Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

unter einer Tiefe von zehn Klaftern unbewegt liegt. So dünn sind
die Platten, zwischen welchen wir unsre Eindrücke empfangen -- und
der Erdenwurm spricht von einer "empörten Schöpfung"!

Wenn Frauenumgang bildend den Excentricitäten der Männer
steuert, so war's einer jener leisen aber sichern Frauengriffe an's
Steuer, als Frau v. Milden mit einer unschuldigen Stimme jetzt
fragte: Wie meinen Sie, Theodor? Sie strafte das Verschobene, in¬
dem sie es nur zur Erklärung seiner selbst aufforderte.

Aber Pauline hob einen bittenden Blick zur Mutter auf und
sagte: Laß, Mama, wie sollte die Welt nicht klein werden, wenn es
das Leben ist!

Benthal wandte sich rasch um. Er sah das Mädchen verstimmt an.
Pauline erschrack. In Benthal's Blick erst ward ihr's bewußt, daß sie die
harmlose Berührung der Mutter mit einer viel empfindlicheren parirt
-- und doch hatte sie nichts gethan, als ihr tiefstes Verständniß für
ein mitgefühltes Lebensweh ausgesprochen.

Frau v. Milden schien das Mißliche von Paulinens Wort zu empfin¬
den und redete Benthal ablenkend an: Wollen wir die Geschichte von
Pennsylvanien für heute in den Schrank schließen?

Demüthig sagte Pauline: Oder laß mich schreiben und dictire du.
Du concipirst fließender, wenn der Kopf allein arbeitet.

Das läßt sich hören, antwortete Frau v. Milden. Unser Baron --
auf einen Blick Benthal's verbesserte sie sich -- unser Doctor Moor¬
feld, wollte ich sagen, kommt bei diesem Wetter ohnedies nicht mehr.

Mama! rief die kleine Malvine halb trotzend, halb bittend.

Du bildest dir doch nicht ein, wies die Mutter das Kind zurecht,
daß man in solchen Wolkenbrüchen Visiten macht? Oder bist du so
selbstsüchtig, dir zu wünschen, was andern Menschen Beschwerde macht?

Aber der Doctor kommt doch, antwortete das Mädchen vergnügt,
ohne einen Zug von Eigensinn.

In diesem Augenblick geschah ein betäubender Donnerkrach, ein
jacher Windstoß riß in das Zimmer herein, denn die Thüre war auf¬
gethan und Moorfeld stand im Zimmer.

Die Wirkung dieses Zusammentreffens war so schlagend, und Mal¬
vine jubelte so trunken, daß Frau v. Milden nicht umhin konnte, den
vorausgegangenen Augenblick von Prophetie zu erzählen.

unter einer Tiefe von zehn Klaftern unbewegt liegt. So dünn ſind
die Platten, zwiſchen welchen wir unſre Eindrücke empfangen — und
der Erdenwurm ſpricht von einer „empörten Schöpfung“!

Wenn Frauenumgang bildend den Excentricitäten der Männer
ſteuert, ſo war's einer jener leiſen aber ſichern Frauengriffe an's
Steuer, als Frau v. Milden mit einer unſchuldigen Stimme jetzt
fragte: Wie meinen Sie, Theodor? Sie ſtrafte das Verſchobene, in¬
dem ſie es nur zur Erklärung ſeiner ſelbſt aufforderte.

Aber Pauline hob einen bittenden Blick zur Mutter auf und
ſagte: Laß, Mama, wie ſollte die Welt nicht klein werden, wenn es
das Leben iſt!

Benthal wandte ſich raſch um. Er ſah das Mädchen verſtimmt an.
Pauline erſchrack. In Benthal's Blick erſt ward ihr's bewußt, daß ſie die
harmloſe Berührung der Mutter mit einer viel empfindlicheren parirt
— und doch hatte ſie nichts gethan, als ihr tiefſtes Verſtändniß für
ein mitgefühltes Lebensweh ausgeſprochen.

Frau v. Milden ſchien das Mißliche von Paulinens Wort zu empfin¬
den und redete Benthal ablenkend an: Wollen wir die Geſchichte von
Pennſylvanien für heute in den Schrank ſchließen?

Demüthig ſagte Pauline: Oder laß mich ſchreiben und dictire du.
Du concipirſt fließender, wenn der Kopf allein arbeitet.

Das läßt ſich hören, antwortete Frau v. Milden. Unſer Baron —
auf einen Blick Benthal's verbeſſerte ſie ſich — unſer Doctor Moor¬
feld, wollte ich ſagen, kommt bei dieſem Wetter ohnedies nicht mehr.

Mama! rief die kleine Malvine halb trotzend, halb bittend.

Du bildeſt dir doch nicht ein, wies die Mutter das Kind zurecht,
daß man in ſolchen Wolkenbrüchen Viſiten macht? Oder biſt du ſo
ſelbſtſüchtig, dir zu wünſchen, was andern Menſchen Beſchwerde macht?

Aber der Doctor kommt doch, antwortete das Mädchen vergnügt,
ohne einen Zug von Eigenſinn.

In dieſem Augenblick geſchah ein betäubender Donnerkrach, ein
jacher Windſtoß riß in das Zimmer herein, denn die Thüre war auf¬
gethan und Moorfeld ſtand im Zimmer.

Die Wirkung dieſes Zuſammentreffens war ſo ſchlagend, und Mal¬
vine jubelte ſo trunken, daß Frau v. Milden nicht umhin konnte, den
vorausgegangenen Augenblick von Prophetie zu erzählen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0176" n="158"/>
unter einer Tiefe von zehn Klaftern unbewegt liegt. So dünn &#x017F;ind<lb/>
die Platten, zwi&#x017F;chen welchen wir un&#x017F;re Eindrücke empfangen &#x2014; und<lb/>
der Erdenwurm &#x017F;pricht von einer &#x201E;empörten Schöpfung&#x201C;!</p><lb/>
          <p>Wenn Frauenumgang bildend den Excentricitäten der Männer<lb/>
&#x017F;teuert, &#x017F;o war's einer jener lei&#x017F;en aber &#x017F;ichern Frauengriffe an's<lb/>
Steuer, als Frau v. Milden mit einer un&#x017F;chuldigen Stimme jetzt<lb/>
fragte: <hi rendition="#g">Wie</hi> meinen Sie, Theodor? Sie &#x017F;trafte das Ver&#x017F;chobene, in¬<lb/>
dem &#x017F;ie es nur zur Erklärung &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;t aufforderte.</p><lb/>
          <p>Aber Pauline hob einen bittenden Blick zur Mutter auf und<lb/>
&#x017F;agte: Laß, Mama, wie &#x017F;ollte die Welt nicht klein werden, wenn es<lb/>
das Leben i&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>Benthal wandte &#x017F;ich ra&#x017F;ch um. Er &#x017F;ah das Mädchen ver&#x017F;timmt an.<lb/>
Pauline er&#x017F;chrack. In Benthal's Blick er&#x017F;t ward ihr's bewußt, daß &#x017F;ie die<lb/>
harmlo&#x017F;e Berührung der Mutter mit einer viel empfindlicheren parirt<lb/>
&#x2014; und doch hatte &#x017F;ie nichts gethan, als ihr tief&#x017F;tes Ver&#x017F;tändniß für<lb/>
ein mitgefühltes Lebensweh ausge&#x017F;prochen.</p><lb/>
          <p>Frau v. Milden &#x017F;chien das Mißliche von Paulinens Wort zu empfin¬<lb/>
den und redete Benthal ablenkend an: Wollen wir die Ge&#x017F;chichte von<lb/>
Penn&#x017F;ylvanien für heute in den Schrank &#x017F;chließen?</p><lb/>
          <p>Demüthig &#x017F;agte Pauline: Oder laß mich &#x017F;chreiben und dictire du.<lb/>
Du concipir&#x017F;t fließender, wenn der Kopf allein arbeitet.</p><lb/>
          <p>Das läßt &#x017F;ich hören, antwortete Frau v. Milden. Un&#x017F;er Baron &#x2014;<lb/>
auf einen Blick Benthal's verbe&#x017F;&#x017F;erte &#x017F;ie &#x017F;ich &#x2014; un&#x017F;er Doctor Moor¬<lb/>
feld, wollte ich &#x017F;agen, kommt bei die&#x017F;em Wetter ohnedies nicht mehr.</p><lb/>
          <p>Mama! rief die kleine Malvine halb trotzend, halb bittend.</p><lb/>
          <p>Du bilde&#x017F;t dir doch nicht ein, wies die Mutter das Kind zurecht,<lb/>
daß man in &#x017F;olchen Wolkenbrüchen Vi&#x017F;iten macht? Oder bi&#x017F;t du &#x017F;o<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;üchtig, dir zu wün&#x017F;chen, was andern Men&#x017F;chen Be&#x017F;chwerde macht?</p><lb/>
          <p>Aber der Doctor kommt doch, antwortete das Mädchen vergnügt,<lb/>
ohne einen Zug von Eigen&#x017F;inn.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;em Augenblick ge&#x017F;chah ein betäubender Donnerkrach, ein<lb/>
jacher Wind&#x017F;toß riß in das Zimmer herein, denn die Thüre war auf¬<lb/>
gethan und Moorfeld &#x017F;tand im Zimmer.</p><lb/>
          <p>Die Wirkung die&#x017F;es Zu&#x017F;ammentreffens war &#x017F;o &#x017F;chlagend, und Mal¬<lb/>
vine jubelte &#x017F;o trunken, daß Frau v. Milden nicht umhin konnte, den<lb/>
vorausgegangenen Augenblick von Prophetie zu erzählen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0176] unter einer Tiefe von zehn Klaftern unbewegt liegt. So dünn ſind die Platten, zwiſchen welchen wir unſre Eindrücke empfangen — und der Erdenwurm ſpricht von einer „empörten Schöpfung“! Wenn Frauenumgang bildend den Excentricitäten der Männer ſteuert, ſo war's einer jener leiſen aber ſichern Frauengriffe an's Steuer, als Frau v. Milden mit einer unſchuldigen Stimme jetzt fragte: Wie meinen Sie, Theodor? Sie ſtrafte das Verſchobene, in¬ dem ſie es nur zur Erklärung ſeiner ſelbſt aufforderte. Aber Pauline hob einen bittenden Blick zur Mutter auf und ſagte: Laß, Mama, wie ſollte die Welt nicht klein werden, wenn es das Leben iſt! Benthal wandte ſich raſch um. Er ſah das Mädchen verſtimmt an. Pauline erſchrack. In Benthal's Blick erſt ward ihr's bewußt, daß ſie die harmloſe Berührung der Mutter mit einer viel empfindlicheren parirt — und doch hatte ſie nichts gethan, als ihr tiefſtes Verſtändniß für ein mitgefühltes Lebensweh ausgeſprochen. Frau v. Milden ſchien das Mißliche von Paulinens Wort zu empfin¬ den und redete Benthal ablenkend an: Wollen wir die Geſchichte von Pennſylvanien für heute in den Schrank ſchließen? Demüthig ſagte Pauline: Oder laß mich ſchreiben und dictire du. Du concipirſt fließender, wenn der Kopf allein arbeitet. Das läßt ſich hören, antwortete Frau v. Milden. Unſer Baron — auf einen Blick Benthal's verbeſſerte ſie ſich — unſer Doctor Moor¬ feld, wollte ich ſagen, kommt bei dieſem Wetter ohnedies nicht mehr. Mama! rief die kleine Malvine halb trotzend, halb bittend. Du bildeſt dir doch nicht ein, wies die Mutter das Kind zurecht, daß man in ſolchen Wolkenbrüchen Viſiten macht? Oder biſt du ſo ſelbſtſüchtig, dir zu wünſchen, was andern Menſchen Beſchwerde macht? Aber der Doctor kommt doch, antwortete das Mädchen vergnügt, ohne einen Zug von Eigenſinn. In dieſem Augenblick geſchah ein betäubender Donnerkrach, ein jacher Windſtoß riß in das Zimmer herein, denn die Thüre war auf¬ gethan und Moorfeld ſtand im Zimmer. Die Wirkung dieſes Zuſammentreffens war ſo ſchlagend, und Mal¬ vine jubelte ſo trunken, daß Frau v. Milden nicht umhin konnte, den vorausgegangenen Augenblick von Prophetie zu erzählen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/176
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/176>, abgerufen am 25.11.2024.