heißen Temperaments ist. Die Welt verachtet sie, wenn sie nicht Herrin bleibt ihrer Triebe. Solche Selbstzucht aber auch von sich zu verlangen, ist den meisten der Männer, obwohl sie sich so gern das starke Geschlecht nennen lassen, zu schwierig oder zu lästig. Sie nehmen Genuß, wo immer er sich bietet. Sie verlangen nach Frauen, die ihnen zu Willen sind, hinterher aber verachten sie - nicht sich selbst, wohl aber die Frauen und stellen sie unter schmachvolle Ausnahmegesetze.
Jch will sicher nicht Splitterrichter sein. Jch weiß, wie schwer es dem Manne gemacht wird, sich nicht gehen zu lassen, weiß aber auch - als Frau -, wie unendlich schwer vielen Frauen ihr unfreiwilliges Asketentum fällt. Nur daß wir Frauen uns des Kampfes gegen unser heißblütiges Tempera- ment nicht rühmen, ihn vielmehr als selbstverständlich ansehen und daß wir es - trotzdem wir mehr als 5 Millionen ehe- mündige, unverheiratete und verwitwete Frauen in Deutsch- land zählen - weit von uns weisen, gleich dem Manne zu rufen: "Asketentum ist uns unmöglich. Staat! garantiere uns ungefährlichen, zügellosen Geschlechtsverkehr."
So lange Mann und Frau so grundverschieden denken und handeln, so lange der Mann die Selbstbeherrschung, die er von den Frauen erwartet, als seine Kraft übersteigend erklärt, so lange für den Mann eine andere Moral, andere Sittengesetze gelten als für die Frau, so lange wird Unzucht und Unsittlichkeit nicht aus der Welt verschwinden, so lange ist der Kampf um Einschränkung der Prostitution ganz ver- geblich.
Man sage nicht, das Leben, das der Mann vor der Ehe führe, gehe die "ehrbaren" Frauen nichts an. Scheut sich doch selbst der abgelebteste Lebemann nicht, in den Kreisen der besten Gesellschaft zu verkehren, ein junges gesundes, ihm ver-
heißen Temperaments ist. Die Welt verachtet sie, wenn sie nicht Herrin bleibt ihrer Triebe. Solche Selbstzucht aber auch von sich zu verlangen, ist den meisten der Männer, obwohl sie sich so gern das starke Geschlecht nennen lassen, zu schwierig oder zu lästig. Sie nehmen Genuß, wo immer er sich bietet. Sie verlangen nach Frauen, die ihnen zu Willen sind, hinterher aber verachten sie – nicht sich selbst, wohl aber die Frauen und stellen sie unter schmachvolle Ausnahmegesetze.
Jch will sicher nicht Splitterrichter sein. Jch weiß, wie schwer es dem Manne gemacht wird, sich nicht gehen zu lassen, weiß aber auch – als Frau –, wie unendlich schwer vielen Frauen ihr unfreiwilliges Asketentum fällt. Nur daß wir Frauen uns des Kampfes gegen unser heißblütiges Tempera- ment nicht rühmen, ihn vielmehr als selbstverständlich ansehen und daß wir es – trotzdem wir mehr als 5 Millionen ehe- mündige, unverheiratete und verwitwete Frauen in Deutsch- land zählen – weit von uns weisen, gleich dem Manne zu rufen: „Asketentum ist uns unmöglich. Staat! garantiere uns ungefährlichen, zügellosen Geschlechtsverkehr.“
So lange Mann und Frau so grundverschieden denken und handeln, so lange der Mann die Selbstbeherrschung, die er von den Frauen erwartet, als seine Kraft übersteigend erklärt, so lange für den Mann eine andere Moral, andere Sittengesetze gelten als für die Frau, so lange wird Unzucht und Unsittlichkeit nicht aus der Welt verschwinden, so lange ist der Kampf um Einschränkung der Prostitution ganz ver- geblich.
Man sage nicht, das Leben, das der Mann vor der Ehe führe, gehe die „ehrbaren“ Frauen nichts an. Scheut sich doch selbst der abgelebteste Lebemann nicht, in den Kreisen der besten Gesellschaft zu verkehren, ein junges gesundes, ihm ver-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0153"n="143"/>
heißen Temperaments ist. Die Welt verachtet sie, wenn sie<lb/>
nicht Herrin bleibt ihrer Triebe. Solche Selbstzucht aber auch<lb/>
von sich zu verlangen, ist den meisten der Männer, obwohl<lb/>
sie sich so gern das starke Geschlecht nennen lassen, zu schwierig<lb/>
oder zu lästig. Sie nehmen Genuß, wo immer er sich bietet.<lb/>
Sie verlangen nach Frauen, die ihnen zu Willen sind, hinterher<lb/>
aber verachten sie –<hirendition="#g">nicht sich selbst,</hi> wohl aber die<lb/>
Frauen und stellen sie unter schmachvolle Ausnahmegesetze.</p><lb/><p>Jch will sicher nicht Splitterrichter sein. Jch weiß, wie<lb/>
schwer es dem Manne gemacht wird, sich nicht gehen zu lassen,<lb/>
weiß aber auch – als Frau –, wie unendlich schwer vielen<lb/>
Frauen ihr unfreiwilliges Asketentum fällt. Nur daß wir<lb/>
Frauen uns des Kampfes gegen unser heißblütiges Tempera-<lb/>
ment nicht rühmen, ihn vielmehr als selbstverständlich ansehen<lb/>
und daß wir es – trotzdem wir mehr als 5 Millionen ehe-<lb/>
mündige, unverheiratete und verwitwete Frauen in Deutsch-<lb/>
land zählen – weit von uns weisen, gleich dem Manne zu<lb/>
rufen: „Asketentum ist uns unmöglich. Staat! garantiere uns<lb/>
ungefährlichen, zügellosen Geschlechtsverkehr.“</p><lb/><p>So lange Mann und Frau so grundverschieden denken<lb/>
und handeln, so lange der Mann die Selbstbeherrschung, die<lb/>
er von den Frauen erwartet, als <hirendition="#g">seine</hi> Kraft übersteigend<lb/>
erklärt, so lange für den Mann eine <hirendition="#g">andere</hi> Moral, <hirendition="#g">andere</hi><lb/>
Sittengesetze gelten als für die Frau, so lange wird Unzucht<lb/>
und Unsittlichkeit nicht aus der Welt verschwinden, so lange<lb/>
ist der Kampf um Einschränkung der Prostitution ganz ver-<lb/>
geblich.</p><lb/><p>Man sage nicht, das Leben, das der Mann vor der Ehe<lb/>
führe, gehe die „ehrbaren“ Frauen nichts an. Scheut sich<lb/>
doch selbst der abgelebteste Lebemann nicht, in den Kreisen der<lb/>
besten Gesellschaft zu verkehren, ein junges gesundes, ihm ver-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[143/0153]
heißen Temperaments ist. Die Welt verachtet sie, wenn sie
nicht Herrin bleibt ihrer Triebe. Solche Selbstzucht aber auch
von sich zu verlangen, ist den meisten der Männer, obwohl
sie sich so gern das starke Geschlecht nennen lassen, zu schwierig
oder zu lästig. Sie nehmen Genuß, wo immer er sich bietet.
Sie verlangen nach Frauen, die ihnen zu Willen sind, hinterher
aber verachten sie – nicht sich selbst, wohl aber die
Frauen und stellen sie unter schmachvolle Ausnahmegesetze.
Jch will sicher nicht Splitterrichter sein. Jch weiß, wie
schwer es dem Manne gemacht wird, sich nicht gehen zu lassen,
weiß aber auch – als Frau –, wie unendlich schwer vielen
Frauen ihr unfreiwilliges Asketentum fällt. Nur daß wir
Frauen uns des Kampfes gegen unser heißblütiges Tempera-
ment nicht rühmen, ihn vielmehr als selbstverständlich ansehen
und daß wir es – trotzdem wir mehr als 5 Millionen ehe-
mündige, unverheiratete und verwitwete Frauen in Deutsch-
land zählen – weit von uns weisen, gleich dem Manne zu
rufen: „Asketentum ist uns unmöglich. Staat! garantiere uns
ungefährlichen, zügellosen Geschlechtsverkehr.“
So lange Mann und Frau so grundverschieden denken
und handeln, so lange der Mann die Selbstbeherrschung, die
er von den Frauen erwartet, als seine Kraft übersteigend
erklärt, so lange für den Mann eine andere Moral, andere
Sittengesetze gelten als für die Frau, so lange wird Unzucht
und Unsittlichkeit nicht aus der Welt verschwinden, so lange
ist der Kampf um Einschränkung der Prostitution ganz ver-
geblich.
Man sage nicht, das Leben, das der Mann vor der Ehe
führe, gehe die „ehrbaren“ Frauen nichts an. Scheut sich
doch selbst der abgelebteste Lebemann nicht, in den Kreisen der
besten Gesellschaft zu verkehren, ein junges gesundes, ihm ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-11-13T13:59:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat.
(2015-08-06T11:00:00Z)
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;
Druckfehler: gekennzeichnet;
fremdsprachliches Material: keine Angabe;
Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
i/j in Fraktur: keine Angabe;
I/J in Fraktur: wie Vorlage;
Kolumnentitel: keine Angabe;
Kustoden: wie Vorlage;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine Angabe;
rundes r (ꝛ): keine Angabe;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
u/v bzw. U/V: keine Angabe;
Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: keine Angabe;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/153>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.