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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Neuer Beifall erschallte. Der überwachende Beamte,
ein jovialer Herr mit bereits grauem Backenbart erhob den
Oberkörper und legte den Bleistift auf den Tisch. In dem¬
selben Augenblick sagte der Vorsitzende: "Ich bitte den
Herrn Redner, bei der Sache zu bleiben. Es handelt sich
hier um Erörterungen von Strikeangelegenheiten. Ich
bitte also --"

Der Redner fuhr fort: "Ich bin vollständig bei der
Sache. Wir sind hier Arbeiter, um die sich die ganze soziale
Frage dreht. Wie aber erst die einzelnen Glieder eine Kette
bilden, so machen die verschiedenen Erscheinungen des
öffentlichen Lebens die soziale Frage aus. Wenn wir
unsere Angelegenheiten besprechen wollen, so muß es auch
nothwendig sein, die Ursachen anzuführen, die unsere
traurige Lage verschuldet haben und die Folgen, die aus
ihr entstanden sind und immer noch entstehen. Mit Schön¬
pflästerchen heilt man keine Wunde."

"Bravo . . . Sehr richtig", ertönte es abermals unter
den Zuhörern.

"Ich will also fortfahren oder vielmehr bei der Sache
bleiben", begann der Redner wieder mit einem ironischen
Lächeln. "Meine Herren, wenn der Staat verlangt, daß wir
unsere Pflichten als Steuerzahler und Bürger erfüllen sollen,
so muß uns auch gestattet sein, öffentlich nach den Mitteln
und Wegen zu suchen, die uns vor der Gefahr schützen, eines
Tages diesen Pflichten nicht mehr nachkommen zu können.
Wir gleichen den Aerzten, die zusammengekommen sind, um
einen kranken Körper zu untersuchen und welche die
moralische Verpflichtung fühlen, sich gegenseitig Nichts zu
verschweigen. Meine Herren, wir streben nur nach einem

Kretzer, Meister Timpe. 19

Neuer Beifall erſchallte. Der überwachende Beamte,
ein jovialer Herr mit bereits grauem Backenbart erhob den
Oberkörper und legte den Bleiſtift auf den Tiſch. In dem¬
ſelben Augenblick ſagte der Vorſitzende: „Ich bitte den
Herrn Redner, bei der Sache zu bleiben. Es handelt ſich
hier um Erörterungen von Strikeangelegenheiten. Ich
bitte alſo —“

Der Redner fuhr fort: „Ich bin vollſtändig bei der
Sache. Wir ſind hier Arbeiter, um die ſich die ganze ſoziale
Frage dreht. Wie aber erſt die einzelnen Glieder eine Kette
bilden, ſo machen die verſchiedenen Erſcheinungen des
öffentlichen Lebens die ſoziale Frage aus. Wenn wir
unſere Angelegenheiten beſprechen wollen, ſo muß es auch
nothwendig ſein, die Urſachen anzuführen, die unſere
traurige Lage verſchuldet haben und die Folgen, die aus
ihr entſtanden ſind und immer noch entſtehen. Mit Schön¬
pfläſterchen heilt man keine Wunde.“

„Bravo . . . Sehr richtig“, ertönte es abermals unter
den Zuhörern.

„Ich will alſo fortfahren oder vielmehr bei der Sache
bleiben“, begann der Redner wieder mit einem ironiſchen
Lächeln. „Meine Herren, wenn der Staat verlangt, daß wir
unſere Pflichten als Steuerzahler und Bürger erfüllen ſollen,
ſo muß uns auch geſtattet ſein, öffentlich nach den Mitteln
und Wegen zu ſuchen, die uns vor der Gefahr ſchützen, eines
Tages dieſen Pflichten nicht mehr nachkommen zu können.
Wir gleichen den Aerzten, die zuſammengekommen ſind, um
einen kranken Körper zu unterſuchen und welche die
moraliſche Verpflichtung fühlen, ſich gegenſeitig Nichts zu
verſchweigen. Meine Herren, wir ſtreben nur nach einem

Kretzer, Meiſter Timpe. 19
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[289/0301] Neuer Beifall erſchallte. Der überwachende Beamte, ein jovialer Herr mit bereits grauem Backenbart erhob den Oberkörper und legte den Bleiſtift auf den Tiſch. In dem¬ ſelben Augenblick ſagte der Vorſitzende: „Ich bitte den Herrn Redner, bei der Sache zu bleiben. Es handelt ſich hier um Erörterungen von Strikeangelegenheiten. Ich bitte alſo —“ Der Redner fuhr fort: „Ich bin vollſtändig bei der Sache. Wir ſind hier Arbeiter, um die ſich die ganze ſoziale Frage dreht. Wie aber erſt die einzelnen Glieder eine Kette bilden, ſo machen die verſchiedenen Erſcheinungen des öffentlichen Lebens die ſoziale Frage aus. Wenn wir unſere Angelegenheiten beſprechen wollen, ſo muß es auch nothwendig ſein, die Urſachen anzuführen, die unſere traurige Lage verſchuldet haben und die Folgen, die aus ihr entſtanden ſind und immer noch entſtehen. Mit Schön¬ pfläſterchen heilt man keine Wunde.“ „Bravo . . . Sehr richtig“, ertönte es abermals unter den Zuhörern. „Ich will alſo fortfahren oder vielmehr bei der Sache bleiben“, begann der Redner wieder mit einem ironiſchen Lächeln. „Meine Herren, wenn der Staat verlangt, daß wir unſere Pflichten als Steuerzahler und Bürger erfüllen ſollen, ſo muß uns auch geſtattet ſein, öffentlich nach den Mitteln und Wegen zu ſuchen, die uns vor der Gefahr ſchützen, eines Tages dieſen Pflichten nicht mehr nachkommen zu können. Wir gleichen den Aerzten, die zuſammengekommen ſind, um einen kranken Körper zu unterſuchen und welche die moraliſche Verpflichtung fühlen, ſich gegenſeitig Nichts zu verſchweigen. Meine Herren, wir ſtreben nur nach einem Kretzer, Meiſter Timpe. 19

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/301>, abgerufen am 22.11.2024.