Höllenmusik abgab . . . Na, das war ein netter Skandal! Die Ohren mußte man sich zuhalten! Es geschah in meinem benachbarten Revier. Ich konnte von der Straßenecke den Vorgang deutlich mit ansehen, dachte aber bei mir: was wirst du dich um die Stunde noch hineinmischen! Es war nämlich bereits drei Uhr; und außerdem sagte Liebegott zu mir: "Laß die nur laufen, denn ehe wir dorthin kommen, sind die längst über alle Berge!"
"So stehen wir Beide denn an der Ecke und sehen dem Indianertanz zu und fragen uns gegenseitig immer nur das Eine: Wo mag nur Wenzel stecken? So heißt nämlich mein Kollege aus dem Revier. Endlich kommt er ange¬ schlurft und gebietet Ruhe. Ja, da war gut Ruhe bieten. Die ganze Gesellschaft umringte ihn, nannte ihn "Herr Wachtmeister", "Herr Lieutenant" und "Herr Polizei-Präsi¬ dent"; zuletzt wollten Alle mit ihm eine Weiße trinken gehen. Dann fragte ihn einer nach seinem Namen und er, gemüthlich geworden durch die Aussicht auf die Weiße, sagte wie er heißt. Nun fingen sie alle an das Lied zu singen: "Der Wenzel kommt, der Wenzel kommt, der Wenzel ist schon da!" Einige pfiffen dabei auf ihren Stöcken, zwei trompe¬ teten laut gen Himmel und die Anderen paukten ruhig weiter auf ihre Schilder. Das war denn doch dem Wenzel zu viel. Er drohte mit dem Arretiren, und als die jungen Herren nun sahen, daß selbst die Anrede "Herr Oberbürgermeister" nichts helfe, da wurden sie wieder sehr ungemüthlich, pfiffen und lärmten noch lauter, nannten ihn einen "Nachtwächter von Mottenburg", der niemals in seinem Leben anständig be¬ trunken gewesen sei, und verlangten durchaus von ihm, er solle ihnen den Ort angeben, wo er seinen Spieß gelassen
Höllenmuſik abgab . . . Na, das war ein netter Skandal! Die Ohren mußte man ſich zuhalten! Es geſchah in meinem benachbarten Revier. Ich konnte von der Straßenecke den Vorgang deutlich mit anſehen, dachte aber bei mir: was wirſt du dich um die Stunde noch hineinmiſchen! Es war nämlich bereits drei Uhr; und außerdem ſagte Liebegott zu mir: „Laß die nur laufen, denn ehe wir dorthin kommen, ſind die längſt über alle Berge!“
„So ſtehen wir Beide denn an der Ecke und ſehen dem Indianertanz zu und fragen uns gegenſeitig immer nur das Eine: Wo mag nur Wenzel ſtecken? So heißt nämlich mein Kollege aus dem Revier. Endlich kommt er ange¬ ſchlurft und gebietet Ruhe. Ja, da war gut Ruhe bieten. Die ganze Geſellſchaft umringte ihn, nannte ihn „Herr Wachtmeiſter“, „Herr Lieutenant“ und „Herr Polizei-Präſi¬ dent“; zuletzt wollten Alle mit ihm eine Weiße trinken gehen. Dann fragte ihn einer nach ſeinem Namen und er, gemüthlich geworden durch die Ausſicht auf die Weiße, ſagte wie er heißt. Nun fingen ſie alle an das Lied zu ſingen: „Der Wenzel kommt, der Wenzel kommt, der Wenzel iſt ſchon da!“ Einige pfiffen dabei auf ihren Stöcken, zwei trompe¬ teten laut gen Himmel und die Anderen paukten ruhig weiter auf ihre Schilder. Das war denn doch dem Wenzel zu viel. Er drohte mit dem Arretiren, und als die jungen Herren nun ſahen, daß ſelbſt die Anrede „Herr Oberbürgermeiſter“ nichts helfe, da wurden ſie wieder ſehr ungemüthlich, pfiffen und lärmten noch lauter, nannten ihn einen „Nachtwächter von Mottenburg“, der niemals in ſeinem Leben anſtändig be¬ trunken geweſen ſei, und verlangten durchaus von ihm, er ſolle ihnen den Ort angeben, wo er ſeinen Spieß gelaſſen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0096"n="84"/>
Höllenmuſik abgab . . . Na, das war ein netter Skandal!<lb/>
Die Ohren mußte man ſich zuhalten! Es geſchah in meinem<lb/>
benachbarten Revier. Ich konnte von der Straßenecke den<lb/>
Vorgang deutlich mit anſehen, dachte aber bei mir: was wirſt<lb/>
du dich um die Stunde noch hineinmiſchen! Es war nämlich<lb/>
bereits drei Uhr; und außerdem ſagte Liebegott zu mir:<lb/>„Laß die nur laufen, denn ehe wir dorthin kommen, ſind die<lb/>
längſt über alle Berge!“</p><lb/><p>„So ſtehen wir Beide denn an der Ecke und ſehen dem<lb/>
Indianertanz zu und fragen uns gegenſeitig immer nur das<lb/>
Eine: Wo mag nur Wenzel ſtecken? So heißt nämlich<lb/>
mein Kollege aus dem Revier. Endlich kommt er ange¬<lb/>ſchlurft und gebietet Ruhe. Ja, da war gut Ruhe bieten.<lb/>
Die ganze Geſellſchaft umringte ihn, nannte ihn „Herr<lb/>
Wachtmeiſter“, „Herr Lieutenant“ und „Herr Polizei-Präſi¬<lb/>
dent“; zuletzt wollten Alle mit ihm eine Weiße trinken gehen.<lb/>
Dann fragte ihn einer nach ſeinem Namen und er, gemüthlich<lb/>
geworden durch die Ausſicht auf die Weiße, ſagte wie er<lb/>
heißt. Nun fingen ſie alle an das Lied zu ſingen: „Der<lb/>
Wenzel kommt, der Wenzel kommt, der Wenzel iſt ſchon<lb/>
da!“ Einige pfiffen dabei auf ihren Stöcken, zwei trompe¬<lb/>
teten laut gen Himmel und die Anderen paukten ruhig weiter<lb/>
auf ihre Schilder. Das war denn doch dem Wenzel zu viel.<lb/>
Er drohte mit dem Arretiren, und als die jungen Herren<lb/>
nun ſahen, daß ſelbſt die Anrede „Herr Oberbürgermeiſter“<lb/>
nichts helfe, da wurden ſie wieder ſehr ungemüthlich, pfiffen<lb/>
und lärmten noch lauter, nannten ihn einen „Nachtwächter<lb/>
von Mottenburg“, der niemals in ſeinem Leben anſtändig be¬<lb/>
trunken geweſen ſei, und verlangten durchaus von ihm, er<lb/>ſolle ihnen den Ort angeben, wo er ſeinen Spieß gelaſſen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[84/0096]
Höllenmuſik abgab . . . Na, das war ein netter Skandal!
Die Ohren mußte man ſich zuhalten! Es geſchah in meinem
benachbarten Revier. Ich konnte von der Straßenecke den
Vorgang deutlich mit anſehen, dachte aber bei mir: was wirſt
du dich um die Stunde noch hineinmiſchen! Es war nämlich
bereits drei Uhr; und außerdem ſagte Liebegott zu mir:
„Laß die nur laufen, denn ehe wir dorthin kommen, ſind die
längſt über alle Berge!“
„So ſtehen wir Beide denn an der Ecke und ſehen dem
Indianertanz zu und fragen uns gegenſeitig immer nur das
Eine: Wo mag nur Wenzel ſtecken? So heißt nämlich
mein Kollege aus dem Revier. Endlich kommt er ange¬
ſchlurft und gebietet Ruhe. Ja, da war gut Ruhe bieten.
Die ganze Geſellſchaft umringte ihn, nannte ihn „Herr
Wachtmeiſter“, „Herr Lieutenant“ und „Herr Polizei-Präſi¬
dent“; zuletzt wollten Alle mit ihm eine Weiße trinken gehen.
Dann fragte ihn einer nach ſeinem Namen und er, gemüthlich
geworden durch die Ausſicht auf die Weiße, ſagte wie er
heißt. Nun fingen ſie alle an das Lied zu ſingen: „Der
Wenzel kommt, der Wenzel kommt, der Wenzel iſt ſchon
da!“ Einige pfiffen dabei auf ihren Stöcken, zwei trompe¬
teten laut gen Himmel und die Anderen paukten ruhig weiter
auf ihre Schilder. Das war denn doch dem Wenzel zu viel.
Er drohte mit dem Arretiren, und als die jungen Herren
nun ſahen, daß ſelbſt die Anrede „Herr Oberbürgermeiſter“
nichts helfe, da wurden ſie wieder ſehr ungemüthlich, pfiffen
und lärmten noch lauter, nannten ihn einen „Nachtwächter
von Mottenburg“, der niemals in ſeinem Leben anſtändig be¬
trunken geweſen ſei, und verlangten durchaus von ihm, er
ſolle ihnen den Ort angeben, wo er ſeinen Spieß gelaſſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/96>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.