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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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da machen. Eine summende Theemaschine erfüllt die vier Wände mit
ihrer mystischen Sourdinen-Musik; sonst regt sich kein Laut darin.
Ueberblicken wir die Gruppe, die, "um des Lichts gesellige Flamme"
versammelt, den runden Tisch inne hat, und von einer Milchlampe,
unter der Blende ihres Lichtschirms, beleuchtet wird. Es ist eine Gruppe
von drei Frauenköpfen, welche auf den ersten Blick die Gleichheit des
Familienzugs erkennen läßt. Es ist Frau v. Milden mit ihren beiden
Töchtern. Die Gruppe befindet sich in dem Zustande jener vollkommensten
Ruhe, in welcher der Künstler sein Modell zu beschauen liebt. Frau
v. Milden heftet ihr Auge auf eine feinere weibliche Arbeit, eine von
denen, welche den Gesichtsausdruck denkend beleben, aber doch die
Sicherheit des Gelingens nicht beunruhigen. Ein zartes, sinniges Antlitz.
Ein mädchenhafter Schmelz liegt auf diesen Zügen, eine nervöse
Geistigkeit, welche es vor dem gemeinen Altern ewig bewahren wird.
Die Spuren der Jahre sind in ihren Mienen zwar zu lesen, aber nicht
in jener groben Runenschrift der sogenannten Erfahrung, sondern
nur in dem geübteren Ausdruck einer angeborenen weiblichen Intuitions¬
kraft. Ihr gegenüber erblicken wir Pauline, die ältere Tochter. Im
Anschauen dieses Mädchens glauben wir erst die Jugendlichkeit der
Mutter zu verstehen. Es ist die gereiftere Milde, von welcher die Matrone
verschönt wird, man fühlt, die Mutter kennt den Umgang der Grazien, sie
kann lächeln, sie nimmt das Menschliche menschlich. Der Tochter be¬
zweifeln wir das. Es ist ein ergreifender Anblick dieses Mädchen.
Die volle Strenge der Jungfräulichkeit. Ihr ganzes Bild ist in Ernst
getaucht. Vor ihr steht der dampfende Theecomfort, sie hält eine Art
vestalische Flammenwacht daran. Eine nicht zu bezwingende Innigkeit
liegt in dem Blicke, womit sie -- der Spiritusflamme zuschaut. Man
erschrickt fast über so viel feierlichen Ausdruck in Mitte der Alltäglich¬
keit, man sieht eine Seele, die kein Hauskleid zu tragen weiß. Benthal
nannte sie die verkörperte Modestie; der Charakter liegt in dem Worte,
aber das Wort ist noch seine Gränze nicht. Zwischen der Mutter und
Paulinen bücken wir uns etwas tiefer zu dem dritten Frauenbild oder
Bildchen herab, und blicken der kleinen Malvine in ihr frischfrohes,
sinnliches Kinderauge. Ihr petulantes Gesichtchen ist zu einem kräf¬
tigen Nachdenken angespannt, sie hat ein englisches Lesebuch vor und
mag nicht wenig studiren. Auch diese Trägerin der leichtesten Blut¬

da machen. Eine ſummende Theemaſchine erfüllt die vier Wände mit
ihrer myſtiſchen Sourdinen-Muſik; ſonſt regt ſich kein Laut darin.
Ueberblicken wir die Gruppe, die, „um des Lichts geſellige Flamme“
verſammelt, den runden Tiſch inne hat, und von einer Milchlampe,
unter der Blende ihres Lichtſchirms, beleuchtet wird. Es iſt eine Gruppe
von drei Frauenköpfen, welche auf den erſten Blick die Gleichheit des
Familienzugs erkennen läßt. Es iſt Frau v. Milden mit ihren beiden
Töchtern. Die Gruppe befindet ſich in dem Zuſtande jener vollkommenſten
Ruhe, in welcher der Künſtler ſein Modell zu beſchauen liebt. Frau
v. Milden heftet ihr Auge auf eine feinere weibliche Arbeit, eine von
denen, welche den Geſichtsausdruck denkend beleben, aber doch die
Sicherheit des Gelingens nicht beunruhigen. Ein zartes, ſinniges Antlitz.
Ein mädchenhafter Schmelz liegt auf dieſen Zügen, eine nervöſe
Geiſtigkeit, welche es vor dem gemeinen Altern ewig bewahren wird.
Die Spuren der Jahre ſind in ihren Mienen zwar zu leſen, aber nicht
in jener groben Runenſchrift der ſogenannten Erfahrung, ſondern
nur in dem geübteren Ausdruck einer angeborenen weiblichen Intuitions¬
kraft. Ihr gegenüber erblicken wir Pauline, die ältere Tochter. Im
Anſchauen dieſes Mädchens glauben wir erſt die Jugendlichkeit der
Mutter zu verſtehen. Es iſt die gereiftere Milde, von welcher die Matrone
verſchönt wird, man fühlt, die Mutter kennt den Umgang der Grazien, ſie
kann lächeln, ſie nimmt das Menſchliche menſchlich. Der Tochter be¬
zweifeln wir das. Es iſt ein ergreifender Anblick dieſes Mädchen.
Die volle Strenge der Jungfräulichkeit. Ihr ganzes Bild iſt in Ernſt
getaucht. Vor ihr ſteht der dampfende Theecomfort, ſie hält eine Art
veſtaliſche Flammenwacht daran. Eine nicht zu bezwingende Innigkeit
liegt in dem Blicke, womit ſie — der Spiritusflamme zuſchaut. Man
erſchrickt faſt über ſo viel feierlichen Ausdruck in Mitte der Alltäglich¬
keit, man ſieht eine Seele, die kein Hauskleid zu tragen weiß. Benthal
nannte ſie die verkörperte Modeſtie; der Charakter liegt in dem Worte,
aber das Wort iſt noch ſeine Gränze nicht. Zwiſchen der Mutter und
Paulinen bücken wir uns etwas tiefer zu dem dritten Frauenbild oder
Bildchen herab, und blicken der kleinen Malvine in ihr friſchfrohes,
ſinnliches Kinderauge. Ihr petulantes Geſichtchen iſt zu einem kräf¬
tigen Nachdenken angeſpannt, ſie hat ein engliſches Leſebuch vor und
mag nicht wenig ſtudiren. Auch dieſe Trägerin der leichteſten Blut¬

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[156/0174] da machen. Eine ſummende Theemaſchine erfüllt die vier Wände mit ihrer myſtiſchen Sourdinen-Muſik; ſonſt regt ſich kein Laut darin. Ueberblicken wir die Gruppe, die, „um des Lichts geſellige Flamme“ verſammelt, den runden Tiſch inne hat, und von einer Milchlampe, unter der Blende ihres Lichtſchirms, beleuchtet wird. Es iſt eine Gruppe von drei Frauenköpfen, welche auf den erſten Blick die Gleichheit des Familienzugs erkennen läßt. Es iſt Frau v. Milden mit ihren beiden Töchtern. Die Gruppe befindet ſich in dem Zuſtande jener vollkommenſten Ruhe, in welcher der Künſtler ſein Modell zu beſchauen liebt. Frau v. Milden heftet ihr Auge auf eine feinere weibliche Arbeit, eine von denen, welche den Geſichtsausdruck denkend beleben, aber doch die Sicherheit des Gelingens nicht beunruhigen. Ein zartes, ſinniges Antlitz. Ein mädchenhafter Schmelz liegt auf dieſen Zügen, eine nervöſe Geiſtigkeit, welche es vor dem gemeinen Altern ewig bewahren wird. Die Spuren der Jahre ſind in ihren Mienen zwar zu leſen, aber nicht in jener groben Runenſchrift der ſogenannten Erfahrung, ſondern nur in dem geübteren Ausdruck einer angeborenen weiblichen Intuitions¬ kraft. Ihr gegenüber erblicken wir Pauline, die ältere Tochter. Im Anſchauen dieſes Mädchens glauben wir erſt die Jugendlichkeit der Mutter zu verſtehen. Es iſt die gereiftere Milde, von welcher die Matrone verſchönt wird, man fühlt, die Mutter kennt den Umgang der Grazien, ſie kann lächeln, ſie nimmt das Menſchliche menſchlich. Der Tochter be¬ zweifeln wir das. Es iſt ein ergreifender Anblick dieſes Mädchen. Die volle Strenge der Jungfräulichkeit. Ihr ganzes Bild iſt in Ernſt getaucht. Vor ihr ſteht der dampfende Theecomfort, ſie hält eine Art veſtaliſche Flammenwacht daran. Eine nicht zu bezwingende Innigkeit liegt in dem Blicke, womit ſie — der Spiritusflamme zuſchaut. Man erſchrickt faſt über ſo viel feierlichen Ausdruck in Mitte der Alltäglich¬ keit, man ſieht eine Seele, die kein Hauskleid zu tragen weiß. Benthal nannte ſie die verkörperte Modeſtie; der Charakter liegt in dem Worte, aber das Wort iſt noch ſeine Gränze nicht. Zwiſchen der Mutter und Paulinen bücken wir uns etwas tiefer zu dem dritten Frauenbild oder Bildchen herab, und blicken der kleinen Malvine in ihr friſchfrohes, ſinnliches Kinderauge. Ihr petulantes Geſichtchen iſt zu einem kräf¬ tigen Nachdenken angeſpannt, ſie hat ein engliſches Leſebuch vor und mag nicht wenig ſtudiren. Auch dieſe Trägerin der leichteſten Blut¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/174>, abgerufen am 28.04.2024.