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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage". Als er
mit seinem Werkzeug fertig war, nahm er sich auch dasjenige
des Meisters vor und brachte es in Ordnung. Dann unter¬
richtete er die Lehrlinge und verfertigte schließlich einen kunst¬
vollen Aschbecher, den er Krusemeyer zugedacht hatte.

Als der Sonnabend kam, verschwand er eine Stunde
vor der Lohnzeit, traf dann aber am Montag wie gewöhnlich
pünktlich ein. Und als immer noch keine Arbeit anlangte,
begann er für sich eine lange Bernsteinspitze zu drehen, wozu
er das Material schon längere Zeit besaß. Timpe hielt es
nun für nöthig, den Altgesellen folgendermaßen anzureden:

"Mein lieber Beyer, ich ehre Ihre Anhänglichkeit und
ersehe aus ihr, daß Sie trotz Ihrer frevelhaften politischen
Anschauung große und edle Eigenschaften besitzen, wie man
sie selten findet. Aber ich muß Sie schon von Herzen bitten,
sich von mir zu trennen, denn ich kann den Lohn für Sie
nicht mehr erschwingen. Kommen bessere Zeiten, was ich zu
Gott hoffe, so werde ich Ihrer zuerst gedenken . . . Ich
weiß wohl, weßhalb Sie am Sonnabend ohne Löhnung fort¬
gegangen sind, aber so sehr ich Ihr Zartgefühl auch anerkenne:
ein jeder Mensch ist seines Lohnes werth und Sie nicht
minder. Wenn keine Arbeit vorhanden war, so trifft die
Schuld nicht Sie."

Nach diesen Worten zählte er den rückständigem Lohn
in harten Thalern auf den Tisch und wandte dem Gesellen
den Rücken.

Beyer hatte ruhig zugehört, ohne ein einziges Mal auf¬
zublicken. Dann sagte er gleichgiltig:

"Meister, stecken Sie das Geld nur wieder ein, ich nehme
es nicht an . . . Ich werde an diesem Prinzip so lange

leben wir, ſo leben wir, ſo leben wir alle Tage“. Als er
mit ſeinem Werkzeug fertig war, nahm er ſich auch dasjenige
des Meiſters vor und brachte es in Ordnung. Dann unter¬
richtete er die Lehrlinge und verfertigte ſchließlich einen kunſt¬
vollen Aſchbecher, den er Kruſemeyer zugedacht hatte.

Als der Sonnabend kam, verſchwand er eine Stunde
vor der Lohnzeit, traf dann aber am Montag wie gewöhnlich
pünktlich ein. Und als immer noch keine Arbeit anlangte,
begann er für ſich eine lange Bernſteinſpitze zu drehen, wozu
er das Material ſchon längere Zeit beſaß. Timpe hielt es
nun für nöthig, den Altgeſellen folgendermaßen anzureden:

„Mein lieber Beyer, ich ehre Ihre Anhänglichkeit und
erſehe aus ihr, daß Sie trotz Ihrer frevelhaften politiſchen
Anſchauung große und edle Eigenſchaften beſitzen, wie man
ſie ſelten findet. Aber ich muß Sie ſchon von Herzen bitten,
ſich von mir zu trennen, denn ich kann den Lohn für Sie
nicht mehr erſchwingen. Kommen beſſere Zeiten, was ich zu
Gott hoffe, ſo werde ich Ihrer zuerſt gedenken . . . Ich
weiß wohl, weßhalb Sie am Sonnabend ohne Löhnung fort¬
gegangen ſind, aber ſo ſehr ich Ihr Zartgefühl auch anerkenne:
ein jeder Menſch iſt ſeines Lohnes werth und Sie nicht
minder. Wenn keine Arbeit vorhanden war, ſo trifft die
Schuld nicht Sie.“

Nach dieſen Worten zählte er den rückſtändigem Lohn
in harten Thalern auf den Tiſch und wandte dem Geſellen
den Rücken.

Beyer hatte ruhig zugehört, ohne ein einziges Mal auf¬
zublicken. Dann ſagte er gleichgiltig:

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[228/0240] leben wir, ſo leben wir, ſo leben wir alle Tage“. Als er mit ſeinem Werkzeug fertig war, nahm er ſich auch dasjenige des Meiſters vor und brachte es in Ordnung. Dann unter¬ richtete er die Lehrlinge und verfertigte ſchließlich einen kunſt¬ vollen Aſchbecher, den er Kruſemeyer zugedacht hatte. Als der Sonnabend kam, verſchwand er eine Stunde vor der Lohnzeit, traf dann aber am Montag wie gewöhnlich pünktlich ein. Und als immer noch keine Arbeit anlangte, begann er für ſich eine lange Bernſteinſpitze zu drehen, wozu er das Material ſchon längere Zeit beſaß. Timpe hielt es nun für nöthig, den Altgeſellen folgendermaßen anzureden: „Mein lieber Beyer, ich ehre Ihre Anhänglichkeit und erſehe aus ihr, daß Sie trotz Ihrer frevelhaften politiſchen Anſchauung große und edle Eigenſchaften beſitzen, wie man ſie ſelten findet. Aber ich muß Sie ſchon von Herzen bitten, ſich von mir zu trennen, denn ich kann den Lohn für Sie nicht mehr erſchwingen. Kommen beſſere Zeiten, was ich zu Gott hoffe, ſo werde ich Ihrer zuerſt gedenken . . . Ich weiß wohl, weßhalb Sie am Sonnabend ohne Löhnung fort¬ gegangen ſind, aber ſo ſehr ich Ihr Zartgefühl auch anerkenne: ein jeder Menſch iſt ſeines Lohnes werth und Sie nicht minder. Wenn keine Arbeit vorhanden war, ſo trifft die Schuld nicht Sie.“ Nach dieſen Worten zählte er den rückſtändigem Lohn in harten Thalern auf den Tiſch und wandte dem Geſellen den Rücken. Beyer hatte ruhig zugehört, ohne ein einziges Mal auf¬ zublicken. Dann ſagte er gleichgiltig: „Meiſter, ſtecken Sie das Geld nur wieder ein, ich nehme es nicht an . . . Ich werde an dieſem Prinzip ſo lange

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/240>, abgerufen am 23.11.2024.