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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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100 Gulden, von denen später die Rede sein wird, und hinterliess beim Abgange von der Universität noch eine später mühselig abgetragene Schuld beim Buchhändler. Die nach mir kommenden Brüder wurden weniger knapp gehalten. Mir aber kam die Sparschule auf der Universität später gut zu Statten, denn erst als meine Söhne eigenes Brod assen, kam ich aus der Geldknappheit heraus.

Im 5. Semester bezog ich also an der Stelle von Berlin oder einer rheinischen Universität wieder Erlangen. Das Semester fing mit einer grossen äusseren Kalamität an. Meine rechtzeitig abgesandten Habseligkeiten kamen nicht an, dagegen trat der Winter mit unerhörter Strenge an. Das Thermometer ging auf 28°R, also 35°C herunter. Die Kälte und der Mangel an Kleidungsstücken nöthigten mich zu der bis dahin als Luxus angesehenen Anschaffung eines Überziehers in Gestalt eines baumwollbibernen Burnus, der soweit ich mich erinnern kann 8 Gulden kostete - eine Illustration meiner dürftigen äusseren Umstände.

Mit dem Studium machte ich vom 5. Semester an Ernst. Dogmatik und Dogmengeschichte, dazu Ethik wurde in erster Linie getrieben. Thomasius, der Dogmatiker machte mir das Herz warm, die übrigen Professoren hatten bisher nur meinen Kopf beschäftigt. Thomasius hatte schon früher, als Universitätsprediger, mich eingenommen, obgleich ich nach der ersten Predigt der Meinung war, ich müsse in die unrichtige Kirche gerathen sein, denn der Mann, der im Nürnberger Dialekt sprach, einen in Aktion und Betonung unschönen Vortrag hatte, der ab und zu stockte und im Vater Unser Fehler machte, der könne nicht Thomasius gewesen sein. Er war es aber doch und später übersah und überhörte ich über dem Ernst und der Wärme, über der Tiefe und Klarheit des Inhalts seiner Predigten alle störenden Äusserlichkeiten. Sein Kolleg war bei aller Gelehrtheit und Gedankenschärfe erbaulich, man spürte den Herzton innerster Überzeugung und eigenster Erfahrung von dem Inhalt des Vorgetragenen, das auf festem und klarem Schriftgrunde stand. Ich verdanke dem theueren Mann das Beste, was ich von der Universität heimgetragen habe.

100 Gulden, von denen später die Rede sein wird, und hinterliess beim Abgange von der Universität noch eine später mühselig abgetragene Schuld beim Buchhändler. Die nach mir kommenden Brüder wurden weniger knapp gehalten. Mir aber kam die Sparschule auf der Universität später gut zu Statten, denn erst als meine Söhne eigenes Brod assen, kam ich aus der Geldknappheit heraus.

Im 5. Semester bezog ich also an der Stelle von Berlin oder einer rheinischen Universität wieder Erlangen. Das Semester fing mit einer grossen äusseren Kalamität an. Meine rechtzeitig abgesandten Habseligkeiten kamen nicht an, dagegen trat der Winter mit unerhörter Strenge an. Das Thermometer ging auf 28°R, also 35°C herunter. Die Kälte und der Mangel an Kleidungsstücken nöthigten mich zu der bis dahin als Luxus angesehenen Anschaffung eines Überziehers in Gestalt eines baumwollbibernen Burnus, der soweit ich mich erinnern kann 8 Gulden kostete – eine Illustration meiner dürftigen äusseren Umstände.

Mit dem Studium machte ich vom 5. Semester an Ernst. Dogmatik und Dogmengeschichte, dazu Ethik wurde in erster Linie getrieben. Thomasius, der Dogmatiker machte mir das Herz warm, die übrigen Professoren hatten bisher nur meinen Kopf beschäftigt. Thomasius hatte schon früher, als Universitätsprediger, mich eingenommen, obgleich ich nach der ersten Predigt der Meinung war, ich müsse in die unrichtige Kirche gerathen sein, denn der Mann, der im Nürnberger Dialekt sprach, einen in Aktion und Betonung unschönen Vortrag hatte, der ab und zu stockte und im Vater Unser Fehler machte, der könne nicht Thomasius gewesen sein. Er war es aber doch und später übersah und überhörte ich über dem Ernst und der Wärme, über der Tiefe und Klarheit des Inhalts seiner Predigten alle störenden Äusserlichkeiten. Sein Kolleg war bei aller Gelehrtheit und Gedankenschärfe erbaulich, man spürte den Herzton innerster Überzeugung und eigenster Erfahrung von dem Inhalt des Vorgetragenen, das auf festem und klarem Schriftgrunde stand. Ich verdanke dem theueren Mann das Beste, was ich von der Universität heimgetragen habe.

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100 Gulden, von denen später die Rede sein wird, und hinterliess beim Abgange von der Universität noch eine später mühselig abgetragene Schuld beim Buchhändler. Die nach mir kommenden Brüder wurden weniger knapp gehalten. Mir aber kam die Sparschule auf der Universität später gut zu Statten, denn erst als meine Söhne eigenes Brod assen, kam ich aus der Geldknappheit heraus.</p>
        <p>Im 5. Semester bezog ich also an der Stelle von Berlin oder einer rheinischen Universität wieder Erlangen. Das Semester fing mit einer grossen äusseren Kalamität an. Meine rechtzeitig abgesandten Habseligkeiten kamen nicht an, dagegen trat der Winter mit unerhörter Strenge an. Das Thermometer ging auf 28°R, also 35°C herunter. Die Kälte und der Mangel an Kleidungsstücken nöthigten mich zu der bis dahin als Luxus angesehenen Anschaffung eines Überziehers in Gestalt eines baumwollbibernen Burnus, der soweit ich mich erinnern kann 8 Gulden kostete &#x2013; eine Illustration meiner dürftigen äusseren Umstände.</p>
        <p>Mit dem Studium machte ich vom 5. Semester an Ernst. Dogmatik und Dogmengeschichte, dazu Ethik wurde in erster Linie getrieben. Thomasius, der Dogmatiker machte mir das Herz warm, die übrigen Professoren hatten bisher nur meinen Kopf beschäftigt. Thomasius hatte schon früher, als Universitätsprediger, mich eingenommen, obgleich ich nach der ersten Predigt der Meinung war, ich müsse in die unrichtige Kirche gerathen sein, denn der Mann, der im Nürnberger Dialekt sprach, einen in Aktion und Betonung unschönen Vortrag hatte, der ab und zu stockte und im Vater Unser Fehler machte, der könne nicht Thomasius gewesen sein. Er war es aber doch und später übersah und überhörte ich über dem Ernst und der Wärme, über der Tiefe und Klarheit des Inhalts seiner Predigten alle störenden Äusserlichkeiten. Sein Kolleg war bei aller Gelehrtheit und Gedankenschärfe erbaulich, man spürte den Herzton innerster Überzeugung und eigenster Erfahrung von dem Inhalt des Vorgetragenen, das auf festem und klarem Schriftgrunde stand. Ich verdanke dem theueren Mann das Beste, was ich von der Universität heimgetragen habe.
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[34/0034] 100 Gulden, von denen später die Rede sein wird, und hinterliess beim Abgange von der Universität noch eine später mühselig abgetragene Schuld beim Buchhändler. Die nach mir kommenden Brüder wurden weniger knapp gehalten. Mir aber kam die Sparschule auf der Universität später gut zu Statten, denn erst als meine Söhne eigenes Brod assen, kam ich aus der Geldknappheit heraus. Im 5. Semester bezog ich also an der Stelle von Berlin oder einer rheinischen Universität wieder Erlangen. Das Semester fing mit einer grossen äusseren Kalamität an. Meine rechtzeitig abgesandten Habseligkeiten kamen nicht an, dagegen trat der Winter mit unerhörter Strenge an. Das Thermometer ging auf 28°R, also 35°C herunter. Die Kälte und der Mangel an Kleidungsstücken nöthigten mich zu der bis dahin als Luxus angesehenen Anschaffung eines Überziehers in Gestalt eines baumwollbibernen Burnus, der soweit ich mich erinnern kann 8 Gulden kostete – eine Illustration meiner dürftigen äusseren Umstände. Mit dem Studium machte ich vom 5. Semester an Ernst. Dogmatik und Dogmengeschichte, dazu Ethik wurde in erster Linie getrieben. Thomasius, der Dogmatiker machte mir das Herz warm, die übrigen Professoren hatten bisher nur meinen Kopf beschäftigt. Thomasius hatte schon früher, als Universitätsprediger, mich eingenommen, obgleich ich nach der ersten Predigt der Meinung war, ich müsse in die unrichtige Kirche gerathen sein, denn der Mann, der im Nürnberger Dialekt sprach, einen in Aktion und Betonung unschönen Vortrag hatte, der ab und zu stockte und im Vater Unser Fehler machte, der könne nicht Thomasius gewesen sein. Er war es aber doch und später übersah und überhörte ich über dem Ernst und der Wärme, über der Tiefe und Klarheit des Inhalts seiner Predigten alle störenden Äusserlichkeiten. Sein Kolleg war bei aller Gelehrtheit und Gedankenschärfe erbaulich, man spürte den Herzton innerster Überzeugung und eigenster Erfahrung von dem Inhalt des Vorgetragenen, das auf festem und klarem Schriftgrunde stand. Ich verdanke dem theueren Mann das Beste, was ich von der Universität heimgetragen habe.

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/34>, abgerufen am 26.04.2024.