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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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Eins aber muß hinzukommen und das scheint manchem, der
das arbeitende Volk gern zur Mäßigkeit ermahnt, an sich selbst
undurchführbar: das Beispiel der höheren Stände. Den
einfachen Mann vor Alkohol zu warnen, dabei selbst am
Frühschoppen und Dämmerschoppen, an Diners und Soupers
mit der obligaten Folge leichterer und schwererer Weine fest-
zuhalten, über den Abstinenzler und Temperenzler zu spötteln,
nur den Schnapstrinker zu verdammen, obwohl ihm
meist nur die Mittel zu Wein und Bier und Champagner fehlen,
das ist ein Messen mit zweierlei Maß, das demoralisierend
wirken muß und den Kampf gegen die Alkoholnot vollkom-
men illusorisch macht. Unsere Gesellschaftsgewohnheiten, unsere
studentischen Sitten machen alles zunichte, was durch Auf-
klärung des Volkes von seiten Einsichtiger erreicht wird.
Mögen die Frauen, die ja - wie man so gern sagt - die
Sitten unserer Gesellschaft bestimmen, die persönlich und in
ihren Kindern am Schwersten betroffen werden durch den
Alkoholismus, den Mut gewinnen, gegen die Trinkunsitten in
unserem Gesellschaftsverkehr Front zu machen. Mögen aber
auch die Männer, die Professoren, die Aerzte, die Geist-
lichen
, und insbesondere auch die Lehrer an unseren
höheren Knabenschulen
, die häufig noch allzu lax und
allzu sehr in alter Gewohnheit befangen von irgendwelchen
Pflichten auf diesem Gebiete nichts wissen wollen, mithelfen,
unsere deutsche Jugend wehrhaft zu machen zum Kampfe gegen
unser Nationallaster: gewohnheitsmäßiges, unmäßiges Trinken.
Sonst wird das Ringen im Wettkampfe der Nationen, die z. T.
- ich erinnere an Amerika - energisch gegen das Alkoholun-
wesen vorgehen oder wie Japan abstinent sind, für das
deutsche Volk kein Siegen bedeuten.

Nun ist fraglos das völlige Abstinententum, das die ziel-

Eins aber muß hinzukommen und das scheint manchem, der
das arbeitende Volk gern zur Mäßigkeit ermahnt, an sich selbst
undurchführbar: das Beispiel der höheren Stände. Den
einfachen Mann vor Alkohol zu warnen, dabei selbst am
Frühschoppen und Dämmerschoppen, an Diners und Soupers
mit der obligaten Folge leichterer und schwererer Weine fest-
zuhalten, über den Abstinenzler und Temperenzler zu spötteln,
nur den Schnapstrinker zu verdammen, obwohl ihm
meist nur die Mittel zu Wein und Bier und Champagner fehlen,
das ist ein Messen mit zweierlei Maß, das demoralisierend
wirken muß und den Kampf gegen die Alkoholnot vollkom-
men illusorisch macht. Unsere Gesellschaftsgewohnheiten, unsere
studentischen Sitten machen alles zunichte, was durch Auf-
klärung des Volkes von seiten Einsichtiger erreicht wird.
Mögen die Frauen, die ja – wie man so gern sagt – die
Sitten unserer Gesellschaft bestimmen, die persönlich und in
ihren Kindern am Schwersten betroffen werden durch den
Alkoholismus, den Mut gewinnen, gegen die Trinkunsitten in
unserem Gesellschaftsverkehr Front zu machen. Mögen aber
auch die Männer, die Professoren, die Aerzte, die Geist-
lichen
, und insbesondere auch die Lehrer an unseren
höheren Knabenschulen
, die häufig noch allzu lax und
allzu sehr in alter Gewohnheit befangen von irgendwelchen
Pflichten auf diesem Gebiete nichts wissen wollen, mithelfen,
unsere deutsche Jugend wehrhaft zu machen zum Kampfe gegen
unser Nationallaster: gewohnheitsmäßiges, unmäßiges Trinken.
Sonst wird das Ringen im Wettkampfe der Nationen, die z. T.
– ich erinnere an Amerika – energisch gegen das Alkoholun-
wesen vorgehen oder wie Japan abstinent sind, für das
deutsche Volk kein Siegen bedeuten.

Nun ist fraglos das völlige Abstinententum, das die ziel-

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[171/0181] Eins aber muß hinzukommen und das scheint manchem, der das arbeitende Volk gern zur Mäßigkeit ermahnt, an sich selbst undurchführbar: das Beispiel der höheren Stände. Den einfachen Mann vor Alkohol zu warnen, dabei selbst am Frühschoppen und Dämmerschoppen, an Diners und Soupers mit der obligaten Folge leichterer und schwererer Weine fest- zuhalten, über den Abstinenzler und Temperenzler zu spötteln, nur den Schnapstrinker zu verdammen, obwohl ihm meist nur die Mittel zu Wein und Bier und Champagner fehlen, das ist ein Messen mit zweierlei Maß, das demoralisierend wirken muß und den Kampf gegen die Alkoholnot vollkom- men illusorisch macht. Unsere Gesellschaftsgewohnheiten, unsere studentischen Sitten machen alles zunichte, was durch Auf- klärung des Volkes von seiten Einsichtiger erreicht wird. Mögen die Frauen, die ja – wie man so gern sagt – die Sitten unserer Gesellschaft bestimmen, die persönlich und in ihren Kindern am Schwersten betroffen werden durch den Alkoholismus, den Mut gewinnen, gegen die Trinkunsitten in unserem Gesellschaftsverkehr Front zu machen. Mögen aber auch die Männer, die Professoren, die Aerzte, die Geist- lichen, und insbesondere auch die Lehrer an unseren höheren Knabenschulen, die häufig noch allzu lax und allzu sehr in alter Gewohnheit befangen von irgendwelchen Pflichten auf diesem Gebiete nichts wissen wollen, mithelfen, unsere deutsche Jugend wehrhaft zu machen zum Kampfe gegen unser Nationallaster: gewohnheitsmäßiges, unmäßiges Trinken. Sonst wird das Ringen im Wettkampfe der Nationen, die z. T. – ich erinnere an Amerika – energisch gegen das Alkoholun- wesen vorgehen oder wie Japan abstinent sind, für das deutsche Volk kein Siegen bedeuten. Nun ist fraglos das völlige Abstinententum, das die ziel-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/181>, abgerufen am 02.05.2024.