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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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und der Schuhputzer des Millionärs gemeinsam gemacht haben. Hieher
bracht' ich den Proceß zwischen Ideal und Wirklichkeit, die Entscheidung
über Leben und Tod in letzter Instanz. Hier ist die höchste Appellation
in göttlichen und menschlichen Dingen. Mißlingt auch auf diesem
Boden der Sühneversuch unsrer widerspruchsvollen Geist-Stoff-Ehe, muß
ich mich scheiden von Menschheit, Gottheit, Glaube und Liebe, und
behält der teuflische Geist der Verneinung Recht -- wohlan, dann
komm' ich zurück nach Europa, "und bin gescheidter als alle die Lassen",
die die Welt zertrümmern, weil ihr Röschen heirathet. Dann hab'
ich mir meine Pistole, meinen Wahnsinn verdient wie ein Mann, nicht
wie ein Knabe. --

Hier ließ Moorfeld Benthal's Arm los, und verabschiedete sich
rasch. Bitten Sie mir morgen Abend eine Tasse Thee bei Ihren
Frauen aus, rief er im Weggehen zurück, seinen Besuch so nahe
rückend gleichsam zur Entschuldigung für diese heftige Trennung.
Gute Nacht, Freund; damit verschwand er in der Richtung gegen das
Post-Office hinab. Benthal's Schritte hörte er aber nicht sich ent¬
fernen; der Freund muß noch lange gestanden und ihm nachgesehe
haben.


Moorfeld's Lebensgeister vermochten keineswegs die Ruhe zu suchen,
als er in dieser späten Nachtstunde sein Zimmer erreicht hatte. Er
lag noch lange im Fenster. Auf New-Jersey drüben flimmerte eine
Villa in Illumination; der Bewohner mochte irgend ein Familienfest
feiern. Wie ein Busch voll Johanniswürmchen sah das Glück des
reichen Mannes auf diese Entfernung aus. Rings herum lag große,
ernsthafte Nacht; die Baumanlage von Hoboken war eine maje¬
stätische Schattenmasse. Der Hudson rauschte, in der Finsterniß dop¬
pelt breit, unter den Kielen der Schiffe hin, welche mit einer melan¬
cholischen Wachtlaterne an Bord schlaftrunken in ihren Piers vor Anker
lagen. Man hörte in der Nachtstille das Plätschern der Wellen an
ihren Flanken. Zuweilen durchschnitt auch ein Kahn die dunkelpolirte
Wasserfläche, lautlos, mit umwundenen Rudern, sei's daß er das nacht¬
schleichende Verbrechen trug oder die nie ruhende Themis, dessen Ver¬
folgerin. Unten im Süden, wo der Strom in die Bai übergeht, stand

und der Schuhputzer des Millionärs gemeinſam gemacht haben. Hieher
bracht' ich den Proceß zwiſchen Ideal und Wirklichkeit, die Entſcheidung
über Leben und Tod in letzter Inſtanz. Hier iſt die höchſte Appellation
in göttlichen und menſchlichen Dingen. Mißlingt auch auf dieſem
Boden der Sühneverſuch unſrer widerſpruchsvollen Geiſt-Stoff-Ehe, muß
ich mich ſcheiden von Menſchheit, Gottheit, Glaube und Liebe, und
behält der teufliſche Geiſt der Verneinung Recht — wohlan, dann
komm' ich zurück nach Europa, „und bin geſcheidter als alle die Laſſen“,
die die Welt zertrümmern, weil ihr Röschen heirathet. Dann hab'
ich mir meine Piſtole, meinen Wahnſinn verdient wie ein Mann, nicht
wie ein Knabe. —

Hier ließ Moorfeld Benthal's Arm los, und verabſchiedete ſich
raſch. Bitten Sie mir morgen Abend eine Taſſe Thee bei Ihren
Frauen aus, rief er im Weggehen zurück, ſeinen Beſuch ſo nahe
rückend gleichſam zur Entſchuldigung für dieſe heftige Trennung.
Gute Nacht, Freund; damit verſchwand er in der Richtung gegen das
Poſt-Office hinab. Benthal's Schritte hörte er aber nicht ſich ent¬
fernen; der Freund muß noch lange geſtanden und ihm nachgeſehe
haben.


Moorfeld's Lebensgeiſter vermochten keineswegs die Ruhe zu ſuchen,
als er in dieſer ſpäten Nachtſtunde ſein Zimmer erreicht hatte. Er
lag noch lange im Fenſter. Auf New-Jerſey drüben flimmerte eine
Villa in Illumination; der Bewohner mochte irgend ein Familienfeſt
feiern. Wie ein Buſch voll Johanniswürmchen ſah das Glück des
reichen Mannes auf dieſe Entfernung aus. Rings herum lag große,
ernſthafte Nacht; die Baumanlage von Hoboken war eine maje¬
ſtätiſche Schattenmaſſe. Der Hudſon rauſchte, in der Finſterniß dop¬
pelt breit, unter den Kielen der Schiffe hin, welche mit einer melan¬
choliſchen Wachtlaterne an Bord ſchlaftrunken in ihren Piers vor Anker
lagen. Man hörte in der Nachtſtille das Plätſchern der Wellen an
ihren Flanken. Zuweilen durchſchnitt auch ein Kahn die dunkelpolirte
Waſſerfläche, lautlos, mit umwundenen Rudern, ſei's daß er das nacht¬
ſchleichende Verbrechen trug oder die nie ruhende Themis, deſſen Ver¬
folgerin. Unten im Süden, wo der Strom in die Bai übergeht, ſtand

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[151/0169] und der Schuhputzer des Millionärs gemeinſam gemacht haben. Hieher bracht' ich den Proceß zwiſchen Ideal und Wirklichkeit, die Entſcheidung über Leben und Tod in letzter Inſtanz. Hier iſt die höchſte Appellation in göttlichen und menſchlichen Dingen. Mißlingt auch auf dieſem Boden der Sühneverſuch unſrer widerſpruchsvollen Geiſt-Stoff-Ehe, muß ich mich ſcheiden von Menſchheit, Gottheit, Glaube und Liebe, und behält der teufliſche Geiſt der Verneinung Recht — wohlan, dann komm' ich zurück nach Europa, „und bin geſcheidter als alle die Laſſen“, die die Welt zertrümmern, weil ihr Röschen heirathet. Dann hab' ich mir meine Piſtole, meinen Wahnſinn verdient wie ein Mann, nicht wie ein Knabe. — Hier ließ Moorfeld Benthal's Arm los, und verabſchiedete ſich raſch. Bitten Sie mir morgen Abend eine Taſſe Thee bei Ihren Frauen aus, rief er im Weggehen zurück, ſeinen Beſuch ſo nahe rückend gleichſam zur Entſchuldigung für dieſe heftige Trennung. Gute Nacht, Freund; damit verſchwand er in der Richtung gegen das Poſt-Office hinab. Benthal's Schritte hörte er aber nicht ſich ent¬ fernen; der Freund muß noch lange geſtanden und ihm nachgeſehe haben. Moorfeld's Lebensgeiſter vermochten keineswegs die Ruhe zu ſuchen, als er in dieſer ſpäten Nachtſtunde ſein Zimmer erreicht hatte. Er lag noch lange im Fenſter. Auf New-Jerſey drüben flimmerte eine Villa in Illumination; der Bewohner mochte irgend ein Familienfeſt feiern. Wie ein Buſch voll Johanniswürmchen ſah das Glück des reichen Mannes auf dieſe Entfernung aus. Rings herum lag große, ernſthafte Nacht; die Baumanlage von Hoboken war eine maje¬ ſtätiſche Schattenmaſſe. Der Hudſon rauſchte, in der Finſterniß dop¬ pelt breit, unter den Kielen der Schiffe hin, welche mit einer melan¬ choliſchen Wachtlaterne an Bord ſchlaftrunken in ihren Piers vor Anker lagen. Man hörte in der Nachtſtille das Plätſchern der Wellen an ihren Flanken. Zuweilen durchſchnitt auch ein Kahn die dunkelpolirte Waſſerfläche, lautlos, mit umwundenen Rudern, ſei's daß er das nacht¬ ſchleichende Verbrechen trug oder die nie ruhende Themis, deſſen Ver¬ folgerin. Unten im Süden, wo der Strom in die Bai übergeht, ſtand

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/169>, abgerufen am 22.11.2024.