der Mond und umsäumte mit seinem vollen Glanze den Meereshori¬ zont. Am äußersten Rande der Sehweite fand das Auge einen Ruhe¬ punkt dort; ein dunkler Körper, anzusehen wie Harnisch und Gewaffen einer Heldentrophäe, lag großartig vereinsamt mitten im Meeresspiegel. Es war das Fort Gibson auf dem kleinen Eilande Ellis.
In diese Nachtscene träumte Moorfeld hinaus, aber sein Inneres war abgezogen von ihr. Die Bilder des heutigen Abends gingen an seiner Seele vorüber. Ein toller Menschenhaufe mit Ratten und Hunden durchwirkt steht als dramatische Kunstgenossenschaft vor ihm -- wie verblaßt ist dieses übergrelle Bild schon! Der seltsame Engländer mit seiner Dogge, -- Hoby, der Staßenjunge -- ach, und mit diesem ein lichtes, lockendes Andenken -- blast es hinweg wie ein Gold¬ blättchen jenes Mädchenbild von der Battery! Kleindeutschland breitet sich aus in seiner Stimmung. Diese Urne voll Nieten rauscht ver¬ hängnißvoll an sein Ohr. Unheimlich und doch wohlthuend stellt sich dies Schicksalsgemälde vor ihn. Er sieht eine Reihe von Menschen, welche zu Grunde gehen ohne moralische Schuld, blos an der Unmöglich¬ keit der That. Er fühlt lebendiger als je, wie günstig das Loos des Sterblichen sei, dessen innerer und äußerer Census ihm erlaube, sich selbst zu vertreten, der in jedem Augenblicke an der Urne seines Schicksals das Votum einer ganzen und vollen Freiheit abgeben darf. Er freut sich des Gedankens an seine Ansiedlung; was Menschen so selten schätzen, schätzt er jetzt hoch, nämlich das Glück, daß überhaupt etwas möglich sei.
Und nun Benthal! Der junge Mann ist ein Stück deutsche Ar¬ beitskraft, das nicht unterzugehen verdient. Und doch -- wer schützt ihn auf die Länge davor? Wenn Moorfeld mit weniger Poesie und mehr Wirklichkeitssinn die sonderbare Stellung dieses Propheten zu Kleindeutschland abwog, so mußte er sich fragen: was ist wahrschein¬ licher? daß der gesunde Eine die kränkliche Mehrheit bewältige, oder daß die Schwachen nach und nach den Starken sich einverleiben wer¬ den? Schien es doch jetzt schon, daß Benthal's Adhäsion an Klein¬ deutschland eigentlich auf einer verhängnißvollen Verwandtschaft der Extreme beruhe! Es lag etwas Nervöses, Ekstatisches in der Spann¬ kraft dieses wackeren Ringers, das nicht blos aufgeregte Manneskraft verrieth, sondern zugleich einen gewissen weiblichen Zug des Charakters,
der Mond und umſäumte mit ſeinem vollen Glanze den Meereshori¬ zont. Am äußerſten Rande der Sehweite fand das Auge einen Ruhe¬ punkt dort; ein dunkler Körper, anzuſehen wie Harniſch und Gewaffen einer Heldentrophäe, lag großartig vereinſamt mitten im Meeresſpiegel. Es war das Fort Gibſon auf dem kleinen Eilande Ellis.
In dieſe Nachtſcene träumte Moorfeld hinaus, aber ſein Inneres war abgezogen von ihr. Die Bilder des heutigen Abends gingen an ſeiner Seele vorüber. Ein toller Menſchenhaufe mit Ratten und Hunden durchwirkt ſteht als dramatiſche Kunſtgenoſſenſchaft vor ihm — wie verblaßt iſt dieſes übergrelle Bild ſchon! Der ſeltſame Engländer mit ſeiner Dogge, — Hoby, der Staßenjunge — ach, und mit dieſem ein lichtes, lockendes Andenken — blast es hinweg wie ein Gold¬ blättchen jenes Mädchenbild von der Battery! Kleindeutſchland breitet ſich aus in ſeiner Stimmung. Dieſe Urne voll Nieten rauſcht ver¬ hängnißvoll an ſein Ohr. Unheimlich und doch wohlthuend ſtellt ſich dies Schickſalsgemälde vor ihn. Er ſieht eine Reihe von Menſchen, welche zu Grunde gehen ohne moraliſche Schuld, blos an der Unmöglich¬ keit der That. Er fühlt lebendiger als je, wie günſtig das Loos des Sterblichen ſei, deſſen innerer und äußerer Cenſus ihm erlaube, ſich ſelbſt zu vertreten, der in jedem Augenblicke an der Urne ſeines Schickſals das Votum einer ganzen und vollen Freiheit abgeben darf. Er freut ſich des Gedankens an ſeine Anſiedlung; was Menſchen ſo ſelten ſchätzen, ſchätzt er jetzt hoch, nämlich das Glück, daß überhaupt etwas möglich ſei.
Und nun Benthal! Der junge Mann iſt ein Stück deutſche Ar¬ beitskraft, das nicht unterzugehen verdient. Und doch — wer ſchützt ihn auf die Länge davor? Wenn Moorfeld mit weniger Poeſie und mehr Wirklichkeitsſinn die ſonderbare Stellung dieſes Propheten zu Kleindeutſchland abwog, ſo mußte er ſich fragen: was iſt wahrſchein¬ licher? daß der geſunde Eine die kränkliche Mehrheit bewältige, oder daß die Schwachen nach und nach den Starken ſich einverleiben wer¬ den? Schien es doch jetzt ſchon, daß Benthal's Adhäſion an Klein¬ deutſchland eigentlich auf einer verhängnißvollen Verwandtſchaft der Extreme beruhe! Es lag etwas Nervöſes, Ekſtatiſches in der Spann¬ kraft dieſes wackeren Ringers, das nicht blos aufgeregte Manneskraft verrieth, ſondern zugleich einen gewiſſen weiblichen Zug des Charakters,
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[152/0170]
der Mond und umſäumte mit ſeinem vollen Glanze den Meereshori¬
zont. Am äußerſten Rande der Sehweite fand das Auge einen Ruhe¬
punkt dort; ein dunkler Körper, anzuſehen wie Harniſch und Gewaffen
einer Heldentrophäe, lag großartig vereinſamt mitten im Meeresſpiegel.
Es war das Fort Gibſon auf dem kleinen Eilande Ellis.
In dieſe Nachtſcene träumte Moorfeld hinaus, aber ſein Inneres
war abgezogen von ihr. Die Bilder des heutigen Abends gingen an
ſeiner Seele vorüber. Ein toller Menſchenhaufe mit Ratten und
Hunden durchwirkt ſteht als dramatiſche Kunſtgenoſſenſchaft vor ihm —
wie verblaßt iſt dieſes übergrelle Bild ſchon! Der ſeltſame Engländer
mit ſeiner Dogge, — Hoby, der Staßenjunge — ach, und mit dieſem
ein lichtes, lockendes Andenken — blast es hinweg wie ein Gold¬
blättchen jenes Mädchenbild von der Battery! Kleindeutſchland breitet
ſich aus in ſeiner Stimmung. Dieſe Urne voll Nieten rauſcht ver¬
hängnißvoll an ſein Ohr. Unheimlich und doch wohlthuend ſtellt ſich
dies Schickſalsgemälde vor ihn. Er ſieht eine Reihe von Menſchen,
welche zu Grunde gehen ohne moraliſche Schuld, blos an der Unmöglich¬
keit der That. Er fühlt lebendiger als je, wie günſtig das Loos
des Sterblichen ſei, deſſen innerer und äußerer Cenſus ihm erlaube,
ſich ſelbſt zu vertreten, der in jedem Augenblicke an der Urne ſeines
Schickſals das Votum einer ganzen und vollen Freiheit abgeben darf.
Er freut ſich des Gedankens an ſeine Anſiedlung; was Menſchen ſo
ſelten ſchätzen, ſchätzt er jetzt hoch, nämlich das Glück, daß überhaupt
etwas möglich ſei.
Und nun Benthal! Der junge Mann iſt ein Stück deutſche Ar¬
beitskraft, das nicht unterzugehen verdient. Und doch — wer ſchützt
ihn auf die Länge davor? Wenn Moorfeld mit weniger Poeſie und
mehr Wirklichkeitsſinn die ſonderbare Stellung dieſes Propheten zu
Kleindeutſchland abwog, ſo mußte er ſich fragen: was iſt wahrſchein¬
licher? daß der geſunde Eine die kränkliche Mehrheit bewältige, oder
daß die Schwachen nach und nach den Starken ſich einverleiben wer¬
den? Schien es doch jetzt ſchon, daß Benthal's Adhäſion an Klein¬
deutſchland eigentlich auf einer verhängnißvollen Verwandtſchaft der
Extreme beruhe! Es lag etwas Nervöſes, Ekſtatiſches in der Spann¬
kraft dieſes wackeren Ringers, das nicht blos aufgeregte Manneskraft
verrieth, ſondern zugleich einen gewiſſen weiblichen Zug des Charakters,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/170>, abgerufen am 25.11.2024.
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