ersten Augenblicke nur flüchtig mustern konnte. Die Person des Haus¬ herrn stand vor den Eintretenden.
Der Engländer präsentirte seinen Begleiter mit dem Air eines Habitue's: Doctor Muhrfield, ein literary gentleman aus Deutsch¬ land, Kunstkenner und --
Selbst Künstler, ergänzte Mr. Bennet in eben jenem Charakter von Bequemlichkeit. Ich setze das voraus, Mylord, bei meinen ver¬ ehrten Gästen aus Deutschland. In Deutschland entspringt der Ge¬ schmack an den Künsten aus der angebornen Fähigkeit sie auszuüben. Ein wunderbares Land, dieses Deutschland. Ich war in Wien in ein College eingeführt -- ein Estaminet das unsern irischen Brandy- Stuben nicht unähnlich sah -- aber da hieß es: dieser Herr hat die Ahnfrau gedichtet und jener Gentleman die Todtenkränze und ein dritter den östreichischen Dialect auf den Parnaß erhoben und die Spitze von Allen war ein kleiner unansehnlicher -- Shopkeeper hätte ich bald gesagt, aber man nannte ihn Beethoven! In Stuttgart zog ich mein Wagenfenster auf, als ich durch die Friedrichsstraße fuhr, aber im nämlichen Augenblick rief auch schon mein Begleiter: Sehen Sie da, so eben tritt Uhland aus jenem Hause. Mit dem ersten Luftzug hatten wir einen Dichter ersten Rangs geschnappt. In Weimar erwartet man nichts anders als eine Peerage von Genies; neben dem ehrwürdigen Goethe, den ich noch zu sehen das Glück hatte, verschwinden dort Namen, die bei uns nicht Planeten, sondern Sonnen eines eigenen Planeten-Systems wären. Fährt man von Weimar über Leipzig und Dresden nach Berlin -- ein Gebiet beiläufig wie eine Baumwollen- Plantage, oder das Jagdgebiet eines einzigen Indianers, -- so lernt man auf dieser Spanne deutscher Erde mehr Verdienst für Kunst und Wissen¬ schaft kennen, als in den fünf Zonen der übrigen Erde zusammen. In Berlin könnte man bequem ein Bataillon formiren aus Männern, welche Jeder den Marschallsstab eines klassischen Werkes in ihrer Patron¬ tasche tragen. Ich sage klassisch, Mylord, und unterscheide ausdrücklich von modisch. Ich heiße Sie bestens willkommen, Herr Doctor!
Dieser Empfang war mehr, als Moorfeld erwartet hatte. Sein Auftreten im Hause Bennet war ihm durch die Einführung des aben¬ teuerlichen Engländers also nicht nur nicht verdorben -- wovon er freilich nicht schon im ersten Augenblicke Symptome fürchten gedurft --
erſten Augenblicke nur flüchtig muſtern konnte. Die Perſon des Haus¬ herrn ſtand vor den Eintretenden.
Der Engländer präſentirte ſeinen Begleiter mit dem Air eines Habitue's: Doctor Muhrfield, ein literary gentleman aus Deutſch¬ land, Kunſtkenner und —
Selbſt Künſtler, ergänzte Mr. Bennet in eben jenem Charakter von Bequemlichkeit. Ich ſetze das voraus, Mylord, bei meinen ver¬ ehrten Gäſten aus Deutſchland. In Deutſchland entſpringt der Ge¬ ſchmack an den Künſten aus der angebornen Fähigkeit ſie auszuüben. Ein wunderbares Land, dieſes Deutſchland. Ich war in Wien in ein College eingeführt — ein Eſtaminet das unſern iriſchen Brandy- Stuben nicht unähnlich ſah — aber da hieß es: dieſer Herr hat die Ahnfrau gedichtet und jener Gentleman die Todtenkränze und ein dritter den öſtreichiſchen Dialect auf den Parnaß erhoben und die Spitze von Allen war ein kleiner unanſehnlicher — Shopkeeper hätte ich bald geſagt, aber man nannte ihn Beethoven! In Stuttgart zog ich mein Wagenfenſter auf, als ich durch die Friedrichsſtraße fuhr, aber im nämlichen Augenblick rief auch ſchon mein Begleiter: Sehen Sie da, ſo eben tritt Uhland aus jenem Hauſe. Mit dem erſten Luftzug hatten wir einen Dichter erſten Rangs geſchnappt. In Weimar erwartet man nichts anders als eine Peerage von Genies; neben dem ehrwürdigen Goethe, den ich noch zu ſehen das Glück hatte, verſchwinden dort Namen, die bei uns nicht Planeten, ſondern Sonnen eines eigenen Planeten-Syſtems wären. Fährt man von Weimar über Leipzig und Dresden nach Berlin — ein Gebiet beiläufig wie eine Baumwollen- Plantage, oder das Jagdgebiet eines einzigen Indianers, — ſo lernt man auf dieſer Spanne deutſcher Erde mehr Verdienſt für Kunſt und Wiſſen¬ ſchaft kennen, als in den fünf Zonen der übrigen Erde zuſammen. In Berlin könnte man bequem ein Bataillon formiren aus Männern, welche Jeder den Marſchallsſtab eines klaſſiſchen Werkes in ihrer Patron¬ taſche tragen. Ich ſage klaſſiſch, Mylord, und unterſcheide ausdrücklich von modiſch. Ich heiße Sie beſtens willkommen, Herr Doctor!
Dieſer Empfang war mehr, als Moorfeld erwartet hatte. Sein Auftreten im Hauſe Bennet war ihm durch die Einführung des aben¬ teuerlichen Engländers alſo nicht nur nicht verdorben — wovon er freilich nicht ſchon im erſten Augenblicke Symptome fürchten gedurft —
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erſten Augenblicke nur flüchtig muſtern konnte. Die Perſon des Haus¬
herrn ſtand vor den Eintretenden.
Der Engländer präſentirte ſeinen Begleiter mit dem Air eines
Habitue's: Doctor Muhrfield, ein literary gentleman aus Deutſch¬
land, Kunſtkenner und —
Selbſt Künſtler, ergänzte Mr. Bennet in eben jenem Charakter
von Bequemlichkeit. Ich ſetze das voraus, Mylord, bei meinen ver¬
ehrten Gäſten aus Deutſchland. In Deutſchland entſpringt der Ge¬
ſchmack an den Künſten aus der angebornen Fähigkeit ſie auszuüben.
Ein wunderbares Land, dieſes Deutſchland. Ich war in Wien in ein
College eingeführt — ein Eſtaminet das unſern iriſchen Brandy-
Stuben nicht unähnlich ſah — aber da hieß es: dieſer Herr hat die
Ahnfrau gedichtet und jener Gentleman die Todtenkränze und ein
dritter den öſtreichiſchen Dialect auf den Parnaß erhoben und die
Spitze von Allen war ein kleiner unanſehnlicher — Shopkeeper hätte
ich bald geſagt, aber man nannte ihn Beethoven! In Stuttgart zog
ich mein Wagenfenſter auf, als ich durch die Friedrichsſtraße fuhr,
aber im nämlichen Augenblick rief auch ſchon mein Begleiter: Sehen
Sie da, ſo eben tritt Uhland aus jenem Hauſe. Mit dem erſten
Luftzug hatten wir einen Dichter erſten Rangs geſchnappt. In Weimar
erwartet man nichts anders als eine Peerage von Genies; neben dem
ehrwürdigen Goethe, den ich noch zu ſehen das Glück hatte, verſchwinden
dort Namen, die bei uns nicht Planeten, ſondern Sonnen eines eigenen
Planeten-Syſtems wären. Fährt man von Weimar über Leipzig und
Dresden nach Berlin — ein Gebiet beiläufig wie eine Baumwollen-
Plantage, oder das Jagdgebiet eines einzigen Indianers, — ſo lernt man
auf dieſer Spanne deutſcher Erde mehr Verdienſt für Kunſt und Wiſſen¬
ſchaft kennen, als in den fünf Zonen der übrigen Erde zuſammen.
In Berlin könnte man bequem ein Bataillon formiren aus Männern,
welche Jeder den Marſchallsſtab eines klaſſiſchen Werkes in ihrer Patron¬
taſche tragen. Ich ſage klaſſiſch, Mylord, und unterſcheide ausdrücklich
von modiſch. Ich heiße Sie beſtens willkommen, Herr Doctor!
Dieſer Empfang war mehr, als Moorfeld erwartet hatte. Sein
Auftreten im Hauſe Bennet war ihm durch die Einführung des aben¬
teuerlichen Engländers alſo nicht nur nicht verdorben — wovon er
freilich nicht ſchon im erſten Augenblicke Symptome fürchten gedurft —
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/202>, abgerufen am 22.11.2024.
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