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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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sei richtig. Das war ja sehr schön und ich kaufte mir darauf hin ein Klavier und freute mich des abnorm hohen Einkommens. Aber den hinkenden Boten bekam ich 1855 nach, wo mir das Konsistorium eröffnete, ich habe für 14 Monate den Betrag von 175 Gulden zu viel bezogen und solle denselben zurückerstatten. Auf schriftliche und mündliche Vorstellung hin sollte der Betrag vorläufig als Schuld gegen 5% Zinsen stehen bleiben und mir später als ausserordentliche Unterstützung zugewandt werden. Als ich nach 8 Jahren auf Erfüllung jenes schriftlichen Versprechens drang, zog das unterdessen erneuerte Konsistorium das frühere Konsistorialversprechen zurück und die 175 Gulden wurden erbarmungslos eingezogen, nachdem ich 70 Gulden für Zinsen eingebüsst hatte. Ich habe mehrere Ungerechtigkeiten im Leben erfahren, aber die an jene 175 Gulden geknüpfte verstehe ich bis heute noch nicht. Wahrscheinlich habe ich nicht wehmütig genug gejammert, nicht demütig genug gefleht. Dass ich es nicht gethan habe, reut mich bis heute nicht.

Niemand stellte mich der Gemeinde vor und führte mich in mein Amt ein, nicht der Dekan, nicht der Pfarrer, dem ich unterstellt war. Ich musste mich selbst vorstellen, und die Leute glaubten mir merkwürdigerweise, dass ich der ihnen geschickte Vikar sei. Niemand übergab mir ordnungsmässig das Inventar der Kirche und des Vikariates. Später stellte sich heraus, dass gar kein schriftliches Inventar vorhanden war. Am 2. oder 3. Abend meiner Anwesenheit aber brachten mir 2 Presbyter in einem Waschkorb die Vasa sacra, einige Papiere und sonstige Gegenstände mit dem Beifügen, dies sei Alles, was ihnen mein Vorgänger Heinz zur Auslieferung an mich übergeben habe. Ich musste es ihnen glauben, nahm ihnen die Sachen ab, gab keine Empfangsbescheinigung und errichtete kein Protokoll.

Das ganze Kirchenwesen war in primitivem Zustande und ich, der dahin gesetzte Vikar, hatte bisher von der pfarramtlichen Geschäftsordnung und Geschäftsführung nichts gesehen und nichts gelernt, hatte keine Amtsinstruktion, kein Amtshandbuch, keine Akten, aus denen ich etwas entnehmen konnte. Ich suchte mich da und dort zu informieren und brachte nach und nach in meine Unwissenheit Licht und in das Kirchenwesen der

sei richtig. Das war ja sehr schön und ich kaufte mir darauf hin ein Klavier und freute mich des abnorm hohen Einkommens. Aber den hinkenden Boten bekam ich 1855 nach, wo mir das Konsistorium eröffnete, ich habe für 14 Monate den Betrag von 175 Gulden zu viel bezogen und solle denselben zurückerstatten. Auf schriftliche und mündliche Vorstellung hin sollte der Betrag vorläufig als Schuld gegen 5% Zinsen stehen bleiben und mir später als ausserordentliche Unterstützung zugewandt werden. Als ich nach 8 Jahren auf Erfüllung jenes schriftlichen Versprechens drang, zog das unterdessen erneuerte Konsistorium das frühere Konsistorialversprechen zurück und die 175 Gulden wurden erbarmungslos eingezogen, nachdem ich 70 Gulden für Zinsen eingebüsst hatte. Ich habe mehrere Ungerechtigkeiten im Leben erfahren, aber die an jene 175 Gulden geknüpfte verstehe ich bis heute noch nicht. Wahrscheinlich habe ich nicht wehmütig genug gejammert, nicht demütig genug gefleht. Dass ich es nicht gethan habe, reut mich bis heute nicht.

Niemand stellte mich der Gemeinde vor und führte mich in mein Amt ein, nicht der Dekan, nicht der Pfarrer, dem ich unterstellt war. Ich musste mich selbst vorstellen, und die Leute glaubten mir merkwürdigerweise, dass ich der ihnen geschickte Vikar sei. Niemand übergab mir ordnungsmässig das Inventar der Kirche und des Vikariates. Später stellte sich heraus, dass gar kein schriftliches Inventar vorhanden war. Am 2. oder 3. Abend meiner Anwesenheit aber brachten mir 2 Presbyter in einem Waschkorb die Vasa sacra, einige Papiere und sonstige Gegenstände mit dem Beifügen, dies sei Alles, was ihnen mein Vorgänger Heinz zur Auslieferung an mich übergeben habe. Ich musste es ihnen glauben, nahm ihnen die Sachen ab, gab keine Empfangsbescheinigung und errichtete kein Protokoll.

Das ganze Kirchenwesen war in primitivem Zustande und ich, der dahin gesetzte Vikar, hatte bisher von der pfarramtlichen Geschäftsordnung und Geschäftsführung nichts gesehen und nichts gelernt, hatte keine Amtsinstruktion, kein Amtshandbuch, keine Akten, aus denen ich etwas entnehmen konnte. Ich suchte mich da und dort zu informieren und brachte nach und nach in meine Unwissenheit Licht und in das Kirchenwesen der

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sei richtig. Das war ja sehr schön und ich kaufte mir darauf hin ein Klavier und freute mich des abnorm hohen Einkommens. Aber den hinkenden Boten bekam ich 1855 nach, wo mir das Konsistorium eröffnete, ich habe für 14 Monate den Betrag von 175 Gulden zu viel bezogen und solle denselben zurückerstatten. Auf schriftliche und mündliche Vorstellung hin sollte der Betrag vorläufig als Schuld gegen 5% Zinsen stehen bleiben und mir später als ausserordentliche Unterstützung zugewandt werden. Als ich nach 8 Jahren auf Erfüllung jenes <hi rendition="#u">schriftlichen</hi> Versprechens drang, zog das unterdessen erneuerte Konsistorium das frühere Konsistorialversprechen zurück und die 175 Gulden wurden erbarmungslos eingezogen, nachdem ich 70 Gulden für Zinsen eingebüsst hatte. Ich habe mehrere Ungerechtigkeiten im Leben erfahren, aber die an jene 175 Gulden geknüpfte verstehe ich bis heute noch nicht. Wahrscheinlich habe ich nicht wehmütig genug gejammert, nicht demütig genug gefleht. Dass ich es nicht gethan habe, reut mich bis heute nicht.</p>
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[48/0048] sei richtig. Das war ja sehr schön und ich kaufte mir darauf hin ein Klavier und freute mich des abnorm hohen Einkommens. Aber den hinkenden Boten bekam ich 1855 nach, wo mir das Konsistorium eröffnete, ich habe für 14 Monate den Betrag von 175 Gulden zu viel bezogen und solle denselben zurückerstatten. Auf schriftliche und mündliche Vorstellung hin sollte der Betrag vorläufig als Schuld gegen 5% Zinsen stehen bleiben und mir später als ausserordentliche Unterstützung zugewandt werden. Als ich nach 8 Jahren auf Erfüllung jenes schriftlichen Versprechens drang, zog das unterdessen erneuerte Konsistorium das frühere Konsistorialversprechen zurück und die 175 Gulden wurden erbarmungslos eingezogen, nachdem ich 70 Gulden für Zinsen eingebüsst hatte. Ich habe mehrere Ungerechtigkeiten im Leben erfahren, aber die an jene 175 Gulden geknüpfte verstehe ich bis heute noch nicht. Wahrscheinlich habe ich nicht wehmütig genug gejammert, nicht demütig genug gefleht. Dass ich es nicht gethan habe, reut mich bis heute nicht. Niemand stellte mich der Gemeinde vor und führte mich in mein Amt ein, nicht der Dekan, nicht der Pfarrer, dem ich unterstellt war. Ich musste mich selbst vorstellen, und die Leute glaubten mir merkwürdigerweise, dass ich der ihnen geschickte Vikar sei. Niemand übergab mir ordnungsmässig das Inventar der Kirche und des Vikariates. Später stellte sich heraus, dass gar kein schriftliches Inventar vorhanden war. Am 2. oder 3. Abend meiner Anwesenheit aber brachten mir 2 Presbyter in einem Waschkorb die Vasa sacra, einige Papiere und sonstige Gegenstände mit dem Beifügen, dies sei Alles, was ihnen mein Vorgänger Heinz zur Auslieferung an mich übergeben habe. Ich musste es ihnen glauben, nahm ihnen die Sachen ab, gab keine Empfangsbescheinigung und errichtete kein Protokoll. Das ganze Kirchenwesen war in primitivem Zustande und ich, der dahin gesetzte Vikar, hatte bisher von der pfarramtlichen Geschäftsordnung und Geschäftsführung nichts gesehen und nichts gelernt, hatte keine Amtsinstruktion, kein Amtshandbuch, keine Akten, aus denen ich etwas entnehmen konnte. Ich suchte mich da und dort zu informieren und brachte nach und nach in meine Unwissenheit Licht und in das Kirchenwesen der

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/48>, abgerufen am 26.04.2024.