Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.theils durch die Vertretung meiner in Urlaub gehenden Vikariatskollegen, theils durch besondere Geschäfte, die ich in Freinsheim nicht kennen gelernt hatte. Ich hatte meinen Vater in seinen Funktionen als Gefängnisgeistlicher, als Religionslehrer an der Töchterschule und als Kirchenschaffney-Sekretär zu vertreten, und alle drei Funktionen brachten mir mancherlei Noth. Als Neuling in der Seelsorge wurde ich im Gefängnisse anfangs viel angeschwindelt, bis ich lernte, die Schleier zerreissen, die Masken zerreissen und die Aufrichtigen von den Schwindlern mehr unterscheiden. In der Töchterschule sollte ich gleichzeitig Kinder von 6 Jahren bis hinauf zu Backfischen von 16 Jahren in 2 Wochenstunden den gesamten Religionsunterricht ertheilen und mühte mich ehrlich damit. Dass das Resultat sehr unbefriedigend war, lag zu Tage, aber bei dem interimistischen Charakter meiner Stellung konnte ich an der Art der Unterrichtsertheilung nichts ändern. Als Kirchenschaffney-Sekretär stand ich wie ein neugeborenes Kind da. Hatte ich doch mit der Verwaltung von Kirchengütern und sonstigem Kirchenvermögen gar keine Bekanntschaft. So musste ich denn mich und den Vorstand der Kirchenschaffnei recht plagen. Letzterer, Herr Kirchenrath Kumpf, nahm Rücksicht und übte Geduld. So lernte ich hier Vieles, was mir später recht zustatten kam. Von grosser Bedeutung für mein inneres Leben und meinen äusseren Lebensgang wurde mein Bekanntwerden mit einigen Pfarrern der Umgebung, bes. mit dem Inspektor Helfenstein in Hornbach, an den ich mich nahe anschloss und der mir ein treuer, hochverehrter Freund wurde. Er war wissenschaftlich und praktisch gleich tüchtig, eim fester Charakter, und sein Junggesellenhaus zog durch den Geist ernster Besinnlichkeit und herzlicher Gemüthlichkeit mich und andere ausserordentlich an. Er war milder Lutheraner und einer der Führer der aus der Erlanger Schule hervorgegangenen jüngeren pfälzischen Geistlichen. Diese gingen harten Kämpfen entgegen theils durch die Vertretung meiner in Urlaub gehenden Vikariatskollegen, theils durch besondere Geschäfte, die ich in Freinsheim nicht kennen gelernt hatte. Ich hatte meinen Vater in seinen Funktionen als Gefängnisgeistlicher, als Religionslehrer an der Töchterschule und als Kirchenschaffney-Sekretär zu vertreten, und alle drei Funktionen brachten mir mancherlei Noth. Als Neuling in der Seelsorge wurde ich im Gefängnisse anfangs viel angeschwindelt, bis ich lernte, die Schleier zerreissen, die Masken zerreissen und die Aufrichtigen von den Schwindlern mehr unterscheiden. In der Töchterschule sollte ich gleichzeitig Kinder von 6 Jahren bis hinauf zu Backfischen von 16 Jahren in 2 Wochenstunden den gesamten Religionsunterricht ertheilen und mühte mich ehrlich damit. Dass das Resultat sehr unbefriedigend war, lag zu Tage, aber bei dem interimistischen Charakter meiner Stellung konnte ich an der Art der Unterrichtsertheilung nichts ändern. Als Kirchenschaffney-Sekretär stand ich wie ein neugeborenes Kind da. Hatte ich doch mit der Verwaltung von Kirchengütern und sonstigem Kirchenvermögen gar keine Bekanntschaft. So musste ich denn mich und den Vorstand der Kirchenschaffnei recht plagen. Letzterer, Herr Kirchenrath Kumpf, nahm Rücksicht und übte Geduld. So lernte ich hier Vieles, was mir später recht zustatten kam. Von grosser Bedeutung für mein inneres Leben und meinen äusseren Lebensgang wurde mein Bekanntwerden mit einigen Pfarrern der Umgebung, bes. mit dem Inspektor Helfenstein in Hornbach, an den ich mich nahe anschloss und der mir ein treuer, hochverehrter Freund wurde. Er war wissenschaftlich und praktisch gleich tüchtig, eim fester Charakter, und sein Junggesellenhaus zog durch den Geist ernster Besinnlichkeit und herzlicher Gemüthlichkeit mich und andere ausserordentlich an. Er war milder Lutheraner und einer der Führer der aus der Erlanger Schule hervorgegangenen jüngeren pfälzischen Geistlichen. Diese gingen harten Kämpfen entgegen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0045" n="45"/> theils durch die Vertretung meiner in Urlaub gehenden Vikariatskollegen, theils durch besondere Geschäfte, die ich in Freinsheim nicht kennen gelernt hatte. Ich hatte meinen Vater in seinen Funktionen als Gefängnisgeistlicher, als Religionslehrer an der Töchterschule und als Kirchenschaffney-Sekretär zu vertreten, und alle drei Funktionen brachten mir mancherlei Noth.</p> <p>Als Neuling in der Seelsorge wurde ich im Gefängnisse anfangs viel angeschwindelt, bis ich lernte, die Schleier zerreissen, die Masken zerreissen und die Aufrichtigen von den Schwindlern mehr unterscheiden.</p> <p>In der Töchterschule sollte ich gleichzeitig Kinder von 6 Jahren bis hinauf zu Backfischen von 16 Jahren in 2 Wochenstunden den gesamten Religionsunterricht ertheilen und mühte mich ehrlich damit. Dass das Resultat sehr unbefriedigend war, lag zu Tage, aber bei dem interimistischen Charakter meiner Stellung konnte ich an der Art der Unterrichtsertheilung nichts ändern.</p> <p>Als Kirchenschaffney-Sekretär stand ich wie ein neugeborenes Kind da. Hatte ich doch mit der Verwaltung von Kirchengütern und sonstigem Kirchenvermögen gar keine Bekanntschaft. So musste ich denn mich und den Vorstand der Kirchenschaffnei recht plagen. Letzterer, Herr Kirchenrath Kumpf, nahm Rücksicht und übte Geduld. So lernte ich hier Vieles, was mir später recht zustatten kam.</p> <p>Von grosser Bedeutung für mein inneres Leben und meinen äusseren Lebensgang wurde mein Bekanntwerden mit einigen Pfarrern der Umgebung, bes. mit dem Inspektor Helfenstein in Hornbach, an den ich mich nahe anschloss und der mir ein treuer, hochverehrter Freund wurde. Er war wissenschaftlich und praktisch gleich tüchtig, eim fester Charakter, und sein Junggesellenhaus zog durch den Geist ernster Besinnlichkeit und herzlicher Gemüthlichkeit mich und andere ausserordentlich an. Er war milder Lutheraner und einer der Führer der aus der Erlanger Schule hervorgegangenen jüngeren pfälzischen Geistlichen. Diese gingen harten Kämpfen entgegen </p> </div> </body> </text> </TEI> [45/0045]
theils durch die Vertretung meiner in Urlaub gehenden Vikariatskollegen, theils durch besondere Geschäfte, die ich in Freinsheim nicht kennen gelernt hatte. Ich hatte meinen Vater in seinen Funktionen als Gefängnisgeistlicher, als Religionslehrer an der Töchterschule und als Kirchenschaffney-Sekretär zu vertreten, und alle drei Funktionen brachten mir mancherlei Noth.
Als Neuling in der Seelsorge wurde ich im Gefängnisse anfangs viel angeschwindelt, bis ich lernte, die Schleier zerreissen, die Masken zerreissen und die Aufrichtigen von den Schwindlern mehr unterscheiden.
In der Töchterschule sollte ich gleichzeitig Kinder von 6 Jahren bis hinauf zu Backfischen von 16 Jahren in 2 Wochenstunden den gesamten Religionsunterricht ertheilen und mühte mich ehrlich damit. Dass das Resultat sehr unbefriedigend war, lag zu Tage, aber bei dem interimistischen Charakter meiner Stellung konnte ich an der Art der Unterrichtsertheilung nichts ändern.
Als Kirchenschaffney-Sekretär stand ich wie ein neugeborenes Kind da. Hatte ich doch mit der Verwaltung von Kirchengütern und sonstigem Kirchenvermögen gar keine Bekanntschaft. So musste ich denn mich und den Vorstand der Kirchenschaffnei recht plagen. Letzterer, Herr Kirchenrath Kumpf, nahm Rücksicht und übte Geduld. So lernte ich hier Vieles, was mir später recht zustatten kam.
Von grosser Bedeutung für mein inneres Leben und meinen äusseren Lebensgang wurde mein Bekanntwerden mit einigen Pfarrern der Umgebung, bes. mit dem Inspektor Helfenstein in Hornbach, an den ich mich nahe anschloss und der mir ein treuer, hochverehrter Freund wurde. Er war wissenschaftlich und praktisch gleich tüchtig, eim fester Charakter, und sein Junggesellenhaus zog durch den Geist ernster Besinnlichkeit und herzlicher Gemüthlichkeit mich und andere ausserordentlich an. Er war milder Lutheraner und einer der Führer der aus der Erlanger Schule hervorgegangenen jüngeren pfälzischen Geistlichen. Diese gingen harten Kämpfen entgegen
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