Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.einerseits mit dem älteren Rationalismus und jüngeren Liberalismus, andererseits mit dem Streben Dr. Ebrards, der 1852 unter Aufgabe seiner Erlanger Professur in das Pfälzische Konsistorium eingetreten war, der pfälz.-unierten Kirche einen reformierten Charakter aufzuprägen. Meine Stellung in diesen Kämpfen musste ich meiner theologischen Überzeugung entsprechend auf der positiven Seite nehmen. Der konfessionelle Zwiespalt zwischen dem lutherischen und reformierten Flügel der Orthodoxen berührte mich wenig; obgleich ich lutherisch gerichtet war, konnte ich reformierte Anschauungen tragen und mich mit ihnen vertragen. Aber mit der Mittelpartey, die Liberalismus und Orthodoxie zusammenschmelzen wollte, konnte ich mich nicht vertragen und den Lockungen, mich ihr anzuschliessen, widerstand ich, obgleich mein lieber Vater zu ihr neigte und wir dadurch etwas auseinander gehalten wurden. Der Vater übernahm im Oktober 1853 wieder alle seine Funktionen und setzte mich in "ruhende Aktivität". Ich musste bis zum November auf weitere Verwendung warten, bekam aber dann die mir sehr angenehme Weisung, als ständiger Vikar nach St. Ingbert zu gehen, also in eine bevorzugte Kandidatenstellung in der Nähe des Elternhauses und vieler Freunde. Mit hochschlagendem Herzen hielt ich von Sulzbach aus durch theilweise prachtvollen Hochwald meinen Einzug zu Fuss in den Ort, wo ich die beste und schönste Zeit meines Lebens verbringen sollte. St. Ingbert war 1853 schon Stadt genannt, war aber eigentlich ein grosses Arbeiterdorf mit einer Anzahl von Handwerkern, Kaufleuten und wenigen Beamten. Die Kaiserstrasse (von Paris nach Mainz) zog durch. Südwestlich liegt der Weiler Sengscheid, westlich das Kramersche Eisenwerk, nördlich das Schlösschen Elsterstein, ebenfalls nördlich auf 4- 5 km Entfernung die zur St. Ingberter Kohlengrube gehörenden Gebäude, dann die Salzbacher und Marianenthaler Glashütte, zusammengefasst unter dem jetzt auch offiziellen Namen Schnappach. Die Seelenzahl betrug in der Stadt und den Annexen zwischen 5000 und 6000. einerseits mit dem älteren Rationalismus und jüngeren Liberalismus, andererseits mit dem Streben Dr. Ebrards, der 1852 unter Aufgabe seiner Erlanger Professur in das Pfälzische Konsistorium eingetreten war, der pfälz.-unierten Kirche einen reformierten Charakter aufzuprägen. Meine Stellung in diesen Kämpfen musste ich meiner theologischen Überzeugung entsprechend auf der positiven Seite nehmen. Der konfessionelle Zwiespalt zwischen dem lutherischen und reformierten Flügel der Orthodoxen berührte mich wenig; obgleich ich lutherisch gerichtet war, konnte ich reformierte Anschauungen tragen und mich mit ihnen vertragen. Aber mit der Mittelpartey, die Liberalismus und Orthodoxie zusammenschmelzen wollte, konnte ich mich nicht vertragen und den Lockungen, mich ihr anzuschliessen, widerstand ich, obgleich mein lieber Vater zu ihr neigte und wir dadurch etwas auseinander gehalten wurden. Der Vater übernahm im Oktober 1853 wieder alle seine Funktionen und setzte mich in ”ruhende Aktivität“. Ich musste bis zum November auf weitere Verwendung warten, bekam aber dann die mir sehr angenehme Weisung, als ständiger Vikar nach St. Ingbert zu gehen, also in eine bevorzugte Kandidatenstellung in der Nähe des Elternhauses und vieler Freunde. Mit hochschlagendem Herzen hielt ich von Sulzbach aus durch theilweise prachtvollen Hochwald meinen Einzug zu Fuss in den Ort, wo ich die beste und schönste Zeit meines Lebens verbringen sollte. St. Ingbert war 1853 schon Stadt genannt, war aber eigentlich ein grosses Arbeiterdorf mit einer Anzahl von Handwerkern, Kaufleuten und wenigen Beamten. Die Kaiserstrasse (von Paris nach Mainz) zog durch. Südwestlich liegt der Weiler Sengscheid, westlich das Kramersche Eisenwerk, nördlich das Schlösschen Elsterstein, ebenfalls nördlich auf 4- 5 km Entfernung die zur St. Ingberter Kohlengrube gehörenden Gebäude, dann die Salzbacher und Marianenthaler Glashütte, zusammengefasst unter dem jetzt auch offiziellen Namen Schnappach. Die Seelenzahl betrug in der Stadt und den Annexen zwischen 5000 und 6000. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046" n="46"/> einerseits mit dem älteren Rationalismus und jüngeren Liberalismus, andererseits mit dem Streben Dr. Ebrards, der 1852 unter Aufgabe seiner Erlanger Professur in das Pfälzische Konsistorium eingetreten war, der pfälz.-unierten Kirche einen reformierten Charakter aufzuprägen. Meine Stellung in diesen Kämpfen musste ich meiner theologischen Überzeugung entsprechend auf der positiven Seite nehmen. Der konfessionelle Zwiespalt zwischen dem lutherischen und reformierten Flügel der Orthodoxen berührte mich wenig; obgleich ich lutherisch gerichtet war, konnte ich reformierte Anschauungen tragen und mich mit ihnen vertragen. Aber mit der Mittelpartey, die Liberalismus und Orthodoxie zusammenschmelzen wollte, konnte ich mich nicht vertragen und den Lockungen, mich ihr anzuschliessen, widerstand ich, obgleich mein lieber Vater zu ihr neigte und wir dadurch etwas auseinander gehalten wurden.</p> <p>Der Vater übernahm im Oktober 1853 wieder alle seine Funktionen und setzte mich in ”ruhende Aktivität“. Ich musste bis zum November auf weitere Verwendung warten, bekam aber dann die mir sehr angenehme Weisung, als ständiger Vikar nach St. Ingbert zu gehen, also in eine bevorzugte Kandidatenstellung in der Nähe des Elternhauses und vieler Freunde.</p> <p>Mit hochschlagendem Herzen hielt ich von Sulzbach aus durch theilweise prachtvollen Hochwald meinen Einzug zu Fuss in den Ort, wo ich die beste und schönste Zeit meines Lebens verbringen sollte.</p> <p>St. Ingbert war 1853 schon Stadt genannt, war aber eigentlich ein grosses Arbeiterdorf mit einer Anzahl von Handwerkern, Kaufleuten und wenigen Beamten. Die Kaiserstrasse (von Paris nach Mainz) zog durch. Südwestlich liegt der Weiler Sengscheid, westlich das Kramersche Eisenwerk, nördlich das Schlösschen Elsterstein, ebenfalls nördlich auf 4- 5 km Entfernung die zur St. Ingberter Kohlengrube gehörenden Gebäude, dann die Salzbacher und Marianenthaler Glashütte, zusammengefasst unter dem jetzt auch offiziellen Namen Schnappach. Die Seelenzahl betrug in der Stadt und den Annexen zwischen 5000 und 6000. </p> </div> </body> </text> </TEI> [46/0046]
einerseits mit dem älteren Rationalismus und jüngeren Liberalismus, andererseits mit dem Streben Dr. Ebrards, der 1852 unter Aufgabe seiner Erlanger Professur in das Pfälzische Konsistorium eingetreten war, der pfälz.-unierten Kirche einen reformierten Charakter aufzuprägen. Meine Stellung in diesen Kämpfen musste ich meiner theologischen Überzeugung entsprechend auf der positiven Seite nehmen. Der konfessionelle Zwiespalt zwischen dem lutherischen und reformierten Flügel der Orthodoxen berührte mich wenig; obgleich ich lutherisch gerichtet war, konnte ich reformierte Anschauungen tragen und mich mit ihnen vertragen. Aber mit der Mittelpartey, die Liberalismus und Orthodoxie zusammenschmelzen wollte, konnte ich mich nicht vertragen und den Lockungen, mich ihr anzuschliessen, widerstand ich, obgleich mein lieber Vater zu ihr neigte und wir dadurch etwas auseinander gehalten wurden.
Der Vater übernahm im Oktober 1853 wieder alle seine Funktionen und setzte mich in ”ruhende Aktivität“. Ich musste bis zum November auf weitere Verwendung warten, bekam aber dann die mir sehr angenehme Weisung, als ständiger Vikar nach St. Ingbert zu gehen, also in eine bevorzugte Kandidatenstellung in der Nähe des Elternhauses und vieler Freunde.
Mit hochschlagendem Herzen hielt ich von Sulzbach aus durch theilweise prachtvollen Hochwald meinen Einzug zu Fuss in den Ort, wo ich die beste und schönste Zeit meines Lebens verbringen sollte.
St. Ingbert war 1853 schon Stadt genannt, war aber eigentlich ein grosses Arbeiterdorf mit einer Anzahl von Handwerkern, Kaufleuten und wenigen Beamten. Die Kaiserstrasse (von Paris nach Mainz) zog durch. Südwestlich liegt der Weiler Sengscheid, westlich das Kramersche Eisenwerk, nördlich das Schlösschen Elsterstein, ebenfalls nördlich auf 4- 5 km Entfernung die zur St. Ingberter Kohlengrube gehörenden Gebäude, dann die Salzbacher und Marianenthaler Glashütte, zusammengefasst unter dem jetzt auch offiziellen Namen Schnappach. Die Seelenzahl betrug in der Stadt und den Annexen zwischen 5000 und 6000.
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