Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

Kenntnis des menschlichen Lebens, verlangt eine auf Grund
solcher Lebenskenntnis festgegründete Weltanschauung, in der
Ueberzeugung wurzelnd, "daß die sittlichen Jdeale, die der
Mensch aus seinem tiefsten Wesen heraus erschaffen hat, den Kern
der Weltentwicklung überhaupt bilden müssen".

Aber lebendige Anschauung der realen Welt genügt nicht
zur Gewinnung selbständiger Weltanschauung. Das Studium
ist unumgängliche Voraussetzung, um zu bewußter Erkenntnis
zu gelangen. Durch Studium allein kann die Lehrerin auch
volle Stoffbeherrschung über ihr Fach gewinnen, erste Vor-
aussetzung für wirksamen Unterricht und eigenartige Gestal-
tung des Unterrichtsstoffes. - - -

Langsam nur setzten solche Anschauungen sich durch, lang-
sam besonders gewannen sie Beachtung und Zustimmung in
den maßgebenden Kreisen. Erst als Minister Bosse an die
Spitze des preußischen Unterrichtsministeriums trat, und die
Wünsche der Frauen nicht von vornherein schroff zurückwies,
sondern sie vorurteilsfrei zu prüfen versuchte, trat ein Wechsel
in den Anschauungen ein. Auch der neuernannte Dezernent
für das höhere Mädchenschulwesen, Stephan Wätzoldt,
zeigte im Gegensatz zu seinen Vorgängern weitgehendes Ver-
ständnis für alle mit der Mädchenschule, der Frauenbildung
zusammenhängenden Fragen. Ueberall machte sich Fortschritt,
Streben nach Besserung geltend, und es ist im höchsten Grade
zu bedauern, daß eine weiter durchzuführende Reform des
Mädchenschulwesens durch den 1904 erfolgten Tod Stephan
Wätzoldts
aufs neue hinausgerückt, wenn auch - zuverläs-
sigen Angaben zu Folge - nicht auf unabsehbare Zeit vertagt
wurde. Eine Kommission zur Bearbeitung von Reformplänen,
zunächst für die Lehrerinnen-Seminare, ist ernannt, die unter
Hinzuziehung von Frauen ihre Arbeit bereits begonnen hat.

Kenntnis des menschlichen Lebens, verlangt eine auf Grund
solcher Lebenskenntnis festgegründete Weltanschauung, in der
Ueberzeugung wurzelnd, „daß die sittlichen Jdeale, die der
Mensch aus seinem tiefsten Wesen heraus erschaffen hat, den Kern
der Weltentwicklung überhaupt bilden müssen“.

Aber lebendige Anschauung der realen Welt genügt nicht
zur Gewinnung selbständiger Weltanschauung. Das Studium
ist unumgängliche Voraussetzung, um zu bewußter Erkenntnis
zu gelangen. Durch Studium allein kann die Lehrerin auch
volle Stoffbeherrschung über ihr Fach gewinnen, erste Vor-
aussetzung für wirksamen Unterricht und eigenartige Gestal-
tung des Unterrichtsstoffes. – – –

Langsam nur setzten solche Anschauungen sich durch, lang-
sam besonders gewannen sie Beachtung und Zustimmung in
den maßgebenden Kreisen. Erst als Minister Bosse an die
Spitze des preußischen Unterrichtsministeriums trat, und die
Wünsche der Frauen nicht von vornherein schroff zurückwies,
sondern sie vorurteilsfrei zu prüfen versuchte, trat ein Wechsel
in den Anschauungen ein. Auch der neuernannte Dezernent
für das höhere Mädchenschulwesen, Stephan Wätzoldt,
zeigte im Gegensatz zu seinen Vorgängern weitgehendes Ver-
ständnis für alle mit der Mädchenschule, der Frauenbildung
zusammenhängenden Fragen. Ueberall machte sich Fortschritt,
Streben nach Besserung geltend, und es ist im höchsten Grade
zu bedauern, daß eine weiter durchzuführende Reform des
Mädchenschulwesens durch den 1904 erfolgten Tod Stephan
Wätzoldts
aufs neue hinausgerückt, wenn auch – zuverläs-
sigen Angaben zu Folge – nicht auf unabsehbare Zeit vertagt
wurde. Eine Kommission zur Bearbeitung von Reformplänen,
zunächst für die Lehrerinnen-Seminare, ist ernannt, die unter
Hinzuziehung von Frauen ihre Arbeit bereits begonnen hat.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="52"/>
Kenntnis des menschlichen Lebens, verlangt eine auf Grund<lb/>
solcher Lebenskenntnis festgegründete Weltanschauung, in der<lb/>
Ueberzeugung wurzelnd, &#x201E;daß die sittlichen Jdeale, die der<lb/>
Mensch aus seinem tiefsten Wesen heraus erschaffen hat, den Kern<lb/>
der Weltentwicklung überhaupt bilden müssen&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Aber lebendige Anschauung der realen Welt genügt nicht<lb/>
zur Gewinnung selbständiger Weltanschauung. Das <hi rendition="#g">Studium</hi><lb/>
ist unumgängliche Voraussetzung, um zu bewußter Erkenntnis<lb/>
zu gelangen. Durch Studium allein kann die Lehrerin auch<lb/>
volle Stoffbeherrschung über ihr Fach gewinnen, erste Vor-<lb/>
aussetzung für wirksamen Unterricht und eigenartige Gestal-<lb/>
tung des Unterrichtsstoffes. &#x2013; &#x2013; &#x2013;</p><lb/>
        <p>Langsam nur setzten solche Anschauungen sich durch, lang-<lb/>
sam besonders gewannen sie Beachtung und Zustimmung in<lb/>
den maßgebenden Kreisen. Erst als Minister <hi rendition="#g">Bosse</hi> an die<lb/>
Spitze des preußischen Unterrichtsministeriums trat, und die<lb/>
Wünsche der Frauen nicht von vornherein schroff zurückwies,<lb/>
sondern sie vorurteilsfrei zu prüfen versuchte, trat ein Wechsel<lb/>
in den Anschauungen ein. Auch der neuernannte Dezernent<lb/>
für das höhere Mädchenschulwesen, Stephan <hi rendition="#g">Wätzoldt</hi>,<lb/>
zeigte im Gegensatz zu seinen Vorgängern weitgehendes Ver-<lb/>
ständnis für alle mit der Mädchenschule, der Frauenbildung<lb/>
zusammenhängenden Fragen. Ueberall machte sich Fortschritt,<lb/>
Streben nach Besserung geltend, und es ist im höchsten Grade<lb/>
zu bedauern, daß eine weiter durchzuführende Reform des<lb/>
Mädchenschulwesens durch den 1904 erfolgten Tod <hi rendition="#g">Stephan<lb/>
Wätzoldts</hi> aufs neue hinausgerückt, wenn auch &#x2013; zuverläs-<lb/>
sigen Angaben zu Folge &#x2013; nicht auf unabsehbare Zeit vertagt<lb/>
wurde. Eine Kommission zur Bearbeitung von Reformplänen,<lb/>
zunächst für die Lehrerinnen-Seminare, ist ernannt, die unter<lb/>
Hinzuziehung von Frauen ihre Arbeit bereits begonnen hat.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0062] Kenntnis des menschlichen Lebens, verlangt eine auf Grund solcher Lebenskenntnis festgegründete Weltanschauung, in der Ueberzeugung wurzelnd, „daß die sittlichen Jdeale, die der Mensch aus seinem tiefsten Wesen heraus erschaffen hat, den Kern der Weltentwicklung überhaupt bilden müssen“. Aber lebendige Anschauung der realen Welt genügt nicht zur Gewinnung selbständiger Weltanschauung. Das Studium ist unumgängliche Voraussetzung, um zu bewußter Erkenntnis zu gelangen. Durch Studium allein kann die Lehrerin auch volle Stoffbeherrschung über ihr Fach gewinnen, erste Vor- aussetzung für wirksamen Unterricht und eigenartige Gestal- tung des Unterrichtsstoffes. – – – Langsam nur setzten solche Anschauungen sich durch, lang- sam besonders gewannen sie Beachtung und Zustimmung in den maßgebenden Kreisen. Erst als Minister Bosse an die Spitze des preußischen Unterrichtsministeriums trat, und die Wünsche der Frauen nicht von vornherein schroff zurückwies, sondern sie vorurteilsfrei zu prüfen versuchte, trat ein Wechsel in den Anschauungen ein. Auch der neuernannte Dezernent für das höhere Mädchenschulwesen, Stephan Wätzoldt, zeigte im Gegensatz zu seinen Vorgängern weitgehendes Ver- ständnis für alle mit der Mädchenschule, der Frauenbildung zusammenhängenden Fragen. Ueberall machte sich Fortschritt, Streben nach Besserung geltend, und es ist im höchsten Grade zu bedauern, daß eine weiter durchzuführende Reform des Mädchenschulwesens durch den 1904 erfolgten Tod Stephan Wätzoldts aufs neue hinausgerückt, wenn auch – zuverläs- sigen Angaben zu Folge – nicht auf unabsehbare Zeit vertagt wurde. Eine Kommission zur Bearbeitung von Reformplänen, zunächst für die Lehrerinnen-Seminare, ist ernannt, die unter Hinzuziehung von Frauen ihre Arbeit bereits begonnen hat.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/62
Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/62>, abgerufen am 06.05.2024.