Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

trauensvoll nahendes Mädchen zur Frau zu begehren. Und
niemand erhebt Einspruch dagegen, niemand warnt das Mäd-
chen und spricht ihm von dem, was ihrer in solcher Ehe wartet.

Selbst kranke Männer schließen in gewissenlosester Weise
Ehen. Wie viele der Frauenkrankheiten, die sich immer mehr
ausbreiten, auf Jnfektion von seiten des Mannes zurückzu-
führen sind, wie oft durch solche Jnfektion das höchste Glück
der Frau, gesunde, blühende Kinder zu besitzen, schon im
Kerne vernichtet wird, das ist von medizinischer Seite oft
und rückhaltlos betont worden. Nur den Frauen wird es
allzuhäufig sorgsam verheimlicht1).

Aber selbst von diesem Schlimmsten abgesehen, was eine
Frau, die reinen Herzens und reinen Sinnes in die Ehe ein-
tritt, bei dem Zusammenleben mit einem Manne zu leiden
hat, den das voreheliche Leben jedes feineren Empfindens be-
raubt, den es überreizt und abgestumpft hat, daran denkt
man so selten. Von der Schmach, die der eigene Mann ihr
antut, wagt eine Frau kaum jemals zu sprechen. Die Schmach
eingestehen, heißt die Qual verdoppeln.

Liebe soll höchstes und heiligstes sein. Quell neuen
Lebens ist sie. Aber dieser Quell ist in allzuvielen Fällen
von vornherein beschmutzt und vergiftet, weil die herrschenden
Anschauungen von Doppelmoral dem Manne schrankenloses Sich-
Ausleben vor oder womöglich noch neben der Ehe gestatten.
Selbst wenn nicht furchtbare Krankheiten - in außerehelichem
Verkehre erworben - Glück und Gesundheit der Frau, der

1) Jn etwa 40-50% der kinderlosen Ehen ist die Kinder-
losigkeit direkt oder indirekt durch Geschlechtskrankheit der Männer
bedingt, das sind etwa 300000 Ehen, in welchen die Frau im Alter
von 15-50 Jahren steht. Friedrich Prinzing, Die sterilen Ehen.
Zeitschr. f. Sozialwissenschaften. Bd. VII.

trauensvoll nahendes Mädchen zur Frau zu begehren. Und
niemand erhebt Einspruch dagegen, niemand warnt das Mäd-
chen und spricht ihm von dem, was ihrer in solcher Ehe wartet.

Selbst kranke Männer schließen in gewissenlosester Weise
Ehen. Wie viele der Frauenkrankheiten, die sich immer mehr
ausbreiten, auf Jnfektion von seiten des Mannes zurückzu-
führen sind, wie oft durch solche Jnfektion das höchste Glück
der Frau, gesunde, blühende Kinder zu besitzen, schon im
Kerne vernichtet wird, das ist von medizinischer Seite oft
und rückhaltlos betont worden. Nur den Frauen wird es
allzuhäufig sorgsam verheimlicht1).

Aber selbst von diesem Schlimmsten abgesehen, was eine
Frau, die reinen Herzens und reinen Sinnes in die Ehe ein-
tritt, bei dem Zusammenleben mit einem Manne zu leiden
hat, den das voreheliche Leben jedes feineren Empfindens be-
raubt, den es überreizt und abgestumpft hat, daran denkt
man so selten. Von der Schmach, die der eigene Mann ihr
antut, wagt eine Frau kaum jemals zu sprechen. Die Schmach
eingestehen, heißt die Qual verdoppeln.

Liebe soll höchstes und heiligstes sein. Quell neuen
Lebens ist sie. Aber dieser Quell ist in allzuvielen Fällen
von vornherein beschmutzt und vergiftet, weil die herrschenden
Anschauungen von Doppelmoral dem Manne schrankenloses Sich-
Ausleben vor oder womöglich noch neben der Ehe gestatten.
Selbst wenn nicht furchtbare Krankheiten – in außerehelichem
Verkehre erworben – Glück und Gesundheit der Frau, der

1) Jn etwa 40–50% der kinderlosen Ehen ist die Kinder-
losigkeit direkt oder indirekt durch Geschlechtskrankheit der Männer
bedingt, das sind etwa 300000 Ehen, in welchen die Frau im Alter
von 15–50 Jahren steht. Friedrich Prinzing, Die sterilen Ehen.
Zeitschr. f. Sozialwissenschaften. Bd. VII.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="144"/>
trauensvoll nahendes Mädchen zur Frau zu begehren. Und<lb/>
niemand erhebt Einspruch dagegen, niemand warnt das Mäd-<lb/>
chen und spricht ihm von dem, was ihrer in solcher Ehe wartet.</p><lb/>
        <p>Selbst kranke Männer schließen in gewissenlosester Weise<lb/>
Ehen. Wie viele der Frauenkrankheiten, die sich immer mehr<lb/>
ausbreiten, auf Jnfektion von seiten des Mannes zurückzu-<lb/>
führen sind, wie oft durch solche Jnfektion das höchste Glück<lb/>
der Frau, gesunde, blühende Kinder zu besitzen, schon im<lb/>
Kerne vernichtet wird, das ist von medizinischer Seite oft<lb/>
und rückhaltlos betont worden. Nur den Frauen wird es<lb/>
allzuhäufig sorgsam verheimlicht<note place="foot" n="1)">Jn etwa 40&#x2013;50% der kinderlosen Ehen ist die Kinder-<lb/>
losigkeit direkt oder indirekt durch Geschlechtskrankheit der Männer<lb/>
bedingt, das sind etwa 300000 Ehen, in welchen die Frau im Alter<lb/>
von 15&#x2013;50 Jahren steht. Friedrich Prinzing, Die sterilen Ehen.<lb/>
Zeitschr. f. Sozialwissenschaften. Bd. <hi rendition="#aq">VII</hi>.</note>.</p><lb/>
        <p>Aber selbst von diesem Schlimmsten abgesehen, was eine<lb/>
Frau, die reinen Herzens und reinen Sinnes in die Ehe ein-<lb/>
tritt, bei dem Zusammenleben mit einem Manne zu leiden<lb/>
hat, den das voreheliche Leben jedes feineren Empfindens be-<lb/>
raubt, den es überreizt und abgestumpft hat, daran denkt<lb/>
man so selten. Von der Schmach, die der eigene Mann ihr<lb/>
antut, wagt eine Frau kaum jemals zu sprechen. Die Schmach<lb/>
eingestehen, heißt die Qual verdoppeln.</p><lb/>
        <p>Liebe soll höchstes und heiligstes sein. Quell neuen<lb/>
Lebens ist sie. Aber dieser Quell ist in allzuvielen Fällen<lb/>
von vornherein beschmutzt und vergiftet, weil die herrschenden<lb/>
Anschauungen von Doppelmoral dem Manne schrankenloses Sich-<lb/>
Ausleben vor oder womöglich noch neben der Ehe gestatten.<lb/>
Selbst wenn nicht furchtbare Krankheiten &#x2013; in außerehelichem<lb/>
Verkehre erworben &#x2013; Glück und Gesundheit der Frau, der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0154] trauensvoll nahendes Mädchen zur Frau zu begehren. Und niemand erhebt Einspruch dagegen, niemand warnt das Mäd- chen und spricht ihm von dem, was ihrer in solcher Ehe wartet. Selbst kranke Männer schließen in gewissenlosester Weise Ehen. Wie viele der Frauenkrankheiten, die sich immer mehr ausbreiten, auf Jnfektion von seiten des Mannes zurückzu- führen sind, wie oft durch solche Jnfektion das höchste Glück der Frau, gesunde, blühende Kinder zu besitzen, schon im Kerne vernichtet wird, das ist von medizinischer Seite oft und rückhaltlos betont worden. Nur den Frauen wird es allzuhäufig sorgsam verheimlicht 1). Aber selbst von diesem Schlimmsten abgesehen, was eine Frau, die reinen Herzens und reinen Sinnes in die Ehe ein- tritt, bei dem Zusammenleben mit einem Manne zu leiden hat, den das voreheliche Leben jedes feineren Empfindens be- raubt, den es überreizt und abgestumpft hat, daran denkt man so selten. Von der Schmach, die der eigene Mann ihr antut, wagt eine Frau kaum jemals zu sprechen. Die Schmach eingestehen, heißt die Qual verdoppeln. Liebe soll höchstes und heiligstes sein. Quell neuen Lebens ist sie. Aber dieser Quell ist in allzuvielen Fällen von vornherein beschmutzt und vergiftet, weil die herrschenden Anschauungen von Doppelmoral dem Manne schrankenloses Sich- Ausleben vor oder womöglich noch neben der Ehe gestatten. Selbst wenn nicht furchtbare Krankheiten – in außerehelichem Verkehre erworben – Glück und Gesundheit der Frau, der 1) Jn etwa 40–50% der kinderlosen Ehen ist die Kinder- losigkeit direkt oder indirekt durch Geschlechtskrankheit der Männer bedingt, das sind etwa 300000 Ehen, in welchen die Frau im Alter von 15–50 Jahren steht. Friedrich Prinzing, Die sterilen Ehen. Zeitschr. f. Sozialwissenschaften. Bd. VII.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/154
Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/154>, abgerufen am 02.05.2024.