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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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Es gibt im Gegensatz zu anderen Ländern in den
Kreisen der deutschen Frauenrechtlerinnen nur ganz vereinzelt
Doktrinäre, die, an dem Grundsatz: gleiches Recht für Mann
und Frau unbedingt festhaltend, jedes Ausnahmegesetz
für die Frau, also auch die Schutzgesetze für die verheirateten
Fabrikarbeiterinnen, verwerfen. Die überwiegende Mehrzahl
der deutschen Frauenrechtlerinnen tritt mit warmer Ueberzeu-
gung für den Ausbau der Arbeiterinnenschutzgesetzgebung ein.
Weil sie festhalten an dem Satz: "Die Freiheit des Einzelnen
wird beschränkt durch die Rücksicht auf das Gedeihen des Gan-
zen". Weil bei ihnen eins allem anderen voransteht: Die Rück
sicht auf das Wohl der kommenden Generation
.

Aus warmem Empfinden für die kommende Generation
heraus befürworten sie die Schutzgesetzgebung für die verhei-
ratete arbeitende Frau. Zugleich aber auch weil sie, im
Gegensatz zu den Sozialisten, daran festhalten, daß Einzel-
haushalt, Familie dem Volke aller Schichten beste, ja oft ein-
zige Glücksmöglichkeiten bieten.

Für den Zehn-Stunden-Tag der Fabrikarbeiterin sind des-
wegen, anläßlich des Krimitschauer Ausstandes, die namhaf-
testen Führerinnen der Frauenbewegung eingetreten. Mochte
der Zeitpunkt für solche Kundgebung nun gut oder schlecht
gewählt sein, was sie damit zu erreichen strebten, kann all-
gemeiner Billigung gewiß sein.

Ein Vorschlag aber taucht - angesichts der Notstände in
den arbeitenden Klassen, angesichts des Strebens der begü-
terten Frauen, sich freier, selbständiger zu bewegen, unter den
Frauenrechtlerinnen und insbesondere auch in sozialdemokra-
tischen Kreisen auf: der Vorschlag, den Einzelhaushalt durch
den Genossenschaftshaushalt, zum mindesten - bei sonst ge-
wahrter Selbständigkeit jedes einzelnen Hauswesens - die

Es gibt im Gegensatz zu anderen Ländern in den
Kreisen der deutschen Frauenrechtlerinnen nur ganz vereinzelt
Doktrinäre, die, an dem Grundsatz: gleiches Recht für Mann
und Frau unbedingt festhaltend, jedes Ausnahmegesetz
für die Frau, also auch die Schutzgesetze für die verheirateten
Fabrikarbeiterinnen, verwerfen. Die überwiegende Mehrzahl
der deutschen Frauenrechtlerinnen tritt mit warmer Ueberzeu-
gung für den Ausbau der Arbeiterinnenschutzgesetzgebung ein.
Weil sie festhalten an dem Satz: „Die Freiheit des Einzelnen
wird beschränkt durch die Rücksicht auf das Gedeihen des Gan-
zen“. Weil bei ihnen eins allem anderen voransteht: Die Rück
sicht auf das Wohl der kommenden Generation
.

Aus warmem Empfinden für die kommende Generation
heraus befürworten sie die Schutzgesetzgebung für die verhei-
ratete arbeitende Frau. Zugleich aber auch weil sie, im
Gegensatz zu den Sozialisten, daran festhalten, daß Einzel-
haushalt, Familie dem Volke aller Schichten beste, ja oft ein-
zige Glücksmöglichkeiten bieten.

Für den Zehn-Stunden-Tag der Fabrikarbeiterin sind des-
wegen, anläßlich des Krimitschauer Ausstandes, die namhaf-
testen Führerinnen der Frauenbewegung eingetreten. Mochte
der Zeitpunkt für solche Kundgebung nun gut oder schlecht
gewählt sein, was sie damit zu erreichen strebten, kann all-
gemeiner Billigung gewiß sein.

Ein Vorschlag aber taucht – angesichts der Notstände in
den arbeitenden Klassen, angesichts des Strebens der begü-
terten Frauen, sich freier, selbständiger zu bewegen, unter den
Frauenrechtlerinnen und insbesondere auch in sozialdemokra-
tischen Kreisen auf: der Vorschlag, den Einzelhaushalt durch
den Genossenschaftshaushalt, zum mindesten – bei sonst ge-
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[219/0229] Es gibt im Gegensatz zu anderen Ländern in den Kreisen der deutschen Frauenrechtlerinnen nur ganz vereinzelt Doktrinäre, die, an dem Grundsatz: gleiches Recht für Mann und Frau unbedingt festhaltend, jedes Ausnahmegesetz für die Frau, also auch die Schutzgesetze für die verheirateten Fabrikarbeiterinnen, verwerfen. Die überwiegende Mehrzahl der deutschen Frauenrechtlerinnen tritt mit warmer Ueberzeu- gung für den Ausbau der Arbeiterinnenschutzgesetzgebung ein. Weil sie festhalten an dem Satz: „Die Freiheit des Einzelnen wird beschränkt durch die Rücksicht auf das Gedeihen des Gan- zen“. Weil bei ihnen eins allem anderen voransteht: Die Rück sicht auf das Wohl der kommenden Generation. Aus warmem Empfinden für die kommende Generation heraus befürworten sie die Schutzgesetzgebung für die verhei- ratete arbeitende Frau. Zugleich aber auch weil sie, im Gegensatz zu den Sozialisten, daran festhalten, daß Einzel- haushalt, Familie dem Volke aller Schichten beste, ja oft ein- zige Glücksmöglichkeiten bieten. Für den Zehn-Stunden-Tag der Fabrikarbeiterin sind des- wegen, anläßlich des Krimitschauer Ausstandes, die namhaf- testen Führerinnen der Frauenbewegung eingetreten. Mochte der Zeitpunkt für solche Kundgebung nun gut oder schlecht gewählt sein, was sie damit zu erreichen strebten, kann all- gemeiner Billigung gewiß sein. Ein Vorschlag aber taucht – angesichts der Notstände in den arbeitenden Klassen, angesichts des Strebens der begü- terten Frauen, sich freier, selbständiger zu bewegen, unter den Frauenrechtlerinnen und insbesondere auch in sozialdemokra- tischen Kreisen auf: der Vorschlag, den Einzelhaushalt durch den Genossenschaftshaushalt, zum mindesten – bei sonst ge- wahrter Selbständigkeit jedes einzelnen Hauswesens – die

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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/229>, abgerufen am 28.04.2024.