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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Grundstücke durchtrennt werden, um dem Dampfroß einen
Weg durch das Steinmeer zu bahnen. Das erforderte Un¬
summen an Abstands- und Entschädigungsgeldern, denn jeder
Grundbesitzer wollte die Gelegenheit wahrnehmen, soviel als
möglich bei dem Verkauf zu gewinnen. Und wessen Forderung
zu hoch war, und wer sich dem Gemeinsinn nicht fügen
wollte, gegen den mußte das Enteignungsverfahren eingeleitet
werden. Unangenehme Prozesse entstanden dadurch; Fiskus
und Bürgerthum führten einen harten Kampf.

"Wissen Sie schon, Herr Timpe," rief Deppler dem Meister
zu, "es steht fest, daß Ihr Haus oder wenigstens der Giebel
desselben eines Tages fallen muß. Die Stadtbahn geht quer
über die Holzmarktstraße und schneidet Ihren Vorgarten weg.
... Urban ist wie immer auch diesmal der Schlaue gewesen;
er hat sämmtliche alte Baracken hinter Ihrem Grundstück be¬
reits vor Jahren angekauft und schlägt nun einen vierfachen
Werth heraus. Das nenne ich Spekulation! ... Er hat
einen Prophetenblick, das muß man sagen. Uebrigens ist er
auf Sie noch schlechter zu sprechen als sonst. Sie würden
es eines Tages bitter bereuen, sein Kaufgebot nicht ange¬
nommen zu haben, meinte er neulich zu mir ... Aufrichtig
gestanden: ich begreife seine Feindschaft gegen Sie nicht, wo
Ihr Sohn ihm so nahe steht."

Sein Sohn! Oh, wenn man gewußt hätte, was er von
ihm zu erwarten haben werde! Der Meister schwieg sich wie
gewöhnlich darüber gründlich aus und kam auf andere Dinge
zu sprechen.

Im Frühjahr des folgenden Jahres wurde mit dem
Abbruch der alten Häuser hinter Timpes Grundstück be¬
gonnen; und wenn der Meister jetzt die "Warte" bestieg und

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Grundſtücke durchtrennt werden, um dem Dampfroß einen
Weg durch das Steinmeer zu bahnen. Das erforderte Un¬
ſummen an Abſtands- und Entſchädigungsgeldern, denn jeder
Grundbeſitzer wollte die Gelegenheit wahrnehmen, ſoviel als
möglich bei dem Verkauf zu gewinnen. Und weſſen Forderung
zu hoch war, und wer ſich dem Gemeinſinn nicht fügen
wollte, gegen den mußte das Enteignungsverfahren eingeleitet
werden. Unangenehme Prozeſſe entſtanden dadurch; Fiskus
und Bürgerthum führten einen harten Kampf.

„Wiſſen Sie ſchon, Herr Timpe,“ rief Deppler dem Meiſter
zu, „es ſteht feſt, daß Ihr Haus oder wenigſtens der Giebel
deſſelben eines Tages fallen muß. Die Stadtbahn geht quer
über die Holzmarktſtraße und ſchneidet Ihren Vorgarten weg.
... Urban iſt wie immer auch diesmal der Schlaue geweſen;
er hat ſämmtliche alte Baracken hinter Ihrem Grundſtück be¬
reits vor Jahren angekauft und ſchlägt nun einen vierfachen
Werth heraus. Das nenne ich Spekulation! ... Er hat
einen Prophetenblick, das muß man ſagen. Uebrigens iſt er
auf Sie noch ſchlechter zu ſprechen als ſonſt. Sie würden
es eines Tages bitter bereuen, ſein Kaufgebot nicht ange¬
nommen zu haben, meinte er neulich zu mir ... Aufrichtig
geſtanden: ich begreife ſeine Feindſchaft gegen Sie nicht, wo
Ihr Sohn ihm ſo nahe ſteht.“

Sein Sohn! Oh, wenn man gewußt hätte, was er von
ihm zu erwarten haben werde! Der Meiſter ſchwieg ſich wie
gewöhnlich darüber gründlich aus und kam auf andere Dinge
zu ſprechen.

Im Frühjahr des folgenden Jahres wurde mit dem
Abbruch der alten Häuſer hinter Timpes Grundſtück be¬
gonnen; und wenn der Meiſter jetzt die „Warte“ beſtieg und

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[163/0175] Grundſtücke durchtrennt werden, um dem Dampfroß einen Weg durch das Steinmeer zu bahnen. Das erforderte Un¬ ſummen an Abſtands- und Entſchädigungsgeldern, denn jeder Grundbeſitzer wollte die Gelegenheit wahrnehmen, ſoviel als möglich bei dem Verkauf zu gewinnen. Und weſſen Forderung zu hoch war, und wer ſich dem Gemeinſinn nicht fügen wollte, gegen den mußte das Enteignungsverfahren eingeleitet werden. Unangenehme Prozeſſe entſtanden dadurch; Fiskus und Bürgerthum führten einen harten Kampf. „Wiſſen Sie ſchon, Herr Timpe,“ rief Deppler dem Meiſter zu, „es ſteht feſt, daß Ihr Haus oder wenigſtens der Giebel deſſelben eines Tages fallen muß. Die Stadtbahn geht quer über die Holzmarktſtraße und ſchneidet Ihren Vorgarten weg. ... Urban iſt wie immer auch diesmal der Schlaue geweſen; er hat ſämmtliche alte Baracken hinter Ihrem Grundſtück be¬ reits vor Jahren angekauft und ſchlägt nun einen vierfachen Werth heraus. Das nenne ich Spekulation! ... Er hat einen Prophetenblick, das muß man ſagen. Uebrigens iſt er auf Sie noch ſchlechter zu ſprechen als ſonſt. Sie würden es eines Tages bitter bereuen, ſein Kaufgebot nicht ange¬ nommen zu haben, meinte er neulich zu mir ... Aufrichtig geſtanden: ich begreife ſeine Feindſchaft gegen Sie nicht, wo Ihr Sohn ihm ſo nahe ſteht.“ Sein Sohn! Oh, wenn man gewußt hätte, was er von ihm zu erwarten haben werde! Der Meiſter ſchwieg ſich wie gewöhnlich darüber gründlich aus und kam auf andere Dinge zu ſprechen. Im Frühjahr des folgenden Jahres wurde mit dem Abbruch der alten Häuſer hinter Timpes Grundſtück be¬ gonnen; und wenn der Meiſter jetzt die „Warte“ beſtieg und 11*

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/175>, abgerufen am 22.11.2024.