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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Bürgerkriege wohl nicht sämmtlich Männer von Washington's Tugend
oder Mittelmäßigkeit sein. Militär-Dictatur war immer der Steig¬
bügel zur Monarchie und wie die genannten Staaten die besitzreichsten
sind, diejenigen die am meisten zu verlieren haben, so wird ihr stär¬
keres Interesse für den Frieden sie auch am ehesten geneigt machen,
abzuschließen und unter irgend einer Form, ich sage unter irgend
einer
ihr wichtiges Güterleben in Sicherheit zu bringen. Vielleicht,
daß sogar schon die erste Panique über den Bruch der Union, über
die Entzauberung ihres allmächtigen Talismans sie zur Beute des
Usurpators macht. Derselbe wird ja ohnedies als Republikaner an¬
fangen; er wird hier Protector, dort Consul, am dritten Orte Prä¬
sident heißen, er wird hier rascher, dort langsamer an seiner Krone
schmieden, überall aber wird sie fertig werden."

Hier legte Benthal sein Manuscript nieder und sagte: An diesem
Punkte bin ich einstweilen zu Ende mit meiner Lectüre, wenngleich
nicht mit dem Aufsatze selbst. Ich werde im Folgenden noch der
Sclaven-Verhältnisse gedenken, die ich bei den Schlagwörtern Carolina-
Fieber und Nullification im Contexte noch zur Seite liegen ließ. Es
gebührte diesem Thema eine eigene Ausführung. Es ist in doppelter
Beziehung verhängnißvoll für den Bestand der Union, nämlich erstens
als religiös-humanistische Frage, wobei der Norden die Bekämpfung
des Südens als Gewissenssache führt; dann aber auch als national¬
ökonomische, wobei Sclaven- und Nicht-Sclavenstaaten dadurch feindlich
zusammentreffen, daß jene für den Freihandel, diese aber für den Zoll¬
tarif interessirt sind. Ohne das Sallmann'sche Pamphlet hätte ich
diese Schlußstelle wahrscheinlich heute noch ausgeführt; entschuldigen
Sie nun, daß Sie ein Bruchstück gehört haben.

Bei Gott, ein Bruchstück! rief Moorfeld unter der Last des Ge¬
hörten -- Alles geht ja hier in die Brüche!

Bei diesem Worte wendete sich Pauline an Benthal: Hast du nicht
etwas zu streng geurtheilt? fragte sie bescheiden. Moorfeld fühlte die ganze
Aufmerksamkeit dieser Frage für sich. Er vergalt der Fragenden mit einem
dankbaren Blicke. Aber des Mädchens Auge war niedergeschlagen, sie
konnte seinen Blick nicht gesehen haben. Deßungeachtet erröthete sie.

Benthal sagte zu Moorfeld: Nun, richten Sie den Richter! Wie
passiren mir meine Negationen?

Bürgerkriege wohl nicht ſämmtlich Männer von Waſhington's Tugend
oder Mittelmäßigkeit ſein. Militär-Dictatur war immer der Steig¬
bügel zur Monarchie und wie die genannten Staaten die beſitzreichſten
ſind, diejenigen die am meiſten zu verlieren haben, ſo wird ihr ſtär¬
keres Intereſſe für den Frieden ſie auch am eheſten geneigt machen,
abzuſchließen und unter irgend einer Form, ich ſage unter irgend
einer
ihr wichtiges Güterleben in Sicherheit zu bringen. Vielleicht,
daß ſogar ſchon die erſte Panique über den Bruch der Union, über
die Entzauberung ihres allmächtigen Talismans ſie zur Beute des
Uſurpators macht. Derſelbe wird ja ohnedies als Republikaner an¬
fangen; er wird hier Protector, dort Conſul, am dritten Orte Prä¬
ſident heißen, er wird hier raſcher, dort langſamer an ſeiner Krone
ſchmieden, überall aber wird ſie fertig werden.“

Hier legte Benthal ſein Manuſcript nieder und ſagte: An dieſem
Punkte bin ich einſtweilen zu Ende mit meiner Lectüre, wenngleich
nicht mit dem Aufſatze ſelbſt. Ich werde im Folgenden noch der
Sclaven-Verhältniſſe gedenken, die ich bei den Schlagwörtern Carolina-
Fieber und Nullification im Contexte noch zur Seite liegen ließ. Es
gebührte dieſem Thema eine eigene Ausführung. Es iſt in doppelter
Beziehung verhängnißvoll für den Beſtand der Union, nämlich erſtens
als religiös-humaniſtiſche Frage, wobei der Norden die Bekämpfung
des Südens als Gewiſſensſache führt; dann aber auch als national¬
ökonomiſche, wobei Sclaven- und Nicht-Sclavenſtaaten dadurch feindlich
zuſammentreffen, daß jene für den Freihandel, dieſe aber für den Zoll¬
tarif intereſſirt ſind. Ohne das Sallmann'ſche Pamphlet hätte ich
dieſe Schlußſtelle wahrſcheinlich heute noch ausgeführt; entſchuldigen
Sie nun, daß Sie ein Bruchſtück gehört haben.

Bei Gott, ein Bruchſtück! rief Moorfeld unter der Laſt des Ge¬
hörten — Alles geht ja hier in die Brüche!

Bei dieſem Worte wendete ſich Pauline an Benthal: Haſt du nicht
etwas zu ſtreng geurtheilt? fragte ſie beſcheiden. Moorfeld fühlte die ganze
Aufmerkſamkeit dieſer Frage für ſich. Er vergalt der Fragenden mit einem
dankbaren Blicke. Aber des Mädchens Auge war niedergeſchlagen, ſie
konnte ſeinen Blick nicht geſehen haben. Deßungeachtet erröthete ſie.

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[174/0192] Bürgerkriege wohl nicht ſämmtlich Männer von Waſhington's Tugend oder Mittelmäßigkeit ſein. Militär-Dictatur war immer der Steig¬ bügel zur Monarchie und wie die genannten Staaten die beſitzreichſten ſind, diejenigen die am meiſten zu verlieren haben, ſo wird ihr ſtär¬ keres Intereſſe für den Frieden ſie auch am eheſten geneigt machen, abzuſchließen und unter irgend einer Form, ich ſage unter irgend einer ihr wichtiges Güterleben in Sicherheit zu bringen. Vielleicht, daß ſogar ſchon die erſte Panique über den Bruch der Union, über die Entzauberung ihres allmächtigen Talismans ſie zur Beute des Uſurpators macht. Derſelbe wird ja ohnedies als Republikaner an¬ fangen; er wird hier Protector, dort Conſul, am dritten Orte Prä¬ ſident heißen, er wird hier raſcher, dort langſamer an ſeiner Krone ſchmieden, überall aber wird ſie fertig werden.“ Hier legte Benthal ſein Manuſcript nieder und ſagte: An dieſem Punkte bin ich einſtweilen zu Ende mit meiner Lectüre, wenngleich nicht mit dem Aufſatze ſelbſt. Ich werde im Folgenden noch der Sclaven-Verhältniſſe gedenken, die ich bei den Schlagwörtern Carolina- Fieber und Nullification im Contexte noch zur Seite liegen ließ. Es gebührte dieſem Thema eine eigene Ausführung. Es iſt in doppelter Beziehung verhängnißvoll für den Beſtand der Union, nämlich erſtens als religiös-humaniſtiſche Frage, wobei der Norden die Bekämpfung des Südens als Gewiſſensſache führt; dann aber auch als national¬ ökonomiſche, wobei Sclaven- und Nicht-Sclavenſtaaten dadurch feindlich zuſammentreffen, daß jene für den Freihandel, dieſe aber für den Zoll¬ tarif intereſſirt ſind. Ohne das Sallmann'ſche Pamphlet hätte ich dieſe Schlußſtelle wahrſcheinlich heute noch ausgeführt; entſchuldigen Sie nun, daß Sie ein Bruchſtück gehört haben. Bei Gott, ein Bruchſtück! rief Moorfeld unter der Laſt des Ge¬ hörten — Alles geht ja hier in die Brüche! Bei dieſem Worte wendete ſich Pauline an Benthal: Haſt du nicht etwas zu ſtreng geurtheilt? fragte ſie beſcheiden. Moorfeld fühlte die ganze Aufmerkſamkeit dieſer Frage für ſich. Er vergalt der Fragenden mit einem dankbaren Blicke. Aber des Mädchens Auge war niedergeſchlagen, ſie konnte ſeinen Blick nicht geſehen haben. Deßungeachtet erröthete ſie. Benthal ſagte zu Moorfeld: Nun, richten Sie den Richter! Wie paſſiren mir meine Negationen?

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/192>, abgerufen am 28.04.2024.