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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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bewußtesten Alkoholgegner verlangen, zunächstein Hemmnis,
die Antialkoholbewegung in unserem Volke auszubreiten, so
richtig und unbestreitbar notwendig solch radikales Vorgehen
auch ist. Aber der Sprung von unseren bisherigen Anschau-
ungen zu vollständigem Abstinententum ist ein zu großer.
Selbst die Gebildeten im Volke begreifen es nicht, wie man
so lange eine derartige Volksvergiftung hat zulassen können,
begreifen es nicht, daß die Gefahr des Alkoholgenusses erst
so langsam erkannt wurde. Hat man doch von Mediziner-
seite lange Zeit selbst Kindern Alkohol verordnet; an den
Universitäten wurde und wird das Trinken nach Gesetzen und
Regeln geradezu pflichtmäßig betrieben. Statt von Staats-
wegen Produktion und Konsum einzudämmen, wurde beides
gefördert; Wirtshäuser wurden in immer größerer Anzahl kon-
zessioniert, die Versuchung zum Alkoholgenuß wurde dadurch
ständig gesteigert. So kam es, daß ein großer Teil des ge-
samten Acker- und Gartenbaulandes im Deutschen Reich zur
Herstellung geistiger Getränke bebaut wurde.

Weite Landstrecken dienen ausschließlich dem Weinbau,
dem Hopfenbau. Ein Heer von Arbeitern wird mit dem Bau
von Brennereien, der Einrichtung, dem Betrieb von Braue-
reien u. dgl. beschäftigt. Dazu kommen alle Kaufleute und
Zwischenhändler, die den Alkohol weiter verbreiten, Gastwirte,
Kellner und Kellnerinnen. Jn größeren und kleineren Städten
steht ein Bierpalast, eine Weinstube, ein Cafe, oder auch eine
Kneipe neben der anderen. Ein plötzlicher Umschwung der
Anschauungen würde ein Heer von Arbeitern, Arbeitgebern,
Landwirten, Fabrikanten, Gastwirten, Händlern u. a. m. brot-
los machen. Nicht einen plötzlichen Umschwung soll man darum
fordern, sondern schrittweise aber energisch vor-
gehendes Eindämmen
. Man darf nicht einfach mit

bewußtesten Alkoholgegner verlangen, zunächstein Hemmnis,
die Antialkoholbewegung in unserem Volke auszubreiten, so
richtig und unbestreitbar notwendig solch radikales Vorgehen
auch ist. Aber der Sprung von unseren bisherigen Anschau-
ungen zu vollständigem Abstinententum ist ein zu großer.
Selbst die Gebildeten im Volke begreifen es nicht, wie man
so lange eine derartige Volksvergiftung hat zulassen können,
begreifen es nicht, daß die Gefahr des Alkoholgenusses erst
so langsam erkannt wurde. Hat man doch von Mediziner-
seite lange Zeit selbst Kindern Alkohol verordnet; an den
Universitäten wurde und wird das Trinken nach Gesetzen und
Regeln geradezu pflichtmäßig betrieben. Statt von Staats-
wegen Produktion und Konsum einzudämmen, wurde beides
gefördert; Wirtshäuser wurden in immer größerer Anzahl kon-
zessioniert, die Versuchung zum Alkoholgenuß wurde dadurch
ständig gesteigert. So kam es, daß ein großer Teil des ge-
samten Acker- und Gartenbaulandes im Deutschen Reich zur
Herstellung geistiger Getränke bebaut wurde.

Weite Landstrecken dienen ausschließlich dem Weinbau,
dem Hopfenbau. Ein Heer von Arbeitern wird mit dem Bau
von Brennereien, der Einrichtung, dem Betrieb von Braue-
reien u. dgl. beschäftigt. Dazu kommen alle Kaufleute und
Zwischenhändler, die den Alkohol weiter verbreiten, Gastwirte,
Kellner und Kellnerinnen. Jn größeren und kleineren Städten
steht ein Bierpalast, eine Weinstube, ein Café, oder auch eine
Kneipe neben der anderen. Ein plötzlicher Umschwung der
Anschauungen würde ein Heer von Arbeitern, Arbeitgebern,
Landwirten, Fabrikanten, Gastwirten, Händlern u. a. m. brot-
los machen. Nicht einen plötzlichen Umschwung soll man darum
fordern, sondern schrittweise aber energisch vor-
gehendes Eindämmen
. Man darf nicht einfach mit

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[172/0182] bewußtesten Alkoholgegner verlangen, zunächstein Hemmnis, die Antialkoholbewegung in unserem Volke auszubreiten, so richtig und unbestreitbar notwendig solch radikales Vorgehen auch ist. Aber der Sprung von unseren bisherigen Anschau- ungen zu vollständigem Abstinententum ist ein zu großer. Selbst die Gebildeten im Volke begreifen es nicht, wie man so lange eine derartige Volksvergiftung hat zulassen können, begreifen es nicht, daß die Gefahr des Alkoholgenusses erst so langsam erkannt wurde. Hat man doch von Mediziner- seite lange Zeit selbst Kindern Alkohol verordnet; an den Universitäten wurde und wird das Trinken nach Gesetzen und Regeln geradezu pflichtmäßig betrieben. Statt von Staats- wegen Produktion und Konsum einzudämmen, wurde beides gefördert; Wirtshäuser wurden in immer größerer Anzahl kon- zessioniert, die Versuchung zum Alkoholgenuß wurde dadurch ständig gesteigert. So kam es, daß ein großer Teil des ge- samten Acker- und Gartenbaulandes im Deutschen Reich zur Herstellung geistiger Getränke bebaut wurde. Weite Landstrecken dienen ausschließlich dem Weinbau, dem Hopfenbau. Ein Heer von Arbeitern wird mit dem Bau von Brennereien, der Einrichtung, dem Betrieb von Braue- reien u. dgl. beschäftigt. Dazu kommen alle Kaufleute und Zwischenhändler, die den Alkohol weiter verbreiten, Gastwirte, Kellner und Kellnerinnen. Jn größeren und kleineren Städten steht ein Bierpalast, eine Weinstube, ein Café, oder auch eine Kneipe neben der anderen. Ein plötzlicher Umschwung der Anschauungen würde ein Heer von Arbeitern, Arbeitgebern, Landwirten, Fabrikanten, Gastwirten, Händlern u. a. m. brot- los machen. Nicht einen plötzlichen Umschwung soll man darum fordern, sondern schrittweise aber energisch vor- gehendes Eindämmen. Man darf nicht einfach mit

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/182>, abgerufen am 03.05.2024.