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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Der Redner fuhr fort, in eindringlicher Weise seine An¬
sichten zu entwickeln. Der Durchschnittslohn eines Gehülfen
betrage kaum so viel, daß er sich anständig ernähren könne.
Von den Familienvätern wage er garnicht zu sprechen. Sie
führten einfach eine traurige Existenz und könnten sich nur
erhalten, wenn die Frauen und Kinder mitarbeiteten. "Kann
man das aber ein geordnetes Familienleben nennen", fuhr er
mit erhobener Stimme fort, "wenn Mann und Frau das
Haus verlassen, und die Tochter in kaum entwickeltem Alter
nach der Werkstatt oder Fabrik gehen muß, um der Aufsicht
der Eltern enthoben, unmoralischen Einflüssen aller Art preis¬
gegeben zu werden? Das Weib gehört in die Familie, es
ist dazu da, die Häuslichkeit zu pflegen, die Kinder zu er¬
ziehen, sie zu gesitteten Menschen zu machen, aber nicht, um
ihre ganze Kraft dem Erwerb zu widmen, und dadurch zur
Verlotterung der Familienbande beizutragen.

Eine Beifallssalve erfolgte, begleitet von lauten Bravo¬
rufen.

Der Polizeilieutenant hatte eifrig geschrieben. Jetzt blickte
er den Redner aufmerksam an, dessen intelligentes Gesicht ihm
halb zugewandt war und über welches nur ein flüchtiges Lächeln
glitt. Dann fuhr der Sprecher fort:

"Meine Herren, die ganze physische Beschaffenheit des
Weibes spricht gegen eine lang andauernde Beschäftigung in
den Fabriken. Es ist in erster Linie dazu bestimmt, Gattin
und Mutter zu sein. Jeder wahrheitsliebende Arzt wird
Ihnen das bestätigen. . . . Wenn also alles das geschieht,
was ich Ihnen hier vorführe, so hat das seinen hauptsächlichen
Grund in der schlechten Belohnung der Männerarbeit. Es
sind das also auf die Dauer unhaltbare Zustände."

Der Redner fuhr fort, in eindringlicher Weiſe ſeine An¬
ſichten zu entwickeln. Der Durchſchnittslohn eines Gehülfen
betrage kaum ſo viel, daß er ſich anſtändig ernähren könne.
Von den Familienvätern wage er garnicht zu ſprechen. Sie
führten einfach eine traurige Exiſtenz und könnten ſich nur
erhalten, wenn die Frauen und Kinder mitarbeiteten. „Kann
man das aber ein geordnetes Familienleben nennen“, fuhr er
mit erhobener Stimme fort, „wenn Mann und Frau das
Haus verlaſſen, und die Tochter in kaum entwickeltem Alter
nach der Werkſtatt oder Fabrik gehen muß, um der Aufſicht
der Eltern enthoben, unmoraliſchen Einflüſſen aller Art preis¬
gegeben zu werden? Das Weib gehört in die Familie, es
iſt dazu da, die Häuslichkeit zu pflegen, die Kinder zu er¬
ziehen, ſie zu geſitteten Menſchen zu machen, aber nicht, um
ihre ganze Kraft dem Erwerb zu widmen, und dadurch zur
Verlotterung der Familienbande beizutragen.

Eine Beifallsſalve erfolgte, begleitet von lauten Bravo¬
rufen.

Der Polizeilieutenant hatte eifrig geſchrieben. Jetzt blickte
er den Redner aufmerkſam an, deſſen intelligentes Geſicht ihm
halb zugewandt war und über welches nur ein flüchtiges Lächeln
glitt. Dann fuhr der Sprecher fort:

„Meine Herren, die ganze phyſiſche Beſchaffenheit des
Weibes ſpricht gegen eine lang andauernde Beſchäftigung in
den Fabriken. Es iſt in erſter Linie dazu beſtimmt, Gattin
und Mutter zu ſein. Jeder wahrheitsliebende Arzt wird
Ihnen das beſtätigen. . . . Wenn alſo alles das geſchieht,
was ich Ihnen hier vorführe, ſo hat das ſeinen hauptſächlichen
Grund in der ſchlechten Belohnung der Männerarbeit. Es
ſind das alſo auf die Dauer unhaltbare Zuſtände.“

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[288/0300] Der Redner fuhr fort, in eindringlicher Weiſe ſeine An¬ ſichten zu entwickeln. Der Durchſchnittslohn eines Gehülfen betrage kaum ſo viel, daß er ſich anſtändig ernähren könne. Von den Familienvätern wage er garnicht zu ſprechen. Sie führten einfach eine traurige Exiſtenz und könnten ſich nur erhalten, wenn die Frauen und Kinder mitarbeiteten. „Kann man das aber ein geordnetes Familienleben nennen“, fuhr er mit erhobener Stimme fort, „wenn Mann und Frau das Haus verlaſſen, und die Tochter in kaum entwickeltem Alter nach der Werkſtatt oder Fabrik gehen muß, um der Aufſicht der Eltern enthoben, unmoraliſchen Einflüſſen aller Art preis¬ gegeben zu werden? Das Weib gehört in die Familie, es iſt dazu da, die Häuslichkeit zu pflegen, die Kinder zu er¬ ziehen, ſie zu geſitteten Menſchen zu machen, aber nicht, um ihre ganze Kraft dem Erwerb zu widmen, und dadurch zur Verlotterung der Familienbande beizutragen. Eine Beifallsſalve erfolgte, begleitet von lauten Bravo¬ rufen. Der Polizeilieutenant hatte eifrig geſchrieben. Jetzt blickte er den Redner aufmerkſam an, deſſen intelligentes Geſicht ihm halb zugewandt war und über welches nur ein flüchtiges Lächeln glitt. Dann fuhr der Sprecher fort: „Meine Herren, die ganze phyſiſche Beſchaffenheit des Weibes ſpricht gegen eine lang andauernde Beſchäftigung in den Fabriken. Es iſt in erſter Linie dazu beſtimmt, Gattin und Mutter zu ſein. Jeder wahrheitsliebende Arzt wird Ihnen das beſtätigen. . . . Wenn alſo alles das geſchieht, was ich Ihnen hier vorführe, ſo hat das ſeinen hauptſächlichen Grund in der ſchlechten Belohnung der Männerarbeit. Es ſind das alſo auf die Dauer unhaltbare Zuſtände.“

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/300>, abgerufen am 17.05.2024.