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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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seiner Worte erwärmten und durch die Schlichtheit siner
Rede gefesselt wurden.

"Ich bin seit dreißig Jahren selbstständig," fuhr er fort
"habe mein Gesellen und Meisterstück in allen Ehren gemacht,
bin mein ganzes Leben lang ein fleißiger Mann gewesen und
bin durch einen hergelaufenen Hausirer an den Bettelstab ge¬
bracht worden. Urban heißt der Mann, damit Sie es wissen."

Ein vielstimmiges, langgedehntes "Ah" wurde laut.

Er richtete seinen Blick nach links und erblickte seinen
Sohn, der sich vergeblich zu verbergen versuchte. Ein Zittern vom
Scheitel bis zur Zehe erfaßte ihn; dann durchlief ein Schauer
seinen Körper. Alles Blut drängte sich nach dem Herzen, er
glaubte die Bretter unter seinen Füßen wankten und er mit
ihnen; aber er beherrschte sich mit der ganzen Kraft seines
Greisenalters und blieb stehen. Dann wollte er schreien, mit
dem Finger nach jener Ecke deuten und der Anklage gegen
Urban die fürchterliche gegen seinen Sohn hinzufügen, aber die
Scham hielt ihn zurück.

Als der Kampf vorüber war, gab er sich den Anschein,
als hätte er Franz nicht erblickt und fuhr fort: "Diesen
Herren, deren ganzes Wissen in ihrem Geldsacke liegt, ist
nichts heilig, wenn sie den Handwerker ruiniren können. Sie
rauben ihm nicht nur die Kunden, nehmen ihm nicht nur die
Existenz, sondern stehlen ihm obendrein die Modelle ... und
wenn es bei Nacht und Nebel sein sollte! Wie nennt man
aber solche Leute, die das thun? Diebe nennt man sie!"

Sein Blick glitt jetzt bewußt nach links und blieb durch¬
dringend auf dem Antlitz seines Sohnes haften. Nun war
es, als spräche aus ihm ein anderer Mensch. Aus den an¬
fänglichen Erzähler wurde ein glühender Redner, der mit den

ſeiner Worte erwärmten und durch die Schlichtheit ſiner
Rede gefeſſelt wurden.

„Ich bin ſeit dreißig Jahren ſelbſtſtändig,“ fuhr er fort
„habe mein Geſellen und Meiſterſtück in allen Ehren gemacht,
bin mein ganzes Leben lang ein fleißiger Mann geweſen und
bin durch einen hergelaufenen Hauſirer an den Bettelſtab ge¬
bracht worden. Urban heißt der Mann, damit Sie es wiſſen.“

Ein vielſtimmiges, langgedehntes „Ah“ wurde laut.

Er richtete ſeinen Blick nach links und erblickte ſeinen
Sohn, der ſich vergeblich zu verbergen verſuchte. Ein Zittern vom
Scheitel bis zur Zehe erfaßte ihn; dann durchlief ein Schauer
ſeinen Körper. Alles Blut drängte ſich nach dem Herzen, er
glaubte die Bretter unter ſeinen Füßen wankten und er mit
ihnen; aber er beherrſchte ſich mit der ganzen Kraft ſeines
Greiſenalters und blieb ſtehen. Dann wollte er ſchreien, mit
dem Finger nach jener Ecke deuten und der Anklage gegen
Urban die fürchterliche gegen ſeinen Sohn hinzufügen, aber die
Scham hielt ihn zurück.

Als der Kampf vorüber war, gab er ſich den Anſchein,
als hätte er Franz nicht erblickt und fuhr fort: „Dieſen
Herren, deren ganzes Wiſſen in ihrem Geldſacke liegt, iſt
nichts heilig, wenn ſie den Handwerker ruiniren können. Sie
rauben ihm nicht nur die Kunden, nehmen ihm nicht nur die
Exiſtenz, ſondern ſtehlen ihm obendrein die Modelle ... und
wenn es bei Nacht und Nebel ſein ſollte! Wie nennt man
aber ſolche Leute, die das thun? Diebe nennt man ſie!“

Sein Blick glitt jetzt bewußt nach links und blieb durch¬
dringend auf dem Antlitz ſeines Sohnes haften. Nun war
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[296/0308] ſeiner Worte erwärmten und durch die Schlichtheit ſiner Rede gefeſſelt wurden. „Ich bin ſeit dreißig Jahren ſelbſtſtändig,“ fuhr er fort „habe mein Geſellen und Meiſterſtück in allen Ehren gemacht, bin mein ganzes Leben lang ein fleißiger Mann geweſen und bin durch einen hergelaufenen Hauſirer an den Bettelſtab ge¬ bracht worden. Urban heißt der Mann, damit Sie es wiſſen.“ Ein vielſtimmiges, langgedehntes „Ah“ wurde laut. Er richtete ſeinen Blick nach links und erblickte ſeinen Sohn, der ſich vergeblich zu verbergen verſuchte. Ein Zittern vom Scheitel bis zur Zehe erfaßte ihn; dann durchlief ein Schauer ſeinen Körper. Alles Blut drängte ſich nach dem Herzen, er glaubte die Bretter unter ſeinen Füßen wankten und er mit ihnen; aber er beherrſchte ſich mit der ganzen Kraft ſeines Greiſenalters und blieb ſtehen. Dann wollte er ſchreien, mit dem Finger nach jener Ecke deuten und der Anklage gegen Urban die fürchterliche gegen ſeinen Sohn hinzufügen, aber die Scham hielt ihn zurück. Als der Kampf vorüber war, gab er ſich den Anſchein, als hätte er Franz nicht erblickt und fuhr fort: „Dieſen Herren, deren ganzes Wiſſen in ihrem Geldſacke liegt, iſt nichts heilig, wenn ſie den Handwerker ruiniren können. Sie rauben ihm nicht nur die Kunden, nehmen ihm nicht nur die Exiſtenz, ſondern ſtehlen ihm obendrein die Modelle ... und wenn es bei Nacht und Nebel ſein ſollte! Wie nennt man aber ſolche Leute, die das thun? Diebe nennt man ſie!“ Sein Blick glitt jetzt bewußt nach links und blieb durch¬ dringend auf dem Antlitz ſeines Sohnes haften. Nun war es, als ſpräche aus ihm ein anderer Menſch. Aus den an¬ fänglichen Erzähler wurde ein glühender Redner, der mit den

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/308>, abgerufen am 24.11.2024.