Krusemeyer antwortete nicht, machte aber eine leicht ver¬ ständliche Geberde: man solle den Großvater entfernen. Das Ehepaar sah sich bestürzt an; denn wenn Krusemeyer dieses Verlangen stellte, so mußte etwas ganz Besonderes passirt sein. Zum Glück war die Zeit gerade herangerückt, wo der Alte sein Bett aufzusuchen pflegte. Als Frau Karoline ihn fragte, ob man nicht Anstalten machen wolle, in's Haus zu gehen, erhob er sich denn auch, sagte den Uebrigen gute Nacht und wankte, gestützt von der Frau seines Sohnes, der Thür zu.
Johannes wurde während dessen von der Neugierde ge¬ peinigt. Krusemeyer befriedigte dieselbe aber erst, als die Meisterin zurückgekehrt war. Dann sagte er plötzlich:
"Wann ist er denn nach Hause gekommen, oder ist er ganz fortgeblieben?"
"Wer?"
"Nun, Euer Franz --"
Da die drei Anderen ein merkwürdig erstauntes Gesicht zeigten und augenblicklich keine Worte fanden, so führte der Beschirmer der Bürgerruhe das Gespräch allein weiter, und das geschah mit einer Ueberlegenheit, die nur zu deutlich ver¬ rieth, wie erhaben er sich in seiner augenblicklichen Rolle finde.
So sagte er denn auf's Neue:
"Die Sache ist mit wenigen Worten die: Man hat in der vergangenen Nacht eine Anzahl junger Leute, die lärmend und singend durch die Straßen zogen, dabei überrascht, wie sie allerlei Unfug trieben: an den Klingeln der Aerzte und Hebeammen zogen, die Bewohner aus dem Schlafe klopften und zuletzt sich nicht scheuten, Schilder von den Häusern zu reißen, auf welche sie mit ihren Stöcken paukten, daß es eine
6*
Kruſemeyer antwortete nicht, machte aber eine leicht ver¬ ſtändliche Geberde: man ſolle den Großvater entfernen. Das Ehepaar ſah ſich beſtürzt an; denn wenn Kruſemeyer dieſes Verlangen ſtellte, ſo mußte etwas ganz Beſonderes paſſirt ſein. Zum Glück war die Zeit gerade herangerückt, wo der Alte ſein Bett aufzuſuchen pflegte. Als Frau Karoline ihn fragte, ob man nicht Anſtalten machen wolle, in's Haus zu gehen, erhob er ſich denn auch, ſagte den Uebrigen gute Nacht und wankte, geſtützt von der Frau ſeines Sohnes, der Thür zu.
Johannes wurde während deſſen von der Neugierde ge¬ peinigt. Kruſemeyer befriedigte dieſelbe aber erſt, als die Meiſterin zurückgekehrt war. Dann ſagte er plötzlich:
„Wann iſt er denn nach Hauſe gekommen, oder iſt er ganz fortgeblieben?“
„Wer?“
„Nun, Euer Franz —“
Da die drei Anderen ein merkwürdig erſtauntes Geſicht zeigten und augenblicklich keine Worte fanden, ſo führte der Beſchirmer der Bürgerruhe das Geſpräch allein weiter, und das geſchah mit einer Ueberlegenheit, die nur zu deutlich ver¬ rieth, wie erhaben er ſich in ſeiner augenblicklichen Rolle finde.
So ſagte er denn auf's Neue:
„Die Sache iſt mit wenigen Worten die: Man hat in der vergangenen Nacht eine Anzahl junger Leute, die lärmend und ſingend durch die Straßen zogen, dabei überraſcht, wie ſie allerlei Unfug trieben: an den Klingeln der Aerzte und Hebeammen zogen, die Bewohner aus dem Schlafe klopften und zuletzt ſich nicht ſcheuten, Schilder von den Häuſern zu reißen, auf welche ſie mit ihren Stöcken paukten, daß es eine
6*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0095"n="83"/><p>Kruſemeyer antwortete nicht, machte aber eine leicht ver¬<lb/>ſtändliche Geberde: man ſolle den Großvater entfernen. Das<lb/>
Ehepaar ſah ſich beſtürzt an; denn wenn Kruſemeyer dieſes<lb/>
Verlangen ſtellte, ſo mußte etwas ganz Beſonderes paſſirt<lb/>ſein. Zum Glück war die Zeit gerade herangerückt, wo der<lb/>
Alte ſein Bett aufzuſuchen pflegte. Als Frau Karoline ihn<lb/>
fragte, ob man nicht Anſtalten machen wolle, in's Haus zu<lb/>
gehen, erhob er ſich denn auch, ſagte den Uebrigen gute<lb/>
Nacht und wankte, geſtützt von der Frau ſeines Sohnes, der<lb/>
Thür zu.</p><lb/><p>Johannes wurde während deſſen von der Neugierde ge¬<lb/>
peinigt. Kruſemeyer befriedigte dieſelbe aber erſt, als die<lb/>
Meiſterin zurückgekehrt war. Dann ſagte er plötzlich:</p><lb/><p>„Wann iſt er denn nach Hauſe gekommen, oder iſt er<lb/>
ganz fortgeblieben?“</p><lb/><p>„Wer?“</p><lb/><p>„Nun, Euer Franz —“</p><lb/><p>Da die drei Anderen ein merkwürdig erſtauntes Geſicht<lb/>
zeigten und augenblicklich keine Worte fanden, ſo führte der<lb/>
Beſchirmer der Bürgerruhe das Geſpräch allein weiter, und<lb/>
das geſchah mit einer Ueberlegenheit, die nur zu deutlich ver¬<lb/>
rieth, wie erhaben er ſich in ſeiner augenblicklichen Rolle finde.</p><lb/><p>So ſagte er denn auf's Neue:</p><lb/><p>„Die Sache iſt mit wenigen Worten die: Man hat in<lb/>
der vergangenen Nacht eine Anzahl junger Leute, die lärmend<lb/>
und ſingend durch die Straßen zogen, dabei überraſcht, wie<lb/>ſie allerlei Unfug trieben: an den Klingeln der Aerzte und<lb/>
Hebeammen zogen, die Bewohner aus dem Schlafe klopften<lb/>
und zuletzt ſich nicht ſcheuten, Schilder von den Häuſern zu<lb/>
reißen, auf welche ſie mit ihren Stöcken paukten, daß es eine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">6*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[83/0095]
Kruſemeyer antwortete nicht, machte aber eine leicht ver¬
ſtändliche Geberde: man ſolle den Großvater entfernen. Das
Ehepaar ſah ſich beſtürzt an; denn wenn Kruſemeyer dieſes
Verlangen ſtellte, ſo mußte etwas ganz Beſonderes paſſirt
ſein. Zum Glück war die Zeit gerade herangerückt, wo der
Alte ſein Bett aufzuſuchen pflegte. Als Frau Karoline ihn
fragte, ob man nicht Anſtalten machen wolle, in's Haus zu
gehen, erhob er ſich denn auch, ſagte den Uebrigen gute
Nacht und wankte, geſtützt von der Frau ſeines Sohnes, der
Thür zu.
Johannes wurde während deſſen von der Neugierde ge¬
peinigt. Kruſemeyer befriedigte dieſelbe aber erſt, als die
Meiſterin zurückgekehrt war. Dann ſagte er plötzlich:
„Wann iſt er denn nach Hauſe gekommen, oder iſt er
ganz fortgeblieben?“
„Wer?“
„Nun, Euer Franz —“
Da die drei Anderen ein merkwürdig erſtauntes Geſicht
zeigten und augenblicklich keine Worte fanden, ſo führte der
Beſchirmer der Bürgerruhe das Geſpräch allein weiter, und
das geſchah mit einer Ueberlegenheit, die nur zu deutlich ver¬
rieth, wie erhaben er ſich in ſeiner augenblicklichen Rolle finde.
So ſagte er denn auf's Neue:
„Die Sache iſt mit wenigen Worten die: Man hat in
der vergangenen Nacht eine Anzahl junger Leute, die lärmend
und ſingend durch die Straßen zogen, dabei überraſcht, wie
ſie allerlei Unfug trieben: an den Klingeln der Aerzte und
Hebeammen zogen, die Bewohner aus dem Schlafe klopften
und zuletzt ſich nicht ſcheuten, Schilder von den Häuſern zu
reißen, auf welche ſie mit ihren Stöcken paukten, daß es eine
6*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/95>, abgerufen am 29.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.