Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es
lebhaft.

Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit
einer üblichen Neckerei rügen zu müssen. Sie sagte: Nun wirst du aber
auch einen so schwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.

Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline schon längst einen
blonden Ungarbart bekommen, so groß!

Die Wirkung dieses naiven Kinderwortes und der vierfach variirte
Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachsenen wäre nicht wohl wie¬
derzugeben, wenn nicht in demselben Augenblicke ein vernünftiger Don¬
nerschlag der Familie die willkommene Veranlassung geboten hätte, zu
erschrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das
Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei diesem Wetter.

Ich gehe oder fahre in solchem Wetter am liebsten aus, antwor¬
tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen-
Promenade durch die eleganten Passagen einer Stadt. Wie wunderschön
das herabklatscht in die lackirte und frisirte Puppenschachtel! Nennen
Sie's nicht Schadenfreude. Es ist ein ästhetischer Eindruck. Es ist
komisch und pathetisch zugleich. Ja, es ist der einzige Fall, wo vom
Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt ist. Auch leide ich ja
mit. Aber im Geiste bin ich dann gar nicht auf der Erde, sondern
droben. Wie sympathisire ich mit dem grauen Ungeheuer in seiner
Vogelperspective! Das kam über Land und Meer dahergerauscht,
scheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf
ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Pelisse wird, die Ceder
zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall -- ein goldenes,
zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glassturz zu stellen. Und nun
die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß
man doch, wer noch das große Wort im Hause führt, die Glace¬
handschuhmacher oder die Natur?

Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.

Ja, das ist ein Anderes, rief Moorfeld, indem er sich augenblick¬
lich in diese Frage fand und ernsthaft ward; wenn Sie einen Seesturm
erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoesie zu be¬
geistern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen Seestürme
haben, wahrscheinlich aus sonnigen Garten-Veranden, aus Cajüten

Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es
lebhaft.

Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit
einer üblichen Neckerei rügen zu müſſen. Sie ſagte: Nun wirſt du aber
auch einen ſo ſchwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.

Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline ſchon längſt einen
blonden Ungarbart bekommen, ſo groß!

Die Wirkung dieſes naiven Kinderwortes und der vierfach variirte
Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachſenen wäre nicht wohl wie¬
derzugeben, wenn nicht in demſelben Augenblicke ein vernünftiger Don¬
nerſchlag der Familie die willkommene Veranlaſſung geboten hätte, zu
erſchrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das
Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei dieſem Wetter.

Ich gehe oder fahre in ſolchem Wetter am liebſten aus, antwor¬
tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen-
Promenade durch die eleganten Paſſagen einer Stadt. Wie wunderſchön
das herabklatſcht in die lackirte und friſirte Puppenſchachtel! Nennen
Sie's nicht Schadenfreude. Es iſt ein äſthetiſcher Eindruck. Es iſt
komiſch und pathetiſch zugleich. Ja, es iſt der einzige Fall, wo vom
Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt iſt. Auch leide ich ja
mit. Aber im Geiſte bin ich dann gar nicht auf der Erde, ſondern
droben. Wie ſympathiſire ich mit dem grauen Ungeheuer in ſeiner
Vogelperſpective! Das kam über Land und Meer dahergerauſcht,
ſcheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf
ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Peliſſe wird, die Ceder
zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall — ein goldenes,
zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glasſturz zu ſtellen. Und nun
die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß
man doch, wer noch das große Wort im Hauſe führt, die Glace¬
handſchuhmacher oder die Natur?

Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.

Ja, das iſt ein Anderes, rief Moorfeld, indem er ſich augenblick¬
lich in dieſe Frage fand und ernſthaft ward; wenn Sie einen Seeſturm
erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoeſie zu be¬
geiſtern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen Seeſtürme
haben, wahrſcheinlich aus ſonnigen Garten-Veranden, aus Cajüten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0177" n="159"/>
          <p>Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es<lb/>
lebhaft.</p><lb/>
          <p>Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit<lb/>
einer üblichen Neckerei rügen zu mü&#x017F;&#x017F;en. Sie &#x017F;agte: Nun wir&#x017F;t du aber<lb/>
auch einen &#x017F;o &#x017F;chwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor.</p><lb/>
          <p>Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline &#x017F;chon läng&#x017F;t einen<lb/>
blonden Ungarbart bekommen, &#x017F;o groß!</p><lb/>
          <p>Die Wirkung die&#x017F;es naiven Kinderwortes und der vierfach variirte<lb/>
Ausdruck von der Verlegenheit der Erwach&#x017F;enen wäre nicht wohl wie¬<lb/>
derzugeben, wenn nicht in dem&#x017F;elben Augenblicke ein vernünftiger Don¬<lb/>
ner&#x017F;chlag der Familie die willkommene Veranla&#x017F;&#x017F;ung geboten hätte, zu<lb/>
er&#x017F;chrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das<lb/>
Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei die&#x017F;em Wetter.</p><lb/>
          <p>Ich gehe oder fahre in &#x017F;olchem Wetter am lieb&#x017F;ten aus, antwor¬<lb/>
tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen-<lb/>
Promenade durch die eleganten Pa&#x017F;&#x017F;agen einer Stadt. Wie wunder&#x017F;chön<lb/>
das herabklat&#x017F;cht in die lackirte und fri&#x017F;irte Puppen&#x017F;chachtel! Nennen<lb/>
Sie's nicht Schadenfreude. Es i&#x017F;t ein ä&#x017F;theti&#x017F;cher Eindruck. Es i&#x017F;t<lb/>
komi&#x017F;ch und patheti&#x017F;ch zugleich. Ja, es i&#x017F;t der einzige Fall, wo vom<lb/>
Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt i&#x017F;t. Auch leide ich ja<lb/>
mit. Aber im Gei&#x017F;te bin ich dann gar nicht auf der Erde, &#x017F;ondern<lb/>
droben. Wie &#x017F;ympathi&#x017F;ire ich mit dem grauen Ungeheuer in &#x017F;einer<lb/>
Vogelper&#x017F;pective! Das kam über Land und Meer dahergerau&#x017F;cht,<lb/>
&#x017F;cheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf<lb/>
ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Peli&#x017F;&#x017F;e wird, die Ceder<lb/>
zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall &#x2014; ein goldenes,<lb/>
zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glas&#x017F;turz zu &#x017F;tellen. Und nun<lb/>
die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß<lb/>
man doch, wer noch das große Wort im Hau&#x017F;e führt, die Glace¬<lb/>
hand&#x017F;chuhmacher oder die Natur?</p><lb/>
          <p>Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden.</p><lb/>
          <p>Ja, das i&#x017F;t ein Anderes, rief Moorfeld, indem er &#x017F;ich augenblick¬<lb/>
lich in die&#x017F;e Frage fand und ern&#x017F;thaft ward; wenn Sie einen See&#x017F;turm<lb/>
erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoe&#x017F;ie zu be¬<lb/>
gei&#x017F;tern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen See&#x017F;türme<lb/>
haben, wahr&#x017F;cheinlich aus &#x017F;onnigen Garten-Veranden, aus Cajüten<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0177] Moorfeld nahm das kleine Mädchen beim Kopf und küßte es lebhaft. Die Herzhaftigkeit, womit das Kind es litt, glaubte die Mutter mit einer üblichen Neckerei rügen zu müſſen. Sie ſagte: Nun wirſt du aber auch einen ſo ſchwarzen Ungarbart bekommen, wie der Herr Doctor. Ach! replicirte die Kleine, da hätte Pauline ſchon längſt einen blonden Ungarbart bekommen, ſo groß! Die Wirkung dieſes naiven Kinderwortes und der vierfach variirte Ausdruck von der Verlegenheit der Erwachſenen wäre nicht wohl wie¬ derzugeben, wenn nicht in demſelben Augenblicke ein vernünftiger Don¬ nerſchlag der Familie die willkommene Veranlaſſung geboten hätte, zu erſchrecken und zu überhören. Frau v. Milden ergriff überdies das Wort, und bewunderte Moorfeld's Ausgang bei dieſem Wetter. Ich gehe oder fahre in ſolchem Wetter am liebſten aus, antwor¬ tete Moorfeld, ich kenne kein größeres Vergnügen als eine Platzregen- Promenade durch die eleganten Paſſagen einer Stadt. Wie wunderſchön das herabklatſcht in die lackirte und friſirte Puppenſchachtel! Nennen Sie's nicht Schadenfreude. Es iſt ein äſthetiſcher Eindruck. Es iſt komiſch und pathetiſch zugleich. Ja, es iſt der einzige Fall, wo vom Erhabenen zum Lächerlichen gar kein Schritt iſt. Auch leide ich ja mit. Aber im Geiſte bin ich dann gar nicht auf der Erde, ſondern droben. Wie ſympathiſire ich mit dem grauen Ungeheuer in ſeiner Vogelperſpective! Das kam über Land und Meer dahergerauſcht, ſcheuchte den Bären hier, brach die Ceder dort, plötzlich hängt es auf ein Stückchen Boden herab, wo der Pelz zur Peliſſe wird, die Ceder zum Glockenthurm, die Wildhöhle zur City-Hall — ein goldenes, zuckernes Ding, Stadt genannt, unter Glasſturz zu ſtellen. Und nun die Fluten, die Blitze, die Orkane da drein! das erquickt! Da weiß man doch, wer noch das große Wort im Hauſe führt, die Glace¬ handſchuhmacher oder die Natur? Sie hatten eine heitere Ueberfahrt? fragte Frau v. Milden. Ja, das iſt ein Anderes, rief Moorfeld, indem er ſich augenblick¬ lich in dieſe Frage fand und ernſthaft ward; wenn Sie einen Seeſturm erlebt haben, dann verzichte ich darauf, Sie für Sturmpoeſie zu be¬ geiſtern. Gott weiß es, woher die Dichter ihre prächtigen Seeſtürme haben, wahrſcheinlich aus ſonnigen Garten-Veranden, aus Cajüten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/177
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/177>, abgerufen am 27.04.2024.