Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.die in den zahlreichen Strumpfwirkereien thätigen Arbeiter den Grundstock bildeten. Da die Polizey und die krähwinkelmässige Landwehr zu Fuss und zu Pferd trotz ihrer regelrechten Bewaffnung, stattlichen Uniformen und militärischen Gliederung nicht ausreichend erschien, übernahm die Studentenschaft die Garantie für die Ruhe und Sicherheit der Stadt mittels regelmässigen Wach- und Patrouillendienstes. Die Ruhe blieb ungestört. Ich selbst fand auf meinen Patroullengängen nur einmal etwas Verdächtiges und dies war ein besoldeter Nachtwächter, der in einer dunklen Ecke unziemlich rumorte und auf unseren Anruf mit herabgelassenen Hosen und bösem Gewissen die Flucht ergriff, aber gestellt wurde. Das Studium litt natürlich stark in diesem Jahre und kam erst im folgenden Wintersemester wieder leidlich in Gang, um durch die Vorbereitung und den Ausbruch des Aufstandes in Baden und der Pfalz im Jahre 1849 wieder stark gestört zu werden. Die Zeitungsnachrichten und briefliche Mitteilungen erregten uns Pfälzer auf das höchste, wie leicht begreiflich ist. Dabei sah die Sache für uns in der Ferne anders aus als in der Nähe betrachtet. Galt sie uns doch als die berechtigte durchführung der vom Frankfurter Parlament beschlossenen Reichsverfassung, als deren Haupt wir den Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich in Nürnberg stürmisch begrüsst hatten. Ein Aufruf an die Pfälzer Studenten riss fast alle zur Abreise in die Heimath fort. Von meinen näheren Freunden blieb nur Einer zurück; er war beurlaubter Soldat und sein Fahneneid erhielt ihn nüchtern. Ich konnte mich den "ins Vaterland" ziehenden nicht anschliessen, weil ich kein Reisegeld hatte, schrieb aber dringend um solches. Mein Vater wusste nun, wie er mich in Erlangen festhalten konnte: er schickte mir erst dann Geld, als das Schicksal des pfälzischen Aufstandes entschieden war. Er hat mich dadurch vor grossem Unheil bewahrt, das über viele meiner Studiengenossen kam. Die sich als Civilkommissäre oder sonst als Gehilfen der provisorischen Regierung verwenden liessen, mussten den grossen Hochverrathsprozess über sich ergehen lassen, soweit ihnen nicht rechtzeitig die Flucht ins Ausland glückte. Von den unter die "Freischaaren" Eingereihten fiel einer durch eine die in den zahlreichen Strumpfwirkereien thätigen Arbeiter den Grundstock bildeten. Da die Polizey und die krähwinkelmässige Landwehr zu Fuss und zu Pferd trotz ihrer regelrechten Bewaffnung, stattlichen Uniformen und militärischen Gliederung nicht ausreichend erschien, übernahm die Studentenschaft die Garantie für die Ruhe und Sicherheit der Stadt mittels regelmässigen Wach- und Patrouillendienstes. Die Ruhe blieb ungestört. Ich selbst fand auf meinen Patroullengängen nur einmal etwas Verdächtiges und dies war ein besoldeter Nachtwächter, der in einer dunklen Ecke unziemlich rumorte und auf unseren Anruf mit herabgelassenen Hosen und bösem Gewissen die Flucht ergriff, aber gestellt wurde. Das Studium litt natürlich stark in diesem Jahre und kam erst im folgenden Wintersemester wieder leidlich in Gang, um durch die Vorbereitung und den Ausbruch des Aufstandes in Baden und der Pfalz im Jahre 1849 wieder stark gestört zu werden. Die Zeitungsnachrichten und briefliche Mitteilungen erregten uns Pfälzer auf das höchste, wie leicht begreiflich ist. Dabei sah die Sache für uns in der Ferne anders aus als in der Nähe betrachtet. Galt sie uns doch als die berechtigte durchführung der vom Frankfurter Parlament beschlossenen Reichsverfassung, als deren Haupt wir den Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich in Nürnberg stürmisch begrüsst hatten. Ein Aufruf an die Pfälzer Studenten riss fast alle zur Abreise in die Heimath fort. Von meinen näheren Freunden blieb nur Einer zurück; er war beurlaubter Soldat und sein Fahneneid erhielt ihn nüchtern. Ich konnte mich den ”ins Vaterland“ ziehenden nicht anschliessen, weil ich kein Reisegeld hatte, schrieb aber dringend um solches. Mein Vater wusste nun, wie er mich in Erlangen festhalten konnte: er schickte mir erst dann Geld, als das Schicksal des pfälzischen Aufstandes entschieden war. Er hat mich dadurch vor grossem Unheil bewahrt, das über viele meiner Studiengenossen kam. Die sich als Civilkommissäre oder sonst als Gehilfen der provisorischen Regierung verwenden liessen, mussten den grossen Hochverrathsprozess über sich ergehen lassen, soweit ihnen nicht rechtzeitig die Flucht ins Ausland glückte. 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Ich selbst fand auf meinen Patroullengängen nur einmal etwas Verdächtiges und dies war ein besoldeter Nachtwächter, der in einer dunklen Ecke unziemlich rumorte und auf unseren Anruf mit herabgelassenen Hosen und bösem Gewissen die Flucht ergriff, aber gestellt wurde.</p> <p>Das Studium litt natürlich stark in diesem Jahre und kam erst im folgenden Wintersemester wieder leidlich in Gang, um durch die Vorbereitung und den Ausbruch des Aufstandes in Baden und der Pfalz im Jahre 1849 wieder stark gestört zu werden. Die Zeitungsnachrichten und briefliche Mitteilungen erregten uns Pfälzer auf das höchste, wie leicht begreiflich ist. Dabei sah die Sache für uns in der Ferne anders aus als in der Nähe betrachtet. Galt sie uns doch als die berechtigte durchführung der vom Frankfurter Parlament beschlossenen Reichsverfassung, als deren Haupt wir den Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich in Nürnberg stürmisch begrüsst hatten. Ein Aufruf an die Pfälzer Studenten riss fast alle zur Abreise in die Heimath fort. Von meinen näheren Freunden blieb nur Einer zurück; er war beurlaubter Soldat und sein Fahneneid erhielt ihn nüchtern. Ich konnte mich den ”ins Vaterland“ ziehenden nicht anschliessen, weil ich kein Reisegeld hatte, schrieb aber dringend um solches. Mein Vater wusste nun, wie er mich in Erlangen festhalten konnte: er schickte mir erst dann Geld, als das Schicksal des pfälzischen Aufstandes entschieden war. Er hat mich dadurch vor grossem Unheil bewahrt, das über viele meiner Studiengenossen kam. Die sich als Civilkommissäre oder sonst als Gehilfen der provisorischen Regierung verwenden liessen, mussten den grossen Hochverrathsprozess über sich ergehen lassen, soweit ihnen nicht rechtzeitig die Flucht ins Ausland glückte. Von den unter die ”Freischaaren“ Eingereihten fiel einer durch eine </p> </div> </body> </text> </TEI> [32/0032]
die in den zahlreichen Strumpfwirkereien thätigen Arbeiter den Grundstock bildeten. Da die Polizey und die krähwinkelmässige Landwehr zu Fuss und zu Pferd trotz ihrer regelrechten Bewaffnung, stattlichen Uniformen und militärischen Gliederung nicht ausreichend erschien, übernahm die Studentenschaft die Garantie für die Ruhe und Sicherheit der Stadt mittels regelmässigen Wach- und Patrouillendienstes. Die Ruhe blieb ungestört. Ich selbst fand auf meinen Patroullengängen nur einmal etwas Verdächtiges und dies war ein besoldeter Nachtwächter, der in einer dunklen Ecke unziemlich rumorte und auf unseren Anruf mit herabgelassenen Hosen und bösem Gewissen die Flucht ergriff, aber gestellt wurde.
Das Studium litt natürlich stark in diesem Jahre und kam erst im folgenden Wintersemester wieder leidlich in Gang, um durch die Vorbereitung und den Ausbruch des Aufstandes in Baden und der Pfalz im Jahre 1849 wieder stark gestört zu werden. Die Zeitungsnachrichten und briefliche Mitteilungen erregten uns Pfälzer auf das höchste, wie leicht begreiflich ist. Dabei sah die Sache für uns in der Ferne anders aus als in der Nähe betrachtet. Galt sie uns doch als die berechtigte durchführung der vom Frankfurter Parlament beschlossenen Reichsverfassung, als deren Haupt wir den Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich in Nürnberg stürmisch begrüsst hatten. Ein Aufruf an die Pfälzer Studenten riss fast alle zur Abreise in die Heimath fort. Von meinen näheren Freunden blieb nur Einer zurück; er war beurlaubter Soldat und sein Fahneneid erhielt ihn nüchtern. Ich konnte mich den ”ins Vaterland“ ziehenden nicht anschliessen, weil ich kein Reisegeld hatte, schrieb aber dringend um solches. Mein Vater wusste nun, wie er mich in Erlangen festhalten konnte: er schickte mir erst dann Geld, als das Schicksal des pfälzischen Aufstandes entschieden war. Er hat mich dadurch vor grossem Unheil bewahrt, das über viele meiner Studiengenossen kam. Die sich als Civilkommissäre oder sonst als Gehilfen der provisorischen Regierung verwenden liessen, mussten den grossen Hochverrathsprozess über sich ergehen lassen, soweit ihnen nicht rechtzeitig die Flucht ins Ausland glückte. Von den unter die ”Freischaaren“ Eingereihten fiel einer durch eine
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