Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.Die Stürme dieses Jahres traten bereits in meinem ersten Semester ein. Mein Stiefelfuchs kündigte sie mir an, als er an einem Fehruarmorgen in mein Zimmer trat mit dem Weckrufe: "Herr Krieger, stehen Sie auf, die Freiheit ist aus Paris angekommen." Was sich mein guter, ehrlicher Stiefelfuchs wohl unter dieser Freiheit dachte? Was sich alle die Massen, die der von Paris ausgehende Erdstoss taumeln machte, hofften und wünschten? Denn in allen Köpfen gärte es, in vielen Bereichen kochte es, da und dort krachte es: Throne wackelten, Ministerien stürzten, in den Residenzen flammte Aufruhr empor, in Provinzen bereitete sich der Aufstand vor. Konnte da das junge Studentenblut ruhig bleiben? In dem sonst so ruhigen Erlangen thaten sich Studenten und Professoren, Beamte und Bürger zu Volksversammlungen zusammen, in denen begeisterte Gesänge, feurige Reden und leichtfertige Schwüre erklangen. Imponierend und hochamüsant war in der allgemeinen Erregung die konsequente Haltung des Fürther Tagblattes, welches unser Kneipenwirt für sich hielt. Auf seinen 2 Quartblättern berichtete es kurz die zum Theil furchtbaren Weltbegebenheiten, um dann in behaglicher Breite seinen Lesern die gewohnte Kost vorzusetzen: In Wien stützte ein Kind aus dem 3. Stockwerke ohne sich Schaden zu thun, denn es kam auf den Wäschekorb einer vorübergehenden Frau zu liegen; in X spaltete sich ein Mann beim Holzhacken den Fuss, so dass er abgenommen werden musste; in N bekam eine Frau Drillinge, die alle wohlauf sind, u.s.w. Wir Studenten fanden es an der Zeit, zu der akademischen Freiheit noch einigen Zuwachs zu wünschen und zu fordern; ich weiss nicht mehr welche, aber in allgemeinen Studentenversammlungen wurden diese Wünsche diskutiert und formuliert, ohne dass es zu den üblichen Reibereien zwischen den Verbindungen und zu gehäuften Paukereien kam. Die Studentenschaft schloss sich sichtlich enger zusammen und dieser Zusammenschluss hielt längere Zeit stand und fand seinen Ausdruck in allgemeinen Kommersen bei besonderen späteren Ereignissen. Zunächst aber nahm die Studentenschaft Stellung gegen eine bedrohlich scheinende Bewegung innerhalb des Erlangerischen Pöbels, in welchem die Strumpfer, d.h. Die Stürme dieses Jahres traten bereits in meinem ersten Semester ein. Mein Stiefelfuchs kündigte sie mir an, als er an einem Fehruarmorgen in mein Zimmer trat mit dem Weckrufe: ”Herr Krieger, stehen Sie auf, die Freiheit ist aus Paris angekommen.“ Was sich mein guter, ehrlicher Stiefelfuchs wohl unter dieser Freiheit dachte? Was sich alle die Massen, die der von Paris ausgehende Erdstoss taumeln machte, hofften und wünschten? Denn in allen Köpfen gärte es, in vielen Bereichen kochte es, da und dort krachte es: Throne wackelten, Ministerien stürzten, in den Residenzen flammte Aufruhr empor, in Provinzen bereitete sich der Aufstand vor. Konnte da das junge Studentenblut ruhig bleiben? In dem sonst so ruhigen Erlangen thaten sich Studenten und Professoren, Beamte und Bürger zu Volksversammlungen zusammen, in denen begeisterte Gesänge, feurige Reden und leichtfertige Schwüre erklangen. Imponierend und hochamüsant war in der allgemeinen Erregung die konsequente Haltung des Fürther Tagblattes, welches unser Kneipenwirt für sich hielt. Auf seinen 2 Quartblättern berichtete es kurz die zum Theil furchtbaren Weltbegebenheiten, um dann in behaglicher Breite seinen Lesern die gewohnte Kost vorzusetzen: In Wien stützte ein Kind aus dem 3. Stockwerke ohne sich Schaden zu thun, denn es kam auf den Wäschekorb einer vorübergehenden Frau zu liegen; in X spaltete sich ein Mann beim Holzhacken den Fuss, so dass er abgenommen werden musste; in N bekam eine Frau Drillinge, die alle wohlauf sind, u.s.w. Wir Studenten fanden es an der Zeit, zu der akademischen Freiheit noch einigen Zuwachs zu wünschen und zu fordern; ich weiss nicht mehr welche, aber in allgemeinen Studentenversammlungen wurden diese Wünsche diskutiert und formuliert, ohne dass es zu den üblichen Reibereien zwischen den Verbindungen und zu gehäuften Paukereien kam. Die Studentenschaft schloss sich sichtlich enger zusammen und dieser Zusammenschluss hielt längere Zeit stand und fand seinen Ausdruck in allgemeinen Kommersen bei besonderen späteren Ereignissen. Zunächst aber nahm die Studentenschaft Stellung gegen eine bedrohlich scheinende Bewegung innerhalb des Erlangerischen Pöbels, in welchem die Strumpfer, d.h. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0031" n="31"/> Die Stürme dieses Jahres traten bereits in meinem ersten Semester ein. Mein Stiefelfuchs kündigte sie mir an, als er an einem Fehruarmorgen in mein Zimmer trat mit dem Weckrufe: ”Herr Krieger, stehen Sie auf, die Freiheit ist aus Paris angekommen.“ Was sich mein guter, ehrlicher Stiefelfuchs wohl unter dieser Freiheit dachte? Was sich alle die Massen, die der von Paris ausgehende Erdstoss taumeln machte, hofften und wünschten? Denn in allen Köpfen gärte es, in vielen Bereichen kochte es, da und dort krachte es: Throne wackelten, Ministerien stürzten, in den Residenzen flammte Aufruhr empor, in Provinzen bereitete sich der Aufstand vor. Konnte da das junge Studentenblut ruhig bleiben? In dem sonst so ruhigen Erlangen thaten sich Studenten und Professoren, Beamte und Bürger zu Volksversammlungen zusammen, in denen begeisterte Gesänge, feurige Reden und leichtfertige Schwüre erklangen. Imponierend und hochamüsant war in der allgemeinen Erregung die konsequente Haltung des Fürther Tagblattes, welches unser Kneipenwirt für sich hielt. Auf seinen 2 Quartblättern berichtete es kurz die zum Theil furchtbaren Weltbegebenheiten, um dann in behaglicher Breite seinen Lesern die gewohnte Kost vorzusetzen: In Wien stützte ein Kind aus dem 3. Stockwerke ohne sich Schaden zu thun, denn es kam auf den Wäschekorb einer vorübergehenden Frau zu liegen; in X spaltete sich ein Mann beim Holzhacken den Fuss, so dass er abgenommen werden musste; in N bekam eine Frau Drillinge, die alle wohlauf sind, u.s.w.</p> <p>Wir Studenten fanden es an der Zeit, zu der akademischen Freiheit noch einigen Zuwachs zu wünschen und zu fordern; ich weiss nicht mehr welche, aber in allgemeinen Studentenversammlungen wurden diese Wünsche diskutiert und formuliert, ohne dass es zu den üblichen Reibereien zwischen den Verbindungen und zu gehäuften Paukereien kam. Die Studentenschaft schloss sich sichtlich enger zusammen und dieser Zusammenschluss hielt längere Zeit stand und fand seinen Ausdruck in allgemeinen Kommersen bei besonderen späteren Ereignissen. Zunächst aber nahm die Studentenschaft Stellung gegen eine bedrohlich scheinende Bewegung innerhalb des Erlangerischen Pöbels, in welchem die Strumpfer, d.h. </p> </div> </body> </text> </TEI> [31/0031]
Die Stürme dieses Jahres traten bereits in meinem ersten Semester ein. Mein Stiefelfuchs kündigte sie mir an, als er an einem Fehruarmorgen in mein Zimmer trat mit dem Weckrufe: ”Herr Krieger, stehen Sie auf, die Freiheit ist aus Paris angekommen.“ Was sich mein guter, ehrlicher Stiefelfuchs wohl unter dieser Freiheit dachte? Was sich alle die Massen, die der von Paris ausgehende Erdstoss taumeln machte, hofften und wünschten? Denn in allen Köpfen gärte es, in vielen Bereichen kochte es, da und dort krachte es: Throne wackelten, Ministerien stürzten, in den Residenzen flammte Aufruhr empor, in Provinzen bereitete sich der Aufstand vor. Konnte da das junge Studentenblut ruhig bleiben? In dem sonst so ruhigen Erlangen thaten sich Studenten und Professoren, Beamte und Bürger zu Volksversammlungen zusammen, in denen begeisterte Gesänge, feurige Reden und leichtfertige Schwüre erklangen. Imponierend und hochamüsant war in der allgemeinen Erregung die konsequente Haltung des Fürther Tagblattes, welches unser Kneipenwirt für sich hielt. Auf seinen 2 Quartblättern berichtete es kurz die zum Theil furchtbaren Weltbegebenheiten, um dann in behaglicher Breite seinen Lesern die gewohnte Kost vorzusetzen: In Wien stützte ein Kind aus dem 3. Stockwerke ohne sich Schaden zu thun, denn es kam auf den Wäschekorb einer vorübergehenden Frau zu liegen; in X spaltete sich ein Mann beim Holzhacken den Fuss, so dass er abgenommen werden musste; in N bekam eine Frau Drillinge, die alle wohlauf sind, u.s.w.
Wir Studenten fanden es an der Zeit, zu der akademischen Freiheit noch einigen Zuwachs zu wünschen und zu fordern; ich weiss nicht mehr welche, aber in allgemeinen Studentenversammlungen wurden diese Wünsche diskutiert und formuliert, ohne dass es zu den üblichen Reibereien zwischen den Verbindungen und zu gehäuften Paukereien kam. Die Studentenschaft schloss sich sichtlich enger zusammen und dieser Zusammenschluss hielt längere Zeit stand und fand seinen Ausdruck in allgemeinen Kommersen bei besonderen späteren Ereignissen. Zunächst aber nahm die Studentenschaft Stellung gegen eine bedrohlich scheinende Bewegung innerhalb des Erlangerischen Pöbels, in welchem die Strumpfer, d.h.
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