr vis-à-vis befriedigte, denn es verſprach. Mr. Bennet bat ſich die Ehre aus, ſeinen neuen Gaſt der Haus¬ frau vorzuſtellen, was dieſer dankbar annahm. Die drei Herren ver¬ fügten ſich in die Etage und durchſchritten eine Reihe von Zimmern, wobei ſich der Wirth mit dem Gaſte im gelegentlichen Geſpräche vor manchem Kunſtgegenſtand aufhielt, indeß der Lord mit dem Ge¬ wohnheitsrechte des Hausfreundes ſeinen Weg in's Drawing-room allein fortſetzte. Dieſen Umſtand benutzte Moorfeld, ſich über ſein Verhältniß oder Nicht-Verhältniß zu dem bedenklichen Mann ſo weit zu erklären, als es die Rückſicht gegen Bennet und die Rückſicht für ſich ſelbſt in die Möglichkeit legte. Bennet ſeinerſeits befand ſich in dem nämlichen Falle, daher eine Verſtändigung wie von ſelbſt erfolgte. Ein Original! lächelte Mr. Bennet, ein Doppel-sportman, bei dem ſich Menſch und

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/203>, abgerufen am 25.11.2024.