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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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keinen Prozess gegen uns an, disziplinierte uns aber durch einen auf der Synode veröffentlichten Verweis und legte unser Vorgehen lahm dadurch, dass es durch die Regierung den neuen Katechismus in allen Schulen einführen und den Lehrern den Fortgebrauch des Unionskatechismus verbot unter Androhung aller zulässigen Strafen. Es half nicht viel, dass wir im Konfirmandenunterrichte wenigstens noch einzelne Stücke des Unionskatechismus (z.B. die Auslegung der 3 Artikel des Apostolikums, die 1. Frage des Heidelberger Katechismus und die Frage von der Rechtfertigung) einprägten und auslegten. Die Freudigkeit und Freude im Unterricht war uns genommen und die Ertheilung des Unterrichts ausserordentlich erschwert und behindert.

Es sollte ja später noch schlimmer kommen, aber uns schien schon jetzt die Lage fast unerträglich. Aber wir beschlossen, nicht nach dem Vorgange einiger Freunde die Pfalz zu verlassen, sondern Stand zu halten und den uns verordneten Kampf fortzuführen in der Hoffnung, dass der Herr der Kirche den Leuchter des Evangeliums nicht gänzlich bei uns umstossen werde. Es ist auch nicht geschehen und ein muthiger und treuer Nachwuchs von positiven Geistlichen hält die Fahne des lauteren Evangeliums fort und fort hoch.

Für das Jahr 1876 erhielten wir das beste Dienstmädchen, welches wir je gehabt: Elisabeth Warth von Körbern, die Schwester einer lieben Diakonisse an der Kinderschule Schnappach, Julie Warth. Unsere Elisabeth wurde später, wie auch eine 3. Schwester (Luise) ebenfalls Diakonisse. In unser Haus war sie von Gottes Gnade gesandt, um in dem schwersten Jahre, welches wir erleben sollten, uns eine starke und trostreiche Hilfe zu sein.

Meine liebe Malchen, welche seit Ernsts Geburt mit den Folgen einer Rippenfellentzündung und anderen Leiden geplagt war, bekam schon seit einiger Zeit schwere Krampfanfälle hysterischer Natur, die zu einer Gemüthskrankheit mit allerley Wahnvorstellungen und zuletzt mit dem stärksten Verfolgungswahne hinüberleiteten. Die Arzte dachten zuerst an die Überführung in eine Irrenanstalt; aber die Anstaltsärzte riethen

keinen Prozess gegen uns an, disziplinierte uns aber durch einen auf der Synode veröffentlichten Verweis und legte unser Vorgehen lahm dadurch, dass es durch die Regierung den neuen Katechismus in allen Schulen einführen und den Lehrern den Fortgebrauch des Unionskatechismus verbot unter Androhung aller zulässigen Strafen. Es half nicht viel, dass wir im Konfirmandenunterrichte wenigstens noch einzelne Stücke des Unionskatechismus (z.B. die Auslegung der 3 Artikel des Apostolikums, die 1. Frage des Heidelberger Katechismus und die Frage von der Rechtfertigung) einprägten und auslegten. Die Freudigkeit und Freude im Unterricht war uns genommen und die Ertheilung des Unterrichts ausserordentlich erschwert und behindert.

Es sollte ja später noch schlimmer kommen, aber uns schien schon jetzt die Lage fast unerträglich. Aber wir beschlossen, nicht nach dem Vorgange einiger Freunde die Pfalz zu verlassen, sondern Stand zu halten und den uns verordneten Kampf fortzuführen in der Hoffnung, dass der Herr der Kirche den Leuchter des Evangeliums nicht gänzlich bei uns umstossen werde. Es ist auch nicht geschehen und ein muthiger und treuer Nachwuchs von positiven Geistlichen hält die Fahne des lauteren Evangeliums fort und fort hoch.

Für das Jahr 1876 erhielten wir das beste Dienstmädchen, welches wir je gehabt: Elisabeth Warth von Körbern, die Schwester einer lieben Diakonisse an der Kinderschule Schnappach, Julie Warth. Unsere Elisabeth wurde später, wie auch eine 3. Schwester (Luise) ebenfalls Diakonisse. In unser Haus war sie von Gottes Gnade gesandt, um in dem schwersten Jahre, welches wir erleben sollten, uns eine starke und trostreiche Hilfe zu sein.

Meine liebe Malchen, welche seit Ernsts Geburt mit den Folgen einer Rippenfellentzündung und anderen Leiden geplagt war, bekam schon seit einiger Zeit schwere Krampfanfälle hysterischer Natur, die zu einer Gemüthskrankheit mit allerley Wahnvorstellungen und zuletzt mit dem stärksten Verfolgungswahne hinüberleiteten. Die Arzte dachten zuerst an die Überführung in eine Irrenanstalt; aber die Anstaltsärzte riethen

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[108/0108] keinen Prozess gegen uns an, disziplinierte uns aber durch einen auf der Synode veröffentlichten Verweis und legte unser Vorgehen lahm dadurch, dass es durch die Regierung den neuen Katechismus in allen Schulen einführen und den Lehrern den Fortgebrauch des Unionskatechismus verbot unter Androhung aller zulässigen Strafen. Es half nicht viel, dass wir im Konfirmandenunterrichte wenigstens noch einzelne Stücke des Unionskatechismus (z.B. die Auslegung der 3 Artikel des Apostolikums, die 1. Frage des Heidelberger Katechismus und die Frage von der Rechtfertigung) einprägten und auslegten. Die Freudigkeit und Freude im Unterricht war uns genommen und die Ertheilung des Unterrichts ausserordentlich erschwert und behindert. Es sollte ja später noch schlimmer kommen, aber uns schien schon jetzt die Lage fast unerträglich. Aber wir beschlossen, nicht nach dem Vorgange einiger Freunde die Pfalz zu verlassen, sondern Stand zu halten und den uns verordneten Kampf fortzuführen in der Hoffnung, dass der Herr der Kirche den Leuchter des Evangeliums nicht gänzlich bei uns umstossen werde. Es ist auch nicht geschehen und ein muthiger und treuer Nachwuchs von positiven Geistlichen hält die Fahne des lauteren Evangeliums fort und fort hoch. Für das Jahr 1876 erhielten wir das beste Dienstmädchen, welches wir je gehabt: Elisabeth Warth von Körbern, die Schwester einer lieben Diakonisse an der Kinderschule Schnappach, Julie Warth. Unsere Elisabeth wurde später, wie auch eine 3. Schwester (Luise) ebenfalls Diakonisse. In unser Haus war sie von Gottes Gnade gesandt, um in dem schwersten Jahre, welches wir erleben sollten, uns eine starke und trostreiche Hilfe zu sein. Meine liebe Malchen, welche seit Ernsts Geburt mit den Folgen einer Rippenfellentzündung und anderen Leiden geplagt war, bekam schon seit einiger Zeit schwere Krampfanfälle hysterischer Natur, die zu einer Gemüthskrankheit mit allerley Wahnvorstellungen und zuletzt mit dem stärksten Verfolgungswahne hinüberleiteten. Die Arzte dachten zuerst an die Überführung in eine Irrenanstalt; aber die Anstaltsärzte riethen

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/108>, abgerufen am 07.05.2024.