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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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Figuren und Dekorationen wurden vom Taschengelde, das für die ganze Gymnasialzeit 6 Kreuzer wöchentlich betrug, beim Papierhändler gekauft, von mir gemalt, auf Karton gezogen, ausgeschnitten, mit Draht und Aufsteckstiften versehen und im selbstgefertigten Theater vorgeführt. Den wohlvorbereiteten Stoff gaben Sagen, Balladen, Ritter- und Räubergeschichten ab.

Bei einem Buchbinder in einem Nachbarhause erwachte in mir die Lust zu Buchbinder- und Kartonagearbeiten. Ich sah mir die Handgriffe ab und als das Christkind die unentbehrlichsten Buchbinderwerkzeuge mir bescherte ging es mit grossem Eifer an die Buchbinderei, später an Kartonagearbeiten, die ich mit wachsendem Erfolge lange und noch im Ehestande anfertigte. Eine natürliche Veranlagung zum sogenannten Posseln half mir mein Leben lang, im Hause allerlei Handwerker um ihren Verdienst zu bringen. Selbst vor Eingriffen in weibliche Arbeiten schreckte ich nicht zurück. So verfiel ich als Bube mit mehreren Kameraden auf die Bäckerei, wahrscheinlich weil die Mütter uns nicht genug Kuchen lieferten. Als wir aber im Holzschuppen des väterlichen Hauses unsere Backstube einrichteten und den Backofen aufbauten und unter starker Rauchentwicklung heizten, fuhr der feuerängstliche Vater grausam darein, zerstörte mit Fusstritten den Ofen, regalierte die Kameraden mit Ohrfeigen und mich mit der zweiten mir erinnerlichen Tracht Prügel.

Den Glanzpunkt in meinen Erinnerungen aus meiner Progymnasialzeit bildet eine Ferienreise, die ich im Jahre 1843 ausführen durfte. Reisegenosse war der 3 Jahre ältere Traugott Hepp, Sohn eines badischen Pfarrers und Utrechter Kommilitonen meines Vaters. Traugott besuchte das Zweibrücker Gymnasium und war Pensionär in unserem Hause. Mit ihm durfte ich in seine Heimat fahren. Welche Eindrücke machten die Gegenden, die Menschen, die während 7 Wochen an mir vorüberzogen! Auf dem Deckensitze des 4 spännigen, vom Postillon im Sattel gefahrenen Postwagens ging es über Pirmasens, Kaltenbach, das Aurichthal

Figuren und Dekorationen wurden vom Taschengelde, das für die ganze Gymnasialzeit 6 Kreuzer wöchentlich betrug, beim Papierhändler gekauft, von mir gemalt, auf Karton gezogen, ausgeschnitten, mit Draht und Aufsteckstiften versehen und im selbstgefertigten Theater vorgeführt. Den wohlvorbereiteten Stoff gaben Sagen, Balladen, Ritter- und Räubergeschichten ab.

Bei einem Buchbinder in einem Nachbarhause erwachte in mir die Lust zu Buchbinder- und Kartonagearbeiten. Ich sah mir die Handgriffe ab und als das Christkind die unentbehrlichsten Buchbinderwerkzeuge mir bescherte ging es mit grossem Eifer an die Buchbinderei, später an Kartonagearbeiten, die ich mit wachsendem Erfolge lange und noch im Ehestande anfertigte. Eine natürliche Veranlagung zum sogenannten Posseln half mir mein Leben lang, im Hause allerlei Handwerker um ihren Verdienst zu bringen. Selbst vor Eingriffen in weibliche Arbeiten schreckte ich nicht zurück. So verfiel ich als Bube mit mehreren Kameraden auf die Bäckerei, wahrscheinlich weil die Mütter uns nicht genug Kuchen lieferten. Als wir aber im Holzschuppen des väterlichen Hauses unsere Backstube einrichteten und den Backofen aufbauten und unter starker Rauchentwicklung heizten, fuhr der feuerängstliche Vater grausam darein, zerstörte mit Fusstritten den Ofen, regalierte die Kameraden mit Ohrfeigen und mich mit der zweiten mir erinnerlichen Tracht Prügel.

Den Glanzpunkt in meinen Erinnerungen aus meiner Progymnasialzeit bildet eine Ferienreise, die ich im Jahre 1843 ausführen durfte. Reisegenosse war der 3 Jahre ältere Traugott Hepp, Sohn eines badischen Pfarrers und Utrechter Kommilitonen meines Vaters. Traugott besuchte das Zweibrücker Gymnasium und war Pensionär in unserem Hause. Mit ihm durfte ich in seine Heimat fahren. Welche Eindrücke machten die Gegenden, die Menschen, die während 7 Wochen an mir vorüberzogen! Auf dem Deckensitze des 4 spännigen, vom Postillon im Sattel gefahrenen Postwagens ging es über Pirmasens, Kaltenbach, das Aurichthal

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Figuren und Dekorationen wurden vom Taschengelde, das für die ganze Gymnasialzeit 6 Kreuzer wöchentlich betrug, beim Papierhändler gekauft, von mir gemalt, auf Karton gezogen, ausgeschnitten, mit Draht und Aufsteckstiften versehen und im selbstgefertigten Theater vorgeführt. Den wohlvorbereiteten Stoff gaben Sagen, Balladen, Ritter- und Räubergeschichten ab.</p>
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[18/0018] Figuren und Dekorationen wurden vom Taschengelde, das für die ganze Gymnasialzeit 6 Kreuzer wöchentlich betrug, beim Papierhändler gekauft, von mir gemalt, auf Karton gezogen, ausgeschnitten, mit Draht und Aufsteckstiften versehen und im selbstgefertigten Theater vorgeführt. Den wohlvorbereiteten Stoff gaben Sagen, Balladen, Ritter- und Räubergeschichten ab. Bei einem Buchbinder in einem Nachbarhause erwachte in mir die Lust zu Buchbinder- und Kartonagearbeiten. Ich sah mir die Handgriffe ab und als das Christkind die unentbehrlichsten Buchbinderwerkzeuge mir bescherte ging es mit grossem Eifer an die Buchbinderei, später an Kartonagearbeiten, die ich mit wachsendem Erfolge lange und noch im Ehestande anfertigte. Eine natürliche Veranlagung zum sogenannten Posseln half mir mein Leben lang, im Hause allerlei Handwerker um ihren Verdienst zu bringen. Selbst vor Eingriffen in weibliche Arbeiten schreckte ich nicht zurück. So verfiel ich als Bube mit mehreren Kameraden auf die Bäckerei, wahrscheinlich weil die Mütter uns nicht genug Kuchen lieferten. Als wir aber im Holzschuppen des väterlichen Hauses unsere Backstube einrichteten und den Backofen aufbauten und unter starker Rauchentwicklung heizten, fuhr der feuerängstliche Vater grausam darein, zerstörte mit Fusstritten den Ofen, regalierte die Kameraden mit Ohrfeigen und mich mit der zweiten mir erinnerlichen Tracht Prügel. Den Glanzpunkt in meinen Erinnerungen aus meiner Progymnasialzeit bildet eine Ferienreise, die ich im Jahre 1843 ausführen durfte. Reisegenosse war der 3 Jahre ältere Traugott Hepp, Sohn eines badischen Pfarrers und Utrechter Kommilitonen meines Vaters. Traugott besuchte das Zweibrücker Gymnasium und war Pensionär in unserem Hause. Mit ihm durfte ich in seine Heimat fahren. Welche Eindrücke machten die Gegenden, die Menschen, die während 7 Wochen an mir vorüberzogen! Auf dem Deckensitze des 4 spännigen, vom Postillon im Sattel gefahrenen Postwagens ging es über Pirmasens, Kaltenbach, das Aurichthal

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/18>, abgerufen am 28.03.2024.