Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.religiösen Blicke sich als ein glänzendes Phantom darstellen; in den Annalen eines Reichs und in der sittigen Würde des Mannes übt sie immer eine fast göttliche Gewalt aus, und ich darf es laut sagen, die dänische Seeakademie ist ihr Tempel. Unter den meistens schönen und vor allem kerngesunden Zöglingen zeichneten sich einst zwei hochaufgeschossene Jünglinge aus. Beide schön, talentvoll, muthig und fleißig, -- weder von Geburt noch von Reichthum ist innerhalb dieser Mauern die Rede, -- gleich in der Gunst ihres Chefs und in dem Wohlwollen ihrer Gefährten, standen sie sich, wenn auch nicht feindlich, so doch fremd, fast kalt einander gegenüber, obgleich weder Mißhelligkeiten zwischen ihnen stattgefunden hatten, noch der Eine sich eigentlich deutlich bewußt war, was er an dem Andern auszusetzen fände. Wie streng auf die sittliche Bildung der Cadetten auch gehalten wurde, war es doch unmöglich, in diesem so wie in jedem geselligen Verein ganz vorzubeugen, daß nicht Neid und Selbstsucht einen geheimen Spielraum behielten: diese beiden Untugenden hatten schon in einem jugendlichen Herzen innerhalb dieser Mauern nur zu tiefe Wurzeln geschlagen. John Former, so wollen wir ihn nennen, älter als beide vorerwähnte Jünglinge, war schon einige und zwanzig Jahre alt, und bereits fünf Jahre früher auf die Akademie gekommen. Indessen waren jene in ihrem unablässigen, obgleich fast unwillkürlichen gemein- religiösen Blicke sich als ein glänzendes Phantom darstellen; in den Annalen eines Reichs und in der sittigen Würde des Mannes übt sie immer eine fast göttliche Gewalt aus, und ich darf es laut sagen, die dänische Seeakademie ist ihr Tempel. Unter den meistens schönen und vor allem kerngesunden Zöglingen zeichneten sich einst zwei hochaufgeschossene Jünglinge aus. Beide schön, talentvoll, muthig und fleißig, — weder von Geburt noch von Reichthum ist innerhalb dieser Mauern die Rede, — gleich in der Gunst ihres Chefs und in dem Wohlwollen ihrer Gefährten, standen sie sich, wenn auch nicht feindlich, so doch fremd, fast kalt einander gegenüber, obgleich weder Mißhelligkeiten zwischen ihnen stattgefunden hatten, noch der Eine sich eigentlich deutlich bewußt war, was er an dem Andern auszusetzen fände. Wie streng auf die sittliche Bildung der Cadetten auch gehalten wurde, war es doch unmöglich, in diesem so wie in jedem geselligen Verein ganz vorzubeugen, daß nicht Neid und Selbstsucht einen geheimen Spielraum behielten: diese beiden Untugenden hatten schon in einem jugendlichen Herzen innerhalb dieser Mauern nur zu tiefe Wurzeln geschlagen. John Former, so wollen wir ihn nennen, älter als beide vorerwähnte Jünglinge, war schon einige und zwanzig Jahre alt, und bereits fünf Jahre früher auf die Akademie gekommen. Indessen waren jene in ihrem unablässigen, obgleich fast unwillkürlichen gemein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0008"/> religiösen Blicke sich als ein glänzendes Phantom darstellen; in den Annalen eines Reichs und in der sittigen Würde des Mannes übt sie immer eine fast göttliche Gewalt aus, und ich darf es laut sagen, die dänische Seeakademie ist ihr Tempel.</p><lb/> <p>Unter den meistens schönen und vor allem kerngesunden Zöglingen zeichneten sich einst zwei hochaufgeschossene Jünglinge aus. Beide schön, talentvoll, muthig und fleißig, — weder von Geburt noch von Reichthum ist innerhalb dieser Mauern die Rede, — gleich in der Gunst ihres Chefs und in dem Wohlwollen ihrer Gefährten, standen sie sich, wenn auch nicht feindlich, so doch fremd, fast kalt einander gegenüber, obgleich weder Mißhelligkeiten zwischen ihnen stattgefunden hatten, noch der Eine sich eigentlich deutlich bewußt war, was er an dem Andern auszusetzen fände. Wie streng auf die sittliche Bildung der Cadetten auch gehalten wurde, war es doch unmöglich, in diesem so wie in jedem geselligen Verein ganz vorzubeugen, daß nicht Neid und Selbstsucht einen geheimen Spielraum behielten: diese beiden Untugenden hatten schon in einem jugendlichen Herzen innerhalb dieser Mauern nur zu tiefe Wurzeln geschlagen.</p><lb/> <p>John Former, so wollen wir ihn nennen, älter als beide vorerwähnte Jünglinge, war schon einige und zwanzig Jahre alt, und bereits fünf Jahre früher auf die Akademie gekommen. Indessen waren jene in ihrem unablässigen, obgleich fast unwillkürlichen gemein-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0008]
religiösen Blicke sich als ein glänzendes Phantom darstellen; in den Annalen eines Reichs und in der sittigen Würde des Mannes übt sie immer eine fast göttliche Gewalt aus, und ich darf es laut sagen, die dänische Seeakademie ist ihr Tempel.
Unter den meistens schönen und vor allem kerngesunden Zöglingen zeichneten sich einst zwei hochaufgeschossene Jünglinge aus. Beide schön, talentvoll, muthig und fleißig, — weder von Geburt noch von Reichthum ist innerhalb dieser Mauern die Rede, — gleich in der Gunst ihres Chefs und in dem Wohlwollen ihrer Gefährten, standen sie sich, wenn auch nicht feindlich, so doch fremd, fast kalt einander gegenüber, obgleich weder Mißhelligkeiten zwischen ihnen stattgefunden hatten, noch der Eine sich eigentlich deutlich bewußt war, was er an dem Andern auszusetzen fände. Wie streng auf die sittliche Bildung der Cadetten auch gehalten wurde, war es doch unmöglich, in diesem so wie in jedem geselligen Verein ganz vorzubeugen, daß nicht Neid und Selbstsucht einen geheimen Spielraum behielten: diese beiden Untugenden hatten schon in einem jugendlichen Herzen innerhalb dieser Mauern nur zu tiefe Wurzeln geschlagen.
John Former, so wollen wir ihn nennen, älter als beide vorerwähnte Jünglinge, war schon einige und zwanzig Jahre alt, und bereits fünf Jahre früher auf die Akademie gekommen. Indessen waren jene in ihrem unablässigen, obgleich fast unwillkürlichen gemein-
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Zitationshilfe: | Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/8>, abgerufen am 16.07.2024. |