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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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wellen stört also die allgemeine Stille unserer Gruppe nicht. Frau
v. Milden mit dem kleinen Mädchen nimmt die eine Hälfte des Tisches
auf einem schmalen Canapee ein; neben ihrer Schwester an der untern
Seite hat Pauline Platz, an der oberen neben Frau v. Milden steht
ein leerer Stuhl mit Manuscripten und einem Schreibzeug davor.
Indem wir uns um den Inhaber desselben umsehen, entdecken wir die
Umrisse eines jungen Mannes, der reglos am Fenster verweilt, halb
von der zurückgeschlagenen Gardine, ganz aber von dem großen kreis¬
runden Schatten verborgen, womit der Lampenschirm die Mitte des
Zimmers verdunkelt. Es ist Benthal.

Die Ruhe, in welcher wir diese Gestalt verharren sehen, ist es
wahrscheinlich, welche auf die tiefe Stille im Zimmer zurückwirkt.
Man wird ihn nicht stören wollen.

Draußen aber am abendlichen Himmel hallt ein Gewitter.

Benthal hat das halbe Fenster geöffnet (das amerikanische Fenster
ist nur halb zu öffnen) und scheint in die Scenerie am Himmel ver¬
tieft. Pauline sucht ihn von Zeit zu Zeit mit einem Blicke jener
zärtlichen Inspiration, worin sich nur die bräutliche Angehörigkeit zweier
Personen aussprechen kann.

Der Donner hallt näher, Blitze begleiten ihn, und rasch, wie
Amerika's Wetter sich entladen, rauscht ein Platzregen nach. Die Luft
ist still, aber wie sie vom Wasserstrom jetzt durchschnitten wird, fan¬
gen die Fenstergardinen lebhaft zu wehen an.

Erkälten Sie sich nicht, Theodor, spricht Frau v. Milden bei
diesem Ausbruch zu dem Träumer am Fenster hin. Es ist das
erste Wort, welches ein langes Schweigen unterbricht.

Benthal schließt das Fenster, d. h. nach der hiesigen Construction,
er schiebt es zu, den Frauen zugewendet aber antwortet er: Mama,
wir hatten an der Rokolbank wohl andere Gelegenheit uns zu er¬
kälten!

Seitdem ist mir's eben gründlich verleidet, was man romantisch
"den Aufruhr der Elemente nennt" spricht Frau v. Milden zurück.

Ich bewundere auch nicht den Aufruhr bei solchen Scenen, sondern
die Ruhe, antwortete Benthal. Ich halte mir vor, daß auch die höchsten
Winde und Wolken, von den fünfzehn Meilen unsrer Lufthöhe nur
in den zwei untersten ihr Spiel treiben, und daß das heftigste Meer

wellen ſtört alſo die allgemeine Stille unſerer Gruppe nicht. Frau
v. Milden mit dem kleinen Mädchen nimmt die eine Hälfte des Tiſches
auf einem ſchmalen Canapee ein; neben ihrer Schweſter an der untern
Seite hat Pauline Platz, an der oberen neben Frau v. Milden ſteht
ein leerer Stuhl mit Manuſcripten und einem Schreibzeug davor.
Indem wir uns um den Inhaber deſſelben umſehen, entdecken wir die
Umriſſe eines jungen Mannes, der reglos am Fenſter verweilt, halb
von der zurückgeſchlagenen Gardine, ganz aber von dem großen kreis¬
runden Schatten verborgen, womit der Lampenſchirm die Mitte des
Zimmers verdunkelt. Es iſt Benthal.

Die Ruhe, in welcher wir dieſe Geſtalt verharren ſehen, iſt es
wahrſcheinlich, welche auf die tiefe Stille im Zimmer zurückwirkt.
Man wird ihn nicht ſtören wollen.

Draußen aber am abendlichen Himmel hallt ein Gewitter.

Benthal hat das halbe Fenſter geöffnet (das amerikaniſche Fenſter
iſt nur halb zu öffnen) und ſcheint in die Scenerie am Himmel ver¬
tieft. Pauline ſucht ihn von Zeit zu Zeit mit einem Blicke jener
zärtlichen Inſpiration, worin ſich nur die bräutliche Angehörigkeit zweier
Perſonen ausſprechen kann.

Der Donner hallt näher, Blitze begleiten ihn, und raſch, wie
Amerika's Wetter ſich entladen, rauſcht ein Platzregen nach. Die Luft
iſt ſtill, aber wie ſie vom Waſſerſtrom jetzt durchſchnitten wird, fan¬
gen die Fenſtergardinen lebhaft zu wehen an.

Erkälten Sie ſich nicht, Theodor, ſpricht Frau v. Milden bei
dieſem Ausbruch zu dem Träumer am Fenſter hin. Es iſt das
erſte Wort, welches ein langes Schweigen unterbricht.

Benthal ſchließt das Fenſter, d. h. nach der hieſigen Conſtruction,
er ſchiebt es zu, den Frauen zugewendet aber antwortet er: Mama,
wir hatten an der Rokolbank wohl andere Gelegenheit uns zu er¬
kälten!

Seitdem iſt mir's eben gründlich verleidet, was man romantiſch
„den Aufruhr der Elemente nennt“ ſpricht Frau v. Milden zurück.

Ich bewundere auch nicht den Aufruhr bei ſolchen Scenen, ſondern
die Ruhe, antwortete Benthal. Ich halte mir vor, daß auch die höchſten
Winde und Wolken, von den fünfzehn Meilen unſrer Lufthöhe nur
in den zwei unterſten ihr Spiel treiben, und daß das heftigſte Meer

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[157/0175] wellen ſtört alſo die allgemeine Stille unſerer Gruppe nicht. Frau v. Milden mit dem kleinen Mädchen nimmt die eine Hälfte des Tiſches auf einem ſchmalen Canapee ein; neben ihrer Schweſter an der untern Seite hat Pauline Platz, an der oberen neben Frau v. Milden ſteht ein leerer Stuhl mit Manuſcripten und einem Schreibzeug davor. Indem wir uns um den Inhaber deſſelben umſehen, entdecken wir die Umriſſe eines jungen Mannes, der reglos am Fenſter verweilt, halb von der zurückgeſchlagenen Gardine, ganz aber von dem großen kreis¬ runden Schatten verborgen, womit der Lampenſchirm die Mitte des Zimmers verdunkelt. Es iſt Benthal. Die Ruhe, in welcher wir dieſe Geſtalt verharren ſehen, iſt es wahrſcheinlich, welche auf die tiefe Stille im Zimmer zurückwirkt. Man wird ihn nicht ſtören wollen. Draußen aber am abendlichen Himmel hallt ein Gewitter. Benthal hat das halbe Fenſter geöffnet (das amerikaniſche Fenſter iſt nur halb zu öffnen) und ſcheint in die Scenerie am Himmel ver¬ tieft. Pauline ſucht ihn von Zeit zu Zeit mit einem Blicke jener zärtlichen Inſpiration, worin ſich nur die bräutliche Angehörigkeit zweier Perſonen ausſprechen kann. Der Donner hallt näher, Blitze begleiten ihn, und raſch, wie Amerika's Wetter ſich entladen, rauſcht ein Platzregen nach. Die Luft iſt ſtill, aber wie ſie vom Waſſerſtrom jetzt durchſchnitten wird, fan¬ gen die Fenſtergardinen lebhaft zu wehen an. Erkälten Sie ſich nicht, Theodor, ſpricht Frau v. Milden bei dieſem Ausbruch zu dem Träumer am Fenſter hin. Es iſt das erſte Wort, welches ein langes Schweigen unterbricht. Benthal ſchließt das Fenſter, d. h. nach der hieſigen Conſtruction, er ſchiebt es zu, den Frauen zugewendet aber antwortet er: Mama, wir hatten an der Rokolbank wohl andere Gelegenheit uns zu er¬ kälten! Seitdem iſt mir's eben gründlich verleidet, was man romantiſch „den Aufruhr der Elemente nennt“ ſpricht Frau v. Milden zurück. Ich bewundere auch nicht den Aufruhr bei ſolchen Scenen, ſondern die Ruhe, antwortete Benthal. Ich halte mir vor, daß auch die höchſten Winde und Wolken, von den fünfzehn Meilen unſrer Lufthöhe nur in den zwei unterſten ihr Spiel treiben, und daß das heftigſte Meer

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/175>, abgerufen am 28.04.2024.